KOMM 2/2023
KOMM ist das Mitgliedermagazin der Bundesfachgruppe Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
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<strong>KOMM</strong><br />
02/<strong>2023</strong>WWW.TK-IT.VERDI.DE<br />
VODAFONE KABELGESELLSCHAFTEN<br />
Dickes Plus für die Beschäftigten<br />
Foto: ©Ralf – stock.adobe.com<br />
ver.di erreichte in der zweiten Verhandlungsrunde<br />
am 24. Februar<br />
eine Tarifeinigung für die ver.di-Mitglieder<br />
bei den Vodafone-Kabelgesellschaften.<br />
Die Beschäftigten<br />
erhalten mehr Geld und in zwei<br />
Schritten die Inflationsausgleichsprämie<br />
in voller Höhe.<br />
In den Verhandlungsraum brachte ver.di<br />
den Arbeitgeber:innen zwei „Geschenke“<br />
mit: Auf eng bedruckten Transparenten<br />
waren die namentlichen Statements zu<br />
lesen, die die ver.di-Mitglieder ihrer<br />
Verhandlungsdelegation mitgegeben hatten.<br />
„Damit konnten wir dem Arbeitgeber<br />
aufzeigen, dass ihm nicht nur eine Verhandlungskommission<br />
gegenübersitzt,<br />
sondern dass viele Kolleginnen und Kollegen<br />
bereit sind, für ihre Lohn forderungen<br />
aktiv zu werden“, sagt ver.di-Verhandlungsführer<br />
Tim Feise. Eine Botschaft, die<br />
ihre Wirkung nicht verfehlte.<br />
Das Ergebnis<br />
In mehreren Verhandlungsschritten konnte<br />
eine Einigung erzielt werden, die den<br />
ver.di-Mitgliedern zur Bewertung vorgelegt<br />
wurde: Danach wird im September<br />
<strong>2023</strong> die erste Stufe einer tabellenwirksamen<br />
Entgelterhöhung in Höhe von 5,2<br />
Prozent gezahlt. Die Einkommen steigen<br />
noch einmal um 3,3 Prozent im August<br />
2024. Zusätzlich erhalten die Beschäftigten<br />
eine steuer- und sozialversicherungsfreie<br />
Inflationsausgleichsprämie in zwei<br />
Schritten, zunächst 1500 Euro im Mai<br />
<strong>2023</strong>. Teilzeitbeschäftigte bekommen sie<br />
anteilig, mindestens aber 400 Euro, Auszubildende<br />
550 Euro. Zu den selben Konditionen<br />
wird sie noch einmal im Juni<br />
2024 gezahlt. Der Tarifvertrag hat eine<br />
Laufzeit bis Ende Februar 2025. In einer<br />
bundesweiten Online-Konferenz bewerteten<br />
die ver.di-Mitglieder die Einigung<br />
positiv, die ver.di-Tarifkommission stimmte<br />
danach zu. Das Verhandlungsergebnis<br />
könne sich in der Branche sehen lassen<br />
und sei von den Kolleginnen und Kollegen<br />
mit großer Mehrheit positiv aufgenommen<br />
worden, erklärten Petra<br />
Schuster aus Baden-Württemberg und<br />
Michael Haering aus Nordrhein-<br />
Westfalen, beide Mitglied der ver.di-<br />
Tarifkommission. Die Betriebsgruppenvorsitzenden<br />
betonten zudem, dass sie sich<br />
gerade mit Blick auf die kommenden<br />
Energieabrechnungen sehr darüber freuen,<br />
dass auch die Inflationsausgleichsprämie<br />
gezahlt wird.<br />
SIL
2<br />
INHALT<br />
2 Sozialwahlen<br />
Sozial wählen –<br />
ver.di wählen!<br />
3 Editorial<br />
Termine der<br />
Betriebsgruppen<br />
4 T-Systems<br />
Schwere Entscheidung<br />
5 Branchenpolitik<br />
Kerstin Marx trifft Robert<br />
Habeck<br />
Öffentlicher Dienst<br />
Respektloses Angebot<br />
6 Branchenpolitik<br />
Prämie als Turbo für den<br />
Glasfaserausbau<br />
Sozial wählen<br />
heißt ver.di<br />
wählen!<br />
Es ist wieder soweit. Im nächsten Jahr finden die Sozialwahlen<br />
statt. Versicherte der BARMER, der DAK-Gesundheit,<br />
der KKH, der TK, der hkk sowie der Deutschen Rentenversicherung<br />
Bund haben die Möglichkeit, die selbstverwaltenden<br />
Parlamente dieser Versicherungsträger zu bestimmen. Dafür<br />
werden ab März <strong>2023</strong> die Briefwahlunterlagen versandt.<br />
Bei der BARMER, der DAK-Gesundheit, der KKH und der TK,<br />
wird es zusätzlich die Möglichkeit der Online-Wahl geben.<br />
Jede Stimmabgabe ist wichtig, damit sozialpolitische Kompetenz<br />
von ver.di weiterhin anerkannt bleibt. Nach Erhalt der<br />
Unterlagen gleich ver.di wählen, denn „sozial wählen heißt<br />
ver.di wählen!<br />
SOZIALWAHLEN<br />
ver.di steht in der Selbstverwaltung<br />
für folgende Inhalte:<br />
Dienstleistung ist gefragt<br />
Modernität und Menschennähe<br />
Solidarität stärken<br />
Gesetzliche Rente muss reichen<br />
Sozial wählen –<br />
Gesundheitsschutz vor Krankheit<br />
ver.di wählen!<br />
Pflege daheim und stationär stärken<br />
Unfälle verhüten, aber anders<br />
Alle sechs Jahre Gute Arbeit werden führt zu guter die Leistung Versichertenparlamente<br />
bei Selbstverwaltung den Sozialversicherungsträgern<br />
gewählt. Demokratie Der und Mitbestimmung nächste fördern Wahltermin<br />
statt Staat<br />
ist der 31. Mai <strong>2023</strong>. Ob bei den gesetzlichen<br />
Kranken-, Renten- oder Unfall-<br />
Gemeinsam fordern wir die Politik<br />
auf, die soziale Selbstverwaltung zu<br />
versicherungsträgern, stärken! die Versicherten<br />
bestimmen mit. ver.di stellt eigene Listen<br />
mit ihren Kandidat:innen auf. Und erstmals<br />
gibt es ein ver.di-Wahlprogramm, in<br />
dem wir unsere Ziele benennen und die<br />
Spitzenkandidat:innen vorstellen.<br />
Impressum:<br />
ver.di · 10112 Berlin · Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik · V.i.S.d.P.: Dagmar König<br />
Layout: VH7 Medienküche GmbH · W-3889-21-1122<br />
https://kurzelinks.de/agmr<br />
sozial wählen<br />
ver.di wählen<br />
verdi-waehlen.de<br />
Vereinte<br />
Dienstleistungsgewerkschaft<br />
2753_05_Sozialwahl_<strong>2023</strong>.indd 1-3 18.11.22 11:09<br />
7 Deutsche Funkturm GmbH<br />
Tarifeinigung erzielt<br />
8/9 Jugend<br />
Der Plan: Kreativ sein und<br />
sich einmischen<br />
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Foto: Jasmin Gerschewski<br />
10/11 Recht<br />
Betriebsräte ohne Betriebsstätte<br />
12/13 Frauen<br />
Konstruktiv, zugewandt und<br />
selbstbewusst<br />
14 Citizen Development<br />
Demokratisierung der IT<br />
15 Energiegeld<br />
ver.di fordert Gleichbehandlung<br />
Besoldung<br />
Amtsangemessene Besoldung<br />
auf Kante genäht<br />
16 Gewerkschaften helfen<br />
Spendenaufruf für<br />
Erdbebenopfer<br />
IMPRESSUM<br />
<strong>KOMM</strong> Nr. 2/<strong>2023</strong><br />
@verdiikt<br />
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ver.di_IKT zur Netzpolitik<br />
https://twitter.com/verdi_Netzpol<br />
23. Jahrgang<br />
Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bundes vorstand: Frank Werneke<br />
Christoph Schmitz, Fachgruppe Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT)<br />
Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, Telefon: 030 6956-0 Internet: https://tk-it.verdi.de<br />
Erscheinungsweise: 8 Ausgaben pro Jahr<br />
Redaktion: Jessica Sauerwald, Silke Leuckfeld (SIL) E-Mail: redaktion.komm@verdi.de<br />
Layout: datagraphis GmbH, Wiesbaden-Nordenstadt Internet: https://datagraphis.de<br />
Gedruckt auf GraphoSilk FSC® 80g/m 2<br />
Druck: Schaffrath DruckMedien GmbH Auflage: 81 539<br />
Anzeigen und Beilagen: Jessica Sauerwald<br />
Telefon: 030 6956-2442<br />
E-Mail: redaktion.komm@verdi.de<br />
Redaktionsschluss nächste Ausgabe: 21. April <strong>2023</strong>
3<br />
<strong>KOMM</strong> 02/<strong>2023</strong><br />
EDITORIAL<br />
Diese Ausgabe ...<br />
... zeigt, wie wichtig es ist, wenn viele Beschäftigte in ver.di sind. Bei der T-Systems<br />
musste ver.di einen Tarifabschluss akzeptieren, der nicht zu starken Entgeltsteigerungen<br />
für die Beschäftigten führt. Dabei ist es gerade jetzt, wo die Preise in bisher ungeahnte<br />
Höhen klettern, besonders wichtig, mehr Geld im Portemonnaie zu haben. Dass es auch<br />
anders geht, haben die Beschäftigten von Vodafone deutlich gemacht. Sie gaben ihrer<br />
Verhandlungskommission schriftliche Botschaften an ihre Arbeitgeber:innen mit. Die<br />
auf zwei Banner gedruckten Statements hängten die Mitglieder der ver.di-Verhandlungskommission<br />
an die Wand im Sitzungsraum. Heraus kam ein Abschluss, der den Kolleginnen<br />
und Kollegen effektiv mehr Geld bringt.<br />
Während diese Ausgabe von der Redaktion produziert wird, zeigen die Beschäftigten<br />
im öffentlichen Dienst, wie stark sie für ihre Tarifforderungen eintreten. In allen<br />
Bundesländern wird Mitte März von verschiedenen Berufsgruppen gestreikt. Zuvor<br />
hatten die Arbeitgeber bei den Verhandlungen am 22./23. Februar in Potsdam ein<br />
Angebot vorgelegt, das eine tabellenwirksame Erhöhung von drei Prozent zum 1. Oktober<br />
<strong>2023</strong> und zwei Prozent zum 1. Juni 2024 über eine Laufzeit von 27 Monaten<br />
vorsieht. Dazu wollen sie eine Inflationsausgleichsprämie in zwei Raten von 1500 und<br />
1000 Euro zahlen. Dass sie damit nicht durchkommen, haben ihnen die Beschäftigten<br />
im öffentlichen Dienst klar gezeigt. Ob Stadtreinigung, Flughäfen, Krankenhäuser, Sozial-<br />
und Erziehungsdienste… Die Liste ist noch sehr viel länger. Und es gab Schwerpunkttage,<br />
so auch einen Jugendstreiktag. Darüber haben wir uns besonders gefreut<br />
und das sollte den Arbeitgeber:innen zu denken geben. Mit uns „Alten“ stirbt die<br />
Gewerkschaft nicht aus.<br />
<br />
Die <strong>KOMM</strong>-Redaktion<br />
www.mitgliedwerden.verdi.de<br />
TERMINE DER BETRIEBSGRUPPEN<br />
Foto: geralt/pixabay<br />
Sie sind online zu finden unter:<br />
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4<br />
T-SYSTEMS<br />
Foto: Manfred Geneschen<br />
SCHWERE ENTSCHEIDUNG<br />
Zwei Monate wurde mit den ver.di-Mitgliedern diskutiert, ob das Angebot<br />
der Arbeitgeberseite angenommen werden soll oder nicht. In vielen Diskussionen<br />
und einer Online-Umfrage zeigte sich ein einheitliches Bild – mit<br />
einer leichten Mehrheit hatten die ver.di-Mitglieder die Annahme empfohlen.<br />
Es war dennoch eine schwere Entscheidung, vor allem, weil ein erheblicher<br />
Teil das Angebot nicht annehmen wollten. Dennoch stimmte ver.di<br />
letztendlich zu.<br />
„Viele empfahlen zähneknirschend die<br />
Annahme nur, weil sie wissen, dass wir<br />
derzeit nicht stark genug sind, um ein<br />
besseres Ergebnis durchzusetzen“, sagte<br />
Tim Feise, ver.di-Verhandlungsführer. Die<br />
Chance, durch Streiks zu einem besseren<br />
Ergebnis zu kommen, schätzten die wenigsten<br />
als realistisch ein. An der Umfrage<br />
hatten sich auch nur rund ein Viertel der<br />
ver.di-Mitglieder beteiligt.<br />
Nicht auf Augenhöhe<br />
„Für Verhandlungen auf Augenhöhe<br />
brauchen wir deutlich mehr“, betont Tim<br />
Feise. Mehr bedeutet, mehr ver.di-Mitglieder<br />
und damit auch mehr Durchsetzungskraft.<br />
Diese Situation war der Arbeitgeberseite<br />
durchaus bewusst. Damit<br />
wurde das Tarifergebnis für das Deutschlandsegment<br />
der Telekom übernommen,<br />
obwohl es in der Grundstruktur nicht zur<br />
T-Systems passt. Der Großteil der Beschäftigten<br />
erhält die Einmalzahlungen<br />
erst gar nicht. Auch bei der prozentualen<br />
Erhöhung bekommen die meisten nur<br />
den niedrigsten Wert der Staffelung. „In<br />
Zeiten, wo viele Unternehmen in der<br />
IT-Branche Probleme haben, geeignete<br />
Fachkräfte für sich zu gewinnen, führt<br />
dieser Weg in die falsche Richtung. Ob<br />
die T-Systems mit dieser Vorgehensweise<br />
ein attraktiver Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt<br />
ist, wird sich zeigen“, sagt Tim<br />
Feise.<br />
Das Ergebnis<br />
Die Einkommen steigen in den Vergütungsgruppen<br />
1 – 5 nun rückwirkend zum<br />
1. Januar <strong>2023</strong> um 3,1 Prozent, in der<br />
Vergütungsgruppe 6 um 2,9 Prozent und<br />
in den Vergütungsgruppen 7 – 10 um 2,7<br />
Prozent. Zum 1. März 2024 steigen die<br />
Einkommen dann noch einmal um 2,1<br />
Prozent. Die Vergütungsgruppen 1 – 6 erhalten<br />
eine steuer- und sozialabgabenfreie<br />
Inflationsausgleichsprämie in Höhe<br />
von 500 Euro und noch einmal 500 Euro<br />
im Januar 2024. Der Entgelttarifvertrag ist<br />
frühestens zum 31. Dezember 2024<br />
kündbar.<br />
Ausgangslage<br />
Vereinbart waren Nachklappgespräche im<br />
Herbst 2022 zur Tarifrunde 2021, die im<br />
November auch aufgenommen wurden.<br />
Dabei hat die Arbeitgeberseite erklärt,<br />
dass die aktuelle wirtschaftliche Lage der<br />
T-Systems keine rückwärtige Erhöhung<br />
zulässt. Außerdem kündigten sie an, dass<br />
sie den zu diesem Zeitpunkt gültigen Einkommenstarifvertrag<br />
eventuell von ihrer<br />
Seite kündigen werden, um den Druck<br />
zur Verhandlungsaufnahme auf ver.di zu<br />
erhöhen. Parallel dazu legte die Arbeitgeberseite<br />
das Angebot für die Jahre<br />
<strong>2023</strong> und 2024 auf den Tisch. All dies<br />
fand im Rahmen von Sondierungsgesprächen<br />
statt, die sonst üblichen Tarifverhandlungen<br />
hat es nicht gegeben.<br />
„Jetzt zeigt sich deutlich, wie wichtig<br />
es ist, dass man eine große und starke<br />
Gemeinschaft ist“, betont Tim Feise. „Wir<br />
dürfen uns das Heft des Handelns nicht<br />
aus der Hand nehmen lassen. Bis zur<br />
nächsten Verhandlungsmöglichkeit muss<br />
sich die Aktions- und Durchsetzungsfähigkeit<br />
deutlich verbessern.“ SIL<br />
JETZT ONLINE BEITRETEN<br />
mitgliedwerden.verdi.de
5 <strong>KOMM</strong> 02/<strong>2023</strong><br />
BRANCHENPOLITIK<br />
Kerstin Marx trifft Robert Habeck<br />
Die Telekom-Konzernbetriebsratsvorsitzende Kerstin Marx forderte im Gespräch<br />
mit Bundeswirtschafts minister Robert Habeck mehr Geschwindigkeit<br />
bei Infrastruktur- und Netzausbau in Deutschland. Europa brauche eigene<br />
Weltmarktführer im Bereich Pharma-, Netzwerkausstatter-, Chip-, Solar- und<br />
Windkraftindustrie.<br />
Die DAX40-Betriebsräte haben ein weiteres<br />
Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister<br />
Robert Habeck geführt. Die Unternehmen<br />
stehen vor großen Herausforderungen:<br />
Die Corona-Pandemie führte zu<br />
Lieferengpässen, der russische Angriffskrieg<br />
gegen die Ukraine hat gezeigt, dass<br />
Frieden und Sicherheit nicht selbstverständlich<br />
sind. Und die Energiekrise in<br />
Europa, die eine direkte Folge des Krieges<br />
ist, zeigt, dass die Unternehmen sich auf<br />
nichts verlassen dürfen, was in der Vergangenheit<br />
selbstverständlich war.<br />
Gemeinsam Krisen meistern<br />
Die Gewerkschaften haben in dieser<br />
schwierigen Zeit ihren Wert unter Beweis<br />
gestellt und einen wichtigen Beitrag geleistet,<br />
um die Folgen der Krise für die<br />
Menschen abzumildern. Die Verwerfungen<br />
an den Energiemärkten haben zu einem<br />
massiven internationalen Wettbewerbsnachteil<br />
geführt, der bereits Folgen hatte.<br />
40 Prozent der Chemieunternehmen drosseln<br />
die Produktion, 23 Prozent verlagern<br />
ins nichteuropäische Ausland und zehn<br />
Prozent wollen Anlagen stilllegen.<br />
Standort Deutschland<br />
Der Standort Deutschland steht an einem<br />
Scheideweg: Entweder die Unternehmen<br />
investieren jetzt mutig und viel Geld in die<br />
Transformation der Industrie und der Arbeitswelt<br />
oder sie müssen zusehen, wie<br />
die Industrie Zug um Zug in andere Teile<br />
der Welt zieht. Um dem entgegenzuwirken,<br />
muss der Ausbau der erneuerbaren<br />
Energien intensiviert und beschleunigt<br />
werden. Auch Deregulierung bei Industrieinvestitionen<br />
und staatliche Anschubhilfen<br />
sind notwendig, um massiven<br />
Arbeitsplatzverlusten entgegenzuwirken.<br />
Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten<br />
ganze Produktionsbereiche abwandern<br />
lassen und zahlt nun einen hohen<br />
Preis dafür.<br />
Kerstin Marx fordert ein Umdenken:<br />
„Wir sind auf entscheidenden Feldern<br />
nicht nur von Rohstoffen anderer abhängig,<br />
sondern inzwischen auch von Bauteilen,<br />
Grund- und Wirkstoffen bis hin zu<br />
kompletten Produkten. Die Lieferketten<br />
sind nicht sicher, Engpässe bestimmen<br />
das Bild.“ Besonders betroffen seien die<br />
Pharma- und Netzwerkausstatter sowie<br />
die Chip-, Solar- und Windkraftindustrie.<br />
Siemens, einst der weltweit größte Netzwerkausrüster<br />
der Telekommunikationsunternehmen,<br />
ist heutzutage vom Markt<br />
verschwunden. Die TK-Ausrüster Ericsson<br />
und Nokia sind zusammen nicht einmal<br />
so stark wie Huawai oder ZTE allein.<br />
„Es ist an der Zeit, sich diesen Herausforderungen<br />
zu stellen und den Standort<br />
Deutschland in seiner internationalen<br />
Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und zu<br />
stärken“, fordert die Vorsitzende des Konzernbetriebsrats<br />
der Deutschen Telekom<br />
im Gespräch mit dem Minister.<br />
ÖFFENTLICHER DIENST<br />
Respektloses Angebot<br />
In den laufenden Tarifverhandlungen<br />
für die mehr als 2,5 Millionen<br />
Beschäftigten von Bund und Kommunen<br />
konnte auch in der zweiten<br />
Verhandlungsrunde am 22./23. Februar<br />
<strong>2023</strong> in Potsdam kein Fortschritt<br />
erzielt werden. ver.di fordert<br />
für die Angestellten von Bund und<br />
Kommunen 10,5 Prozent mehr Gehalt,<br />
mindestens aber 500 Euro mehr<br />
im Monat bei einer Laufzeit von<br />
zwölf Monaten. Verhandelt wird<br />
auch für die Beschäftigten der Bundesnetzagentur.<br />
„Das Angebot der Arbeitgeber sorgt, was<br />
Höhe, Laufzeit und den fehlenden sozialen<br />
Ausgleich betrifft, bei den Beschäftigten<br />
für Enttäuschung und Ablehnung.<br />
Das empfinden die Menschen als respektlos<br />
und werden sich nicht damit abfinden“,<br />
erklärte Frank Werneke, ver.di-Vorsitzender:<br />
„Mit den Inhalten ihres Angebots<br />
lösen die Arbeitgeber den Tarifkonflikt<br />
nicht. Die Konsequenz ist: Die<br />
Warnstreiks werden ausgeweitet.“ Im<br />
gesamten Bundesgebiet streikten daraufhin<br />
Beschäftigte.<br />
Prämie nicht nachhaltig<br />
Zuvor hatten die Arbeitgeber ein Angebot<br />
vorgelegt, das eine tabellenwirksame Erhöhung<br />
von drei Prozent Ende <strong>2023</strong> und<br />
zwei Prozent Mitte 2024 über eine Laufzeit<br />
von 27 Monaten vorsieht. Dazu<br />
kommt eine Inflationsausgleichsprämie in<br />
zwei Raten von 1500 und 1000 Euro. Die<br />
sei aber nicht nachhaltig, kritisierte Werneke:<br />
„Die Preise bleiben auch dann noch<br />
hoch, wenn die Prämien längst nicht<br />
mehr wirken.“ Ein Mindestbetrag als<br />
soziale Komponente für die unteren Einkommensgruppen<br />
ist nicht vorgesehen.<br />
ver.di fordert in der laufenden Tarifrunde<br />
für die Angestellten von Bund und<br />
Kommunen 10,5 Prozent mehr Gehalt,<br />
mindestens aber 500 Euro mehr im Monat<br />
bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Das<br />
Foto: Kay Herschelmann<br />
Tarifergebnis soll zeit- und wirkungsgleich<br />
auf Beamtinnen und Beamte, Richterinnen<br />
und Richter, Soldatinnen und Soldaten sowie<br />
auf Versorgungsempfängerinnen und<br />
-empfänger übertragen werden. ver.di<br />
führt die Tarifverhandlungen gemeinsam<br />
mit GdP, GEW, IG BAU sowie mit dbb beamtenbund<br />
und tarifunion.<br />
Die Verhandlungen werden in der dritten<br />
Runde vom 27. bis 29. März <strong>2023</strong><br />
(nach Redaktionsschluss) in Potsdam fortgesetzt.<br />
ver.di-Internetseite zur Tarifrunde:<br />
https://zusammen-geht-mehr.verdi.<br />
de/
6<br />
Foto: Sven Guski<br />
BRANCHENPOLITIK<br />
Prämie als Turbo für<br />
den Glasfaserausbau<br />
Viele Unternehmen bauen deutschlandweit<br />
Glasfaserinfrastruktur aus.<br />
Viele Investoren tummeln sich auf<br />
dem Markt und investieren Milliarden<br />
in den Ausbau. Trotzdem geht<br />
es Bürger:innen, aber auch vielen<br />
Politiker:innen nicht schnell genug.<br />
Deutschland brauche noch mehr<br />
Tempo. Eine Idee, den Ausbau zu beschleunigen,<br />
ist eine Glasfaser-<br />
Prämie.<br />
VON CHRISTOPH HEIL<br />
Christoph Heil<br />
ver.di-Bereich<br />
Mitbestimmung<br />
und<br />
Branchenpolitik<br />
Deutschland ist sich einig darin, dass wir<br />
für die Digitalisierung des Landes eine<br />
möglichst flächendeckende hochleistungsfähige<br />
Glasfaser-Infrastruktur brauchen.<br />
Nur so kann die Wettbewerbsfähigkeit<br />
des Landes im internationalen Vergleich<br />
gewährleistet werden. Andererseits<br />
müssen auch strukturschwache Gebiete<br />
erschlossen werden, um das Stadt- Land-<br />
Gefälle zu nivellieren. Aber gerade in<br />
strukturschwachen Gebieten ist die Nachfrage<br />
der Kunden nach einem modernen<br />
Glasfaseranschluss oft schwach. Die Crux:<br />
Wenn zu wenig Nachfrage bei den Kunden<br />
besteht, lohnt sich für die Unternehmen<br />
der Ausbau eines Glasfasernetzes<br />
nicht, da sich die Investitionen nicht<br />
amortisieren würden.<br />
Staatliche Förderung<br />
Bund und Länder fördern den Glasfaser-<br />
Infrastrukturausbau da, wo ein privatwirtschaftlicher<br />
Ausbau durch erschwerte<br />
Bedingungen nicht erfolgt. Doch es werden<br />
nicht der eigentliche Glasfaserausbau<br />
in Straßen und Siedlungen gefördert, sondern<br />
lediglich kommunale Projekte, die<br />
darauf abzielen, die Erschließung der geförderten<br />
Gebiete durch privatwirtschaftliche<br />
Aktivitäten zu erleichtern.<br />
Diese Förderung setzt bisweilen jedoch<br />
falsche Anreize, da durch die Förderungen<br />
unter Umständen Gebiete und Regionen<br />
erschlossen werden, in denen viel<br />
zu wenig Nachfrage besteht. Andere Gebiete<br />
dagegen gehen leer aus, obwohl<br />
ausreichend Nachfrage bestünde. Hier<br />
fehlen dann Geld und Tiefbaukapazitäten.<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass die<br />
Umsetzung geförderter Ausbauprojekte<br />
durchschnittlich dreimal so lange wie ein<br />
vergleichbarer eigenwirtschaftlicher Ausbau<br />
dauert.<br />
Die Lösung<br />
Die zwei wichtigen Branchenverbände im<br />
TK-Sektor, BREKO und VATM, schlagen<br />
eine Gutscheinlösung vor, um die Nachfrage<br />
in ausbaubedürftigen Gebiete anzureizen.<br />
Mit einer Glasfaser-Prämie, in<br />
Form eines Gutscheins, hoffen die beiden<br />
Verbände auf eine deutliche Steigerung<br />
der Nachfrage bei den<br />
Kunden. So werden<br />
Ausbaugebiete attraktiver<br />
und vorher unwirtschaftliche<br />
Gebiete<br />
erschließbar, da<br />
sich mehr Bürger:innen<br />
und Unternehmen<br />
für einen Glasfaseranschluss<br />
entscheiden<br />
könnten. Auf eine<br />
langwierige Ausbauförderung<br />
nach<br />
dem Gigabitförderprogramm<br />
kann in<br />
diesen Gebieten verzichtet<br />
werden.<br />
Da nur Bürger:innen<br />
und Unternehmen<br />
die Prämie gegen<br />
Nachweis des erfolgten<br />
Ausbaus des Glasfaser-Hausanschlusses<br />
oder -Vertragsabschlusses<br />
einlösen<br />
können, kommt jedes investierende Unternehmen<br />
in den Genuss der erhöhten<br />
Nachfrage, wenn es einerseits eine erfolgreiche<br />
Vermarktung betrieben und<br />
andererseits auch tatsächlich ausgebaut<br />
hat. Die Verteilung entsprechender Prämien<br />
müsste im Rahmen von fairen wettbewerblichen<br />
Regeln erfolgen.<br />
Die beiden Verbände bringen drei Prämien-Varianten<br />
ins Spiel. Eine Prämie sollte<br />
einen Anreiz für eine Verlegung von<br />
Glasfaser vom Bürgersteig bis ins Gebäude<br />
darstellen und sich auf rund 1000 Euro<br />
belaufen. Eine zweite Variante könnte<br />
einen Vertragsabschluss anreizen, der<br />
eine Mindestbandbreite von mehr als 250<br />
Mbit/s mit einem Zuschuss von 500 Euro<br />
beinhaltet und eine dritte Variante zielt<br />
als Anreiz auf eine Glasfaserverkabelung<br />
im Gebäude und könnte sich auf etwa<br />
150 Euro belaufen.<br />
Fazit:<br />
Foto: ©Christian Schwier – stock.adobe.com<br />
ver.di hat bereits vor Jahren eine Idee<br />
entwickelt, über Gutscheine für Kunden<br />
die Nachfrage für moderne TK-Anschlüsse<br />
zu beleben. Jeder Ausbau fördert Arbeitsplätze<br />
weit über die TK-Branche hinaus<br />
und sichert für Netzbetreiber und<br />
Diensteanbieter zukunftsfähige und<br />
nachhal tige Geschäftsmodelle. Eine Förderung<br />
für die Kunden ist eine interessante<br />
Idee, die es verdient, in der Gigabitstrategie<br />
des Bundes berücksichtigt zu<br />
werden. In anderen Branchen ist das<br />
längst selbstverständlich, man denke da<br />
nur mal an die Abwrackprämie im Automobilsektor.
7 <strong>KOMM</strong> 02/<strong>2023</strong><br />
DEUTSCHE FUNKTURM GMBH<br />
Tarifeinigung erzielt<br />
Foto: ver.di<br />
In der zweiten Verhandlungsrunde für die ver.di-Mitglieder bei der Deutsche<br />
Funkturm GmbH (DFMG) gab es ein Angebot der Arbeitgeberseite, welches<br />
sich – wie in der Vergangenheit – nah am Telekom abschluss orientierte.<br />
Das Angebot<br />
Die DFMG bot zunächst 2,8 Prozent tabellenwirksame<br />
Erhöhung rückwirkend<br />
zum 1. Februar <strong>2023</strong> sowie 2,1 Prozent<br />
zum 1. Februar 2024 an. Sie waren bereit,<br />
eine Inflationsprämie von 500 Euro<br />
für die unteren Entgeltgruppen im ersten<br />
Halbjahr <strong>2023</strong> und eine Inflationsprämie<br />
von ebenfalls 500 Euro an die<br />
Tarifbeschäftigten im zweiten Halbjahr<br />
<strong>2023</strong> zu zahlen. „Dies war für die<br />
ver.di-Verhandlungskommission nicht<br />
ausreichend“, sagt Dorothea Forch,<br />
ver.di-Verhandlungsführerin. „Für uns<br />
war es wichtig, dass alle Beschäftigten<br />
von den Einmalzahlungen profitieren<br />
und die Spreizung nicht so groß<br />
wird.“ Um den Forderungen – zehn Prozent<br />
Entgelterhöhung und eine Mitgliederkomponente<br />
– Nachdruck zu verleihen,<br />
haben sich zwischen der zweiten<br />
und dritten Verhandlungsrunde Kolleginnen<br />
und Kollegen an einer Fotoaktion<br />
beteiligt. „An dieser Stelle ein großes<br />
Dankeschön für eure Unterstützung und<br />
für eure Sichtbarkeit. Das hat uns sehr<br />
den Rücken gestärkt“, sagt Dorothea<br />
Forch.<br />
Das Ergebnis<br />
Nach etlichen Austauschrunden in der<br />
dritten Verhandlungsrunde unterbreitete<br />
der Arbeitgeber ein nachgebessertes Angebot.<br />
Die ver.di-Verhandlungskommission<br />
empfiehlt die Annahme, obwohl die<br />
geforderte deutliche Steigerung der Tabellenentgelte<br />
nicht durchsetzbar war.<br />
Angeboten sind 2,8 Prozent mehr Geld<br />
rückwirkend zum 1. Februar. Zum 1. Februar<br />
2024 sollen die Einkommen dann<br />
um weitere 2,3 Prozent steigen. Der Tarifabschluss<br />
soll eine Laufzeit bis zum<br />
31. Dezember 2024 haben. Alle Tarifbeschäftigten<br />
sollen in diesem Jahr im Mai<br />
700 Euro Inflationsprämie – also steuerund<br />
sozialabgabenfrei – erhalten. Die<br />
unteren Entgeltgruppen sollen jeweils<br />
im August <strong>2023</strong> und im Februar 2024<br />
weitere 500 Euro Inflationsprämie bekommen.<br />
Nach dem Gesetz können<br />
insgesamt 3000 Euro bis Ende 2024<br />
steuer- und sozialabgabenfrei (brutto für<br />
netto) gezahlt werden. Die DFMG hat<br />
ver.di die Zusage gegeben, über die Ausschöpfung<br />
der Gesamtsumme weitere<br />
Gespräche zu führen. Verlängert werden<br />
soll zudem der Tarifvertrag Rationalisierungsschutz<br />
(TV Ratio) bis 31. Dezember<br />
2024.<br />
So geht es weiter<br />
Die Tarifvertragsparteien haben eine<br />
sogenannte Erklärungsfrist bis zum<br />
20. März <strong>2023</strong> (nach Redaktionsschluss)<br />
vereinbart. Bis dahin wird die ver.di-Tarifkommission<br />
einen Beschluss über die Ablehnung<br />
oder Annahme des Angebotes<br />
treffen. Die Mitglieder haben bereits ihr<br />
Votum abgegeben: Bei einer Beteiligung<br />
von 81 Prozent der ver.di-Mitglieder an<br />
der Befragung haben sich 56 Prozent der<br />
Teilnehmer:innen für die Annahme des<br />
Verhandlungsergebnisses ausgesprochen.<br />
Der überwiegende Teil davon jedoch<br />
nicht, weil das Ergebnis so gut ist, sondern<br />
weil die Einschätzung vorliegt, dass<br />
wir nicht stark genug sind, mehr rauszuholen.<br />
Neben den Mitgliedern haben wir<br />
auch die Beschäftigten befragt, wie sie<br />
zum Angebot des Arbeitgebers stehen.<br />
Auch hier zeigt sich eine deutliche Ablehnung.<br />
Zudem zeigen viele der Befragten<br />
Unverständnis gegenüber dem Arbeitgeber,<br />
der das Ergebnis als Erfolg darstellt.<br />
Die ver.di-Aktiven werden sich nun beraten,<br />
wie sie weiter im Betrieb aktiv werden,<br />
um für die nächste Tarifrunde besser<br />
aufgestellt zu sein.<br />
SIL
8<br />
JUGEND<br />
DER PLAN:<br />
Kreativ sein und<br />
sich einmischen<br />
Mit Optimismus und der „Lust drauf,<br />
sich zu engagieren“ gingen junge<br />
ver.di-Mitglieder vor vier Jahren daran,<br />
sich in der Gewerkschaft in einem<br />
neuen Fachbereich zusammenzufinden.<br />
Dieses Vorhaben ist schon<br />
ein Stück weit gediehen. Schauen<br />
wir auf die Ergebnisse der ersten<br />
Bundesjugendkonferenz des Fachbereichs<br />
Anfang Februar. Erstmals<br />
haben sich dazu in Gladenbach 54<br />
Delegierte der verschiedenen Branchen<br />
getroffen.<br />
VON NGOC-HIEN LE UND<br />
JASMIN GERSCHEWSKI<br />
An den Vorbereitungen waren viele beteiligt<br />
– erstes Kennenlernen war programmiert.<br />
Nun geht es ans „Zusammenwachsen“,<br />
so das aktuelle Motto.<br />
Und so unterschiedlich wie die Berufsfelder<br />
im Fachbereich „Finanzdienste,<br />
Kommunikation und Technologie, Kultur,<br />
Ver- und Entsorgung“ (FB A) sind, so<br />
gleich sind die Interessen, etwa wenn es<br />
um gute Ausbildungsbedingungen mit<br />
der dazugehörigen Vergütung oder der<br />
Mitbestimmung in den Betrieben geht.<br />
Wechsel an der Spitze<br />
Eröffnet wurde die Konferenz von Oskar<br />
Michel. Der bisherige Vorsitzende des Jugendfachkreises<br />
auf Bundesebene bei der<br />
Bundesfachgruppe Informations- und<br />
Kommunikationstechnologie (IKT), verabschiedete<br />
sich, da er den Jugendstrukturen<br />
entwachsen ist. Wie auch Kai Reinartz,<br />
ehrenamtlicher Vorsitzender der<br />
ver.di-Jugend, ging Oskar Michel auf die<br />
Herausforderungen in der vergangenen<br />
Wahlperiode ein, die stark von globalen<br />
Krisen geprägt war. Dennoch habe es viele<br />
Erfolge in dieser Zeit gegeben, betonte<br />
Kai Reinartz. So hat sich die ver.di-Jugend<br />
für eine Mindestausbildungsvergütung<br />
eingesetzt. Das entsprechende Gesetz<br />
über 680 Euro im Monat wurde verabschiedet.<br />
Keine Ausbildung darf mit weniger<br />
vergütet werden. Begonnen wurde,<br />
für eine Ausbildungsplatzgarantie zu<br />
streiten. Das heißt, jeder soll einen Ausbildungsplatz<br />
staatlich garantiert bekommen.<br />
Der erste Gesetzentwurf steht zur<br />
Diskussion. Hier wird die ver.di-Jugend<br />
dranbleiben.<br />
Fotos: Jasmin Gerschewski
9 <strong>KOMM</strong> 02/<strong>2023</strong><br />
„Mischt euch ein!“<br />
Neugier und Freude als zentrale Faktoren<br />
für das Zusammenwachsen im Fachbereich<br />
bescheinigte Christoph Schmitz,<br />
Bundesfachbereichsleiter FB A, den Delegierten<br />
in seinem Grußwort. Wichtig sei<br />
die gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb.<br />
Junge Leute sollten hier Gewerkschaft<br />
leben, um mehr Mitstreiter:innen zu gewinnen.<br />
Er verwies auf die vielen aktuell<br />
laufenden Tarifverhandlungen, wie die im<br />
Öffentlichen Dienst. Dabei müsse es ver.di<br />
noch stärker als bisher gelingen, auf Verbesserungen<br />
für Auszubildende und dual<br />
Studierende zu drängen. „Attraktiv für<br />
junge Arbeitskräfte zu sein, ist für unsere<br />
Gewerkschaft ebenso eine Überlebensfrage,<br />
wie für die Unternehmen.“ Er rief auf:<br />
„Mischt euch ein, seid kreativ und bleibt<br />
hartnäckig bei allen Fragen, die euch und<br />
eure Kolleginnen und Kollegen betreffen!“<br />
Innerhalb der Gewerkschaft müssten<br />
die Jugendkoordinator:innen weiter<br />
gestärkt werden. Aber klar sei auch, dass<br />
Jugendarbeit nicht nur von der Jugend<br />
gemacht werden müsse. Das sei eine Aufgabe<br />
für alle, so Christoph Schmitz.<br />
Auch Jugendkoordinator Thomas<br />
Bachmann ist überzeugt, dass der Sinn<br />
von ver.di der Austausch, das Netzwerken<br />
und das gemeinsame Grübeln – neudeutsch:<br />
Brainstorming – ist, um Arbeitsund<br />
Ausbildungsbedingungen zu verbessern.<br />
Unsere „Waffe“ dafür ist unsere<br />
Solidarität. Werkzeuge dafür lieferte auch<br />
Romy Schneider vom Projekt Aktivierende<br />
Gewerkschaftsarbeit, dessen Leitsatz lautet:<br />
„Das Herz der Gewerkschaft schlägt<br />
im Betrieb.“<br />
Nach der Entlastung des alten Vorstands<br />
wurde der neue geschäftsführende Vorstand<br />
gewählt und seine Mitglieder bestätigt.<br />
Herzlichen Glückwunsch an: Joana<br />
Starck, Lukas Gertzen, Dustin Pilz und<br />
Nino-Pascal Bündgen. Mit den kämpferischen<br />
Worten von Dustin Pilz geht es nun<br />
an die Arbeit: „Wir haben uns lange genug<br />
in den letzten Jahren mit uns selbst<br />
und unserer Struktur beschäftigt. Es ist<br />
Zeit, sich Problemen, die wir auch in der<br />
Ausbildung haben, zu stellen und nach<br />
vorne zu schauen.“<br />
schaften in den Schulen befasste. Weitgehende<br />
Einigkeit konnte darüber erzielt<br />
werden, dass Gewerkschaften und ihre<br />
Themen viel mehr in Schulen präsent sein<br />
müssen und ver.di viel besser mit den demokratischen<br />
Schüler:innen-Vertretungen<br />
zusammenarbeiten sollte. Deshalb wurde<br />
dem Antrag zugestimmt. Heftig diskutiert<br />
wurde auch ein Antrag zu den Jugendstrukturen<br />
bei der Telekom. Die Besonderheit<br />
dort, nach dem eigenen Ausbildungstarifvertrag<br />
gibt es Auszubildenden-Vertretungen,<br />
die eigenständig wie ein „kleiner<br />
Betriebsrat“ agieren können. Die<br />
Antragsteller votierten dafür, das zu ändern.<br />
Das ergab Widerspruch gepaart mit<br />
der Warnung, wie gefährlich es sei, gut<br />
funktionierende, tarifvertraglich vereinbarte<br />
Strukturen aufzugeben. Mehrheitlich<br />
wurde der Antrag abgelehnt.<br />
Nach einer 20er-Jahre-Party am Abend<br />
wurden am nächsten Tag weitere Anträge<br />
angenommen, die unter anderem mit<br />
Aufsichtsratsmandaten, dem JAV-Wahlalter<br />
und einer Home-Office-Pauschale befasst<br />
waren. Beschlossen wurde ebenfalls,<br />
dass die Fachbereichsjugend diverse Veranstaltungen<br />
planen sollte. Neben regelmäßigen<br />
Konferenzen ist da beispielsweise<br />
an „Vernetzungsfestivals“ gedacht.<br />
Breite Zustimmung fanden auch Anträge<br />
für eine Bier-/Softdrink-Preisbremse in gewerkschaftlichen<br />
Bildungseinrichtungen.<br />
Abschließend haben sich die Delegierten<br />
mit zwei Initiativanträgen beschäftigt,<br />
die sich für bezahlbaren Wohnraum für<br />
Nachwuchskräfte und die Unterstützung<br />
frauenrechtlicher und antisexistischer Bewegungen<br />
einsetzten. Widerspruch für<br />
diese Ziele gab es nicht.<br />
Leidenschaftliche Diskussionen<br />
Foto: ver.di Jugend<br />
Jasmin<br />
Gerschewski<br />
Diese Energie war auch bei der Antragsberatung<br />
spürbar, die sehr leidenschaftlich<br />
geführt wurde. Großes Diskussionspotenzial<br />
hatte ein Antrag, der sich mit Gewerk-<br />
Ngoc-Hien Le<br />
Foto: ver.di Jugend
10<br />
RECHT<br />
Betriebsräte ohne Betriebsstätte<br />
Während in manchen Betrieben neben der klassischen Arbeit in der Betriebsstätte<br />
mehr Homeoffice stattfindet, verzichten andere Betriebe ganz auf Büros<br />
und lassen Beschäftigte von überall aus arbeiten. Das hat auch Folgen für<br />
die Betriebsräte. Im Zuge dessen stellen sich vermehrt Fragen, die die betriebliche<br />
Mitbestimmung bei der Einführung und Ausgestaltung solcher Arbeitsformen<br />
betreffen. Auf diese Fragestellung haben der Gesetzgeber und<br />
die Arbeitsgerichte bislang Antworten finden können, mit denen betriebliche<br />
Mitbestimmung bei der Umgestaltung der Arbeitsorganisation gewährleistet<br />
werden kann. Vereinzelt lassen sich jedoch auch Entwicklungen in der Organisation<br />
der Arbeitswelt erkennen, die es als fraglich erscheinen lassen, ob<br />
das Betriebsverfassungsgesetz mit dem darin zugrunde gelegten Betriebsbegriff<br />
noch geeignet ist, betriebliche Mitbestimmung zu gewährleisten.<br />
Foto: ©4th Life Photography – stock.adobe.com<br />
VON NIELS OLE BEHDER<br />
Viele Unternehmen haben in der jüngeren<br />
Vergangenheit aufgrund der entsprechenden<br />
pandemiebedingten Vorgaben<br />
gezwungenermaßen Möglichkeiten geschaffen,<br />
damit die Mitarbeitenden im<br />
Homeoffice ihrer Arbeit nachgehen konnten.<br />
Dies hat einerseits dazu geführt, dass<br />
viele Beschäftigte die Vorzüge einer solchen<br />
Arbeitsweise erkannt haben und in<br />
Zukunft nicht darauf verzichten wollen.<br />
Unternehmen wiederum haben erkannt,<br />
dass die Kosten für die Anmietung von<br />
teuren Gewerberäumen signifikant gesenkt<br />
werden können, wenn für einen<br />
Teil der Belegschaft keine Präsenzarbeitsplätze<br />
im Betrieb vorgehalten werden<br />
müssen. Flankiert werden diese Maßnahmen<br />
in mitbestimmten Betrieben regelmäßig<br />
durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen,<br />
in denen die Umsetzung<br />
von Homeoffice und Mobilem Arbeiten<br />
genau geregelt wird. Wichtig bei dieser<br />
Konstellation ist, dass eine Betriebsstätte<br />
regelmäßig aufrechterhalten bleibt, wenn<br />
auch in reduziertem Umfang. Daneben<br />
lässt sich in der Praxis auch beobachten,<br />
dass Arbeitgeber vollständig auf Betriebsstätten<br />
verzichten. Die Mitarbeitenden<br />
sollen hier von Heimarbeitsplätzen aus<br />
oder von anderen – mitunter frei gewählten<br />
Standorten – ihre Arbeitsleistung erbringen.<br />
Betriebsratsarbeit ohne<br />
Betriebsstätte<br />
Für Unternehmen bringt diese Variante<br />
sicherlich einige wirtschaftliche Vorteile<br />
mit sich. So entfallen insbesondere Mietkosten<br />
mitsamt allen Nebenkosten für<br />
Strom, Wasser, Reinigung. Mit Blick auf<br />
die Betriebsratsarbeit stellen sich jedoch<br />
eine Vielzahl zentraler Fragen. Wie soll<br />
etwa ein gewählter Betriebsrat seine Aufgaben<br />
ordnungsgemäß ausüben können,<br />
wenn grundlegendste Dinge fehlen wie<br />
ein Betriebsratsbüro, in dem Sitzungen<br />
und Besprechungen abgehalten werden<br />
sowie Betriebsratsunterlagen verwahrt<br />
werden können? Wo und wie sollen Betriebsversammlungen<br />
abgehalten werden,<br />
wenn es keinerlei<br />
Betriebsörtlichkeiten<br />
gibt? Die teilweise oder<br />
gar vollständige Entkopplung<br />
der Arbeitsleistung<br />
der Mitarbeitenden<br />
von einer Betriebsstätte<br />
ist damit<br />
aus Betriebsratssicht sicherlich<br />
als problematisch<br />
anzusehen. Deshalb<br />
ist zunächst zu<br />
klären, welchen Stellenwert<br />
die Erbringung von<br />
Arbeitsleistung an einer<br />
bestimmten Betriebsstätte<br />
generell unter betriebsverfassungsrechtlichen<br />
Gesichtspunkten<br />
hat. Hierfür ist eine Auseinandersetzung<br />
mit<br />
dem Begriff „Betrieb“<br />
erforderlich.<br />
Der Betriebsbegriff<br />
Es gibt keine Legaldefinition des Betriebsbegriffs.<br />
Aus diesem Grund bleibt es der<br />
Rechtsprechung und der Lehre überlassen,<br />
die konstitutiven Merkmale eines<br />
„Betriebs“ im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes<br />
(BetrVG) zu bestimmen.<br />
Nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ist<br />
ein „Betrieb“ als „die organisatorische<br />
Einheit anzusehen, innerhalb derer der<br />
Unternehmer allein oder zusammen mit<br />
seinen Mitarbeitern mit Hilfe sächlicher<br />
und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische<br />
Zwecke fortgesetzt verfolgt.“<br />
Inwieweit ein Betrieb unter Zugrundelegung<br />
dieser Definition eine Betriebsstätte<br />
aufweisen muss, in der die<br />
Mitarbeitenden zumindest zu einem bestimmten<br />
Anteil ihrer Arbeit vor Ort nachgehen<br />
können, ergibt sich aus der Begriffsdefinition<br />
des BAG nicht.
11 <strong>KOMM</strong> 02/<strong>2023</strong><br />
Betriebsbegriff bei teilweisem<br />
Verzicht auf Betriebsstätte<br />
Die Situation, dass ein Teil der Belegschaft<br />
seine Arbeitsleistung außerhalb einer Betriebsstätte<br />
erbringt, und wie sich dies<br />
mit dem Betriebsbegriff des BetrVG verhält,<br />
ist in jüngster Zeit bereits Gegenstand<br />
von Gerichtsentscheidungen im<br />
Zusammenhang mit dem Thema Homeoffice<br />
gewesen. Homeoffice stellt eine<br />
Variante des Mobilen Arbeitens dar. Unter<br />
Mobilem Arbeiten wiederum ist eine<br />
Arbeitsweise zu verstehen, die nicht an<br />
einen fest eingerichteten Telearbeitsplatz<br />
(§ 2 Abs. 7 Arbeitsstättenverordnung –<br />
ArbStättVO) oder an eine Arbeitsstätte<br />
(§ 2 Abs. 1 ArbStättVO) gebunden ist und<br />
die ein Tätigwerden von beliebigen Orten<br />
aus zulässt. Beim Homeoffice haben Beschäftigte<br />
dagegen lediglich die Möglichkeit,<br />
zeitweilig und nach Abstimmung mit<br />
dem Arbeitgeber im Privatbereich, regelmäßig<br />
in den eigenen Wohnräumen, unter<br />
Nutzung tragbarer IT-Systeme tätig zu<br />
werden. Liegt nun beim Homeoffice der<br />
Arbeitsplatz naturgemäß außerhalb der<br />
Betriebsstätte des Arbeitgebers, stellt sich<br />
die Frage, ob dann noch ein betrieblicher<br />
Arbeitsplatz vorliegt, der als Teil des Betriebs<br />
anzusehen ist. Dies wird überwiegend<br />
bejaht. Der Hintergrund dieser<br />
Rechtsauffassung ist darin zu sehen, dass<br />
der Betriebsbegriff des BetrVG nicht<br />
räumlich, sondern funktional verstanden<br />
wird. Aus diesem Grund bleiben Mitarbeitende<br />
weiterhin betriebszugehörig, wenn<br />
sie zwar außerhalb der Betriebsstätte tätig<br />
sind, jedoch weiterhin in die arbeitstechnische<br />
Organisation des Betriebs<br />
eingebunden sind.<br />
Betriebsbegriff bei vollständigem<br />
Verzicht auf Betriebsstätte<br />
Diese neue Entwicklung ist – soweit ersichtlich<br />
– noch nicht Gegenstand arbeitsgerichtlicher<br />
Entscheidungen gewesen.<br />
Als Vorüberlegung sollte man sich vor<br />
Augen führen, dass der vollständige Verzicht<br />
eines Unternehmens auf Betriebsstätten<br />
nicht den Ausschluss von betrieblicher<br />
Mitbestimmung nach dem BetrVG<br />
zur Folge haben darf. Anderenfalls bestünde<br />
hier die Gefahr, dass betriebliche<br />
Mitbestimmung gezielt unterbunden<br />
wird. Gerade in IT-lastigen Branchen, in<br />
denen ein flexibles und nicht standortgebundenes<br />
Arbeiten ohne Weiteres möglich<br />
ist, bestünde ein erhebliches Missbrauchspotenzial.<br />
Weiterhin ist zu beachten,<br />
dass soweit Beschäftigte in die<br />
arbeitstechnische Organisation eines Unternehmens<br />
eingeordnet sind, sie notwendigerweise<br />
auch betriebszugehörig<br />
sind. Denn werden Mitarbeitende beschäftigt,<br />
ohne dass es eine Betriebsstätte<br />
gibt, an der sie ihre Arbeitsleistung erbringen<br />
können, erfordert dies organisatorische<br />
Vorgaben durch den Arbeitgeber<br />
mitsamt einer organisatorischen Einbindung<br />
der Mitarbeitenden in Arbeitsprozesse.<br />
Betriebsräte bestimmen in beiden<br />
Konstellationen mit<br />
Nach allem ist festzuhalten, dass der teilweise<br />
Verzicht auf das Vorhalten von Betriebsstätten<br />
nicht dazu führt, dass die<br />
betriebliche Mitbestimmung nach dem<br />
BetrVG für die außerhalb einer Betriebsstätte<br />
tätigen Mitarbeitenden ausgeschlossen<br />
wird. Das gilt auch für Beschäftigte,<br />
die für Unternehmen tätig sind, in<br />
denen es überhaupt keine Betriebsstätten<br />
gibt. Betriebliche Mitbestimmung ist nicht<br />
zwingend von dem Vorhandensein einer<br />
Betriebsstätte abhängig. Der Betriebsbegriff<br />
des BetrVG ist flexibel interpretierbar.<br />
Abgrenzungsschwierigkeiten können<br />
sich jedoch ergeben, wenn es um die<br />
Zuordnung einzelner Beschäftigter zu<br />
mehreren denkbaren Betriebskonstellationen<br />
innerhalb eines Unternehmens<br />
ohne Betriebsstätte geht.<br />
Folgeprobleme für die<br />
Mitbestimmung<br />
Trifft ein Unternehmen die unternehmerische<br />
Entscheidung, vollständig auf Betriebsstätten<br />
zu verzichten, darf dies nicht<br />
dazu führen, dass die betriebliche Mitbestimmung<br />
erschwert oder gar unterbunden<br />
wird. Verzichtet ein Unternehmen<br />
auf den Unterhalt von Betriebsstätten,<br />
geht dies regelmäßig offenbar mit der<br />
Einstellung einher, dass auch keine Räumlichkeiten<br />
für Betriebsratsarbeit mehr zur<br />
Verfügung gestellt werden können/müssen.<br />
Eine rein virtuelle Betriebsratsarbeit<br />
ist aber bekanntlich (noch) nicht zulässig.<br />
Um beispielsweise den Vorrang der Präsenz<br />
bei Betriebsratssitzungen nach § 30<br />
Abs. 2 Nr. 1 BetrVG erfüllen zu können,<br />
muss zwangsläufig eine für Betriebsratssitzungen<br />
geeignete Räumlichkeit vorgehalten<br />
werden. Das BetrVG sieht in diesem<br />
Zusammenhang ausdrücklich eine<br />
Ausstattung von Betriebsräten mit Räumen<br />
und Sachmitteln vor, die ein Gremium<br />
in die Lage versetzt, seine Arbeit<br />
sachgerecht erledigen zu können, § 40<br />
Abs. 2 BetrVG. Die Kosten trägt in diesem<br />
Zusammenhang der Arbeitgeber, § 40<br />
Abs. 1 BetrVG. An dieser klaren gesetzlichen<br />
Regelung ändert die Entscheidung<br />
eines Unternehmens, vollständig auf Betriebsstätten<br />
zu verzichten, nichts. Dies<br />
DARUM GEHT ES<br />
1. Betriebliche Mitbestimmung muss<br />
auch gewährleistet werden,<br />
wenn es keine Betriebsstätte gibt<br />
und sämtliche Mitarbeitende<br />
virtuell beschäftigt werden.<br />
2. Der Arbeitgeber muss Betriebsräte<br />
– auch wenn es keine Betriebsstätte<br />
gibt – mit Räumen<br />
und Sachmitteln ausstatten.<br />
3. Auch für die viermal im Jahr stattfindenden<br />
Betriebsversammlungen<br />
muss der Arbeitgeber geeignete<br />
Räumlichkeiten vorhalten.<br />
gilt auch für die Durchführung von Betriebsversammlungen.<br />
Gibt es keine geeigneten<br />
betrieblichen Räume, die für<br />
eine Betriebsversammlung genutzt werden<br />
können, hat der Arbeitgeber zur Not<br />
geeignete Räume auf seine Kosten anzumieten,<br />
§ 40 Abs. 1 BetrVG.<br />
Verlässliche Rahmenbedingungen<br />
wünschenswert<br />
Die Gewährleistung betrieblicher Mitbestimmung<br />
ist unter Berücksichtigung der<br />
Regelungen des BetrVG möglich, selbst<br />
wenn keinerlei Betriebsstätten zur Verfügung<br />
gestellt werden und sämtliche Mitarbeitende<br />
virtuell beschäftigt werden.<br />
Der Betriebsbegriff kann unabhängig von<br />
einer konkreten Betriebsstätte definiert<br />
werden. Betriebsräte, die mit einer Auflösung<br />
aktuell noch bestehenden Betriebsstätten<br />
konfrontiert werden, sind<br />
gefordert, einer Unterminierung der betrieblichen<br />
Mitbestimmung konsequent<br />
entgegenzuwirken.<br />
Viele in diesem Zusammenhang auftretende<br />
Streitfragen werden gerichtlich<br />
überprüft werden müssen, woraus sich<br />
dann für die Zukunft hoffentlich verlässliche<br />
Rahmenbedingungen ableiten lassen.<br />
Dieser Artikel erschien zuerst in ungekürzter<br />
Fassung in der Zeitschrift Arbeitsrecht<br />
im Betrieb im Bund-Verlag.<br />
www.bund-verlag.de<br />
Niels Ole Behder<br />
LL.M. Fachanwalt<br />
für Arbeitsrecht<br />
AfA Rechtsanwälte,<br />
Berlin.<br />
www.afa-anwalt.de<br />
Foto: Alan Ovaska
12<br />
FRAUEN<br />
KONSTRUKTIV, ZUGEWANDT<br />
Vereinte Kraft, keine halben Sachen und maximale Ermutigung – das waren<br />
die Devisen der ersten gemeinsamen Frauenkonferenz des ver.di-Fachbereiches<br />
A. Knapp 70 Delegierte der „Finanzdienste, Kommunikation und<br />
Technologie, Kultur sowie Ver- und Entsorgung“ erfüllten sie mit Leben.<br />
Die Frauen werden ihre Interessen auch künftig energisch vertreten – mit<br />
eigenen Strukturen und einem gewählten Vorstand. Über Kompass und<br />
Inhalte herrschte großes Einvernehmen, fast alle Beschlüsse fielen einstimmig.<br />
Neben Referaten zur ver.di-Frauenpolitik und zur Lage im Energiesektor<br />
bestimmten acht Themen in Form eines Worldcafés die Konferenzdebatten.<br />
VON HELMA NEHRLICH<br />
Konstruktiv und zugewandt, aber durchaus<br />
auch selbstbewusst, so präsentierte<br />
sich diese 1. Bundesfachbereichsfrauenkonferenz<br />
am 22. und 23. Februar <strong>2023</strong>.<br />
Sie startete nicht am Punkt Null. Das<br />
machten Nicole Seelemann-Wandtke und<br />
Ayse Tekin, die bislang Fraueninteressen<br />
im Gründungsvorstand des neuen Fachbereiches<br />
vertreten hatten, schon zur Begrüßung<br />
klar. Durch alle Debatten zog<br />
sich der Begriff des „Arbeitspakets Frauen-<br />
und Gleichstellungspolitik“, der sich<br />
DER NEUE FRAUENFACHBEREICHSVORSTAND<br />
für die engagierte Vorbereitungs- und<br />
Koordinierungsarbeit frauenspezifischer<br />
Themen sowie für ihre Streiterinnen im<br />
künftigen ver.di-Fachbereich eingebürgert<br />
hatte.<br />
In Ergänzung des schriftlichen Geschäftsberichts<br />
wurden Aktive interviewt,<br />
die sich in diesem Formierungsprozess<br />
bereits für Frauenanliegen stark gemacht<br />
hatten. Sigrid Schubecker aus dem Bereich<br />
Finanzdienste etwa berichtete, wie<br />
es unter Pandemiebedingungen trotzdem<br />
gelungen sei, ein Projektpapier und Satzungsvorschläge<br />
zu erarbeiten, um Frauen<br />
Nicole Seelemann-Wandtke (IKT), Susanne Treptow (IKT), Yvonne Schroeder<br />
(IKT), Martina Uhlenbrok (IKT), Lisa-Marie Brüllke (IKT), Berlinda Kestler, Sigrid<br />
Schubecker, Chris Henke (IKT), Claudia Kipferler (IKT), Tanja Endres (IKT), Regina<br />
Fischer, Frauke Hüttmann, Christiane Kutil-Bleibaum, Nicole Schlabach, Iris<br />
Frisch, Sabine Knappe, Sophia Nerrether, Claudia Kettenbeil, Sandra Becker,<br />
Jasmin Bozok, Gisela Basler-Wind (IKT), Andrea Dube (IKT), Veronika Moos (IKT)<br />
und Verena Barg (IKT). Ein weiteres Mandat ist noch nicht besetzt.<br />
* In Klammern gekennzeichnet die Kolleginnen aus der Fachgruppe IKT<br />
im neuen Fachbereich „sichtbar zu machen<br />
und die Arbeit mitzugestalten“. Frauen<br />
hätten „überall in den bisher gewählten<br />
Gremien Mandate bekommen“, darin<br />
sah Energiewerkerin Frauke Hüttmann ein<br />
Highlight des bisherigen Engagements.<br />
Dass „nichts Gutes verlorengeht“, war Antrieb<br />
für Walburga Rempe-Baldin, Freiberuflerin<br />
im Medien- und Kulturbereich, wo<br />
heterogene Interessenvertretung bereits<br />
über einen Frauenvorstand koordiniert<br />
worden war. Projektleiterin Alkmene Maiwald<br />
würdigte Gestaltungswillen und<br />
Enthusiasmus der Mitstreiterinnen im Arbeitspaket,<br />
deren Erfahrungen und Vorschläge<br />
auch in die Vorbereitung der<br />
Konferenz eingeflossen seien.<br />
Eigener Vorstand<br />
Nur folgerichtig schien, dass für die künftige<br />
Form der Arbeit im Fachbereich der<br />
weitestgehende Vorschlag die Zustimmung<br />
der Delegierten fand: Statt sich nur<br />
offener oder projektbezogener Arbeit zu<br />
bedienen, votierte die Konferenz einstimmig<br />
für die Bildung eines Bundesfachbereichsfrauenvorstandes,<br />
der – mit eigenem<br />
Budget und Gestaltungskompetenz<br />
ausgestattet – Fraueninteressen im neuen<br />
Fachbereich vertreten soll. Vierundzwanzig<br />
Gewählte aus den verschiedenen<br />
Fachgruppen und Landesbezirken erhielten<br />
den Rückhalt der Delegierten, nun mit<br />
vereinter Kraft Fraueninteressen voranzubringen.<br />
„Keine Anpassung an die Vorstellungen<br />
alter weißer Männer!“ ermutigte<br />
auch Bundesfachbereichsleiter Christoph
13 <strong>KOMM</strong> 02/<strong>2023</strong><br />
UND SELBSTBEWUSST<br />
Schmitz die Teilnehmerinnen zur spezifischen<br />
Wahrnehmung ihrer Interessen:<br />
„Machen wir uns nichts vor, diese Gesellschaft<br />
ist immer noch strukturell patriarchalisch.<br />
Wir müssen gemeinsam mit den<br />
Männern immer wieder Impulse setzen<br />
– auch in der Gewerkschaft, in den Interessenvertretungen,<br />
Tarifkommissionen<br />
und Vorständen – um Strukturen und<br />
Denken zu verändern.“ Da bleibe viel zu<br />
tun. Und es gehöre zum Wesen von Neuerungen,<br />
dass beim Ausprobieren auch<br />
„mal etwas schiefgehen könne“.<br />
Breit gefächerte Themen<br />
Vorschläge als „ganzen Fächer frauenpolitischer<br />
Themen, mit denen Ihr euch<br />
künftig beschäftigen könntet“, offerierte<br />
Alexa Wolfstädter vom ver.di-Bereich<br />
Frauen- und Gleichstellungspolitik. Das<br />
Risiko eines „frauenpolitischen Roll-Back“<br />
sei real, betonte sie in ihrem Impulsreferat.<br />
„Die aktuellen globalen Krisen sind<br />
nur gut zu lösen, wenn frauenpolitische<br />
Fragen darin integriert sind.“ Das schließe<br />
die Verringerung und Beseitigung gravierender<br />
Gender-Lücken ein, die zumeist<br />
auch im Gleichstellungsbericht der Bundesregierung<br />
benannt würden: von einer<br />
Digitalisierungs-Lücke, über den bekannten<br />
Gender-Pay-Gap, die ungerechte Verteilung<br />
von Sorgearbeit, nötige Umverteilungen<br />
in der Arbeitszeitpolitik bis hin zur<br />
vielfach existenziell bedrohlichen Renten-Lücke.<br />
Diese und weitere Themen spiegelten<br />
sich nachfolgend an den „Thementischen“<br />
des Worldcafés wieder. Den unterschiedlich<br />
angelegten, parallel laufenden<br />
Diskussionsforen konnten sich die<br />
Teilnehmerinnen nach eigener Wahl anschließen,<br />
Fragen aufwerfen und Vorschläge<br />
einbringen. Dabei ging es um die<br />
tarifpolitische Arbeit von Frauen, um<br />
Frauen und Digitalisierung, um Homeoffice<br />
und das „New Normal“ im Bereich<br />
Gute Arbeit, um Kommunikation, Netzwerken<br />
und die Gewinnung von mehr<br />
weiblichen Nachwuchskräften, etwa mit<br />
dem Projekt RONJA, aber auch um Sexismus<br />
und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz<br />
oder die Vorstellung der Vertrauensstelle<br />
Themis.<br />
Mit Blick auf die Digitalisierung sei es<br />
nicht leicht, einen „frauenspezifischen<br />
Zuschnitt“ zu finden, erläuterte Dorothea<br />
Forch von der Bundesfachgruppe IKT bei<br />
der späteren Auswertung, da sie alle Beschäftigten<br />
betreffe. Doch gehe es vor<br />
allem bei nötigem Nachteilsausgleich darum,<br />
Frauenbedürfnisse stärker zu berücksichtigen<br />
und dafür in der Arbeitswelt<br />
Verbündete und Unterstützer zu<br />
finden.<br />
Gewerkschaftliches Arbeitspaket<br />
Etliche solcher Schwerpunkte fanden sich<br />
in Anträgen wieder, die die Konferenz am<br />
Abschlusstag verabschiedete. Eine einstimmig<br />
beschlossene tarifpolitische Forderung<br />
verlangt etwa die Prüfung aller<br />
neu verhandelten Tarifverträge im Fachbereich<br />
auf die Einhaltung von Entgeltgleichheit.<br />
Weitere Anträge zielen darauf,<br />
die Arbeitsbedingungen von Frauen in<br />
selbstständiger Erwerbsarbeit stärker zu<br />
fördern sowie angemessene Basishonorare<br />
für selbstständige Kreative durchzusetzen.<br />
Im Rahmen der gewerkschaftlichen<br />
Digitalisierungsstrategie für Geschlechtergerechtigkeit<br />
zu sorgen und Qualifizierung<br />
zur Beschäftigungssicherung in<br />
Digitalisierungsprozessen zu nutzen, darauf<br />
zielten zwei spezielle Anträge. Die<br />
Delegierten stimmten für einen höheren<br />
Frauenanteil in TOP-Führungspositionen<br />
und forderten eine gerechtere Arbeitszeitpolitik.<br />
Dazu zählten sie eine gesetzlich<br />
verbriefte bedingungslose Rückkehrmöglichkeit<br />
in ein Vollzeitarbeitsverhältnis,<br />
eine Informationspflicht für Arbeitgeber<br />
bei Rückkehrgesprächen aus der<br />
Elternzeit sowie die Gewährung von<br />
Freistellungen für ehrenamtliche gewerkschaftliche<br />
Arbeit. Einhellige Zustimmung<br />
fand auch der Antrag, sich für die Streichung<br />
der unverhältnismäßigen Einkommensprüfung<br />
für die Grundrente einzusetzen.<br />
Dass die Bundesfachbereichskonferenz<br />
eine Resolution „Frauen. Leben.<br />
Freiheit. Solidarität mit dem Widerstand<br />
iranischer Frauen“ ebenfalls einstimmig<br />
angenommen hat, auch das ein Zeichen<br />
der Ermutigung.<br />
Helma<br />
Nehrlich<br />
Freie Journalistin<br />
Foto: privat Fotos: Stephanie von Becker
14<br />
CITIZEN DEVELOPMENT<br />
Demokratisierung der IT<br />
Mitarbeitende reagieren sehr unterschiedlich auf sich immer schneller verändernde<br />
disruptive Technologien. Die einen sind vom Fortschritt begeistert<br />
und probieren neue digitale Tools direkt aus, andere sind verunsichert und<br />
bangen gar um ihren Job. Vermehrt macht in diesem Kontext der Begriff der<br />
demokratischen IT die Runde, die für mehr Transparenz und Vertrauen<br />
sorgen soll. Was steckt dahinter und welchen konkreten Nutzen können<br />
Mitarbeitende daraus ziehen?<br />
Prozesse besser feststellen können als<br />
jene Mitarbeitenden, die auch täglich damit<br />
zu tun haben? Die Barriere zwischen<br />
den Menschen, die die Software schreiben<br />
und den Menschen, die die Software<br />
nutzen, wird damit aufgebrochen und<br />
Raum geschaffen für ein neues Zusammenarbeiten.<br />
Digitale Veränderungsprozesse werden<br />
meist nach dem Top-Down-Prinzip durchgeführt,<br />
bei dem unternehmensweite<br />
Entscheidungen von der obersten Führungsebene<br />
getroffen und dann dem<br />
restlichen Team mitgeteilt werden. Mit<br />
Citizen Development kommt ein neuer<br />
Ansatz ins Spiel, der wie kein anderer für<br />
die Demokratisierung der IT steht. Im Fokus<br />
stehen dabei die einzelnen Mitarbeitenden,<br />
die aktiv in die Software-Entwicklung<br />
integriert werden. Die sogenannten<br />
Citizen Developer sind Mitarbeitende einer<br />
Organisation, die nicht in der IT tätig<br />
sind und dennoch digitale Prozesse aus<br />
eigener Kraft umsetzen können.<br />
Mit No Code zum Digitalisierungsprofi<br />
werden<br />
Wenn Mitarbeitende ohne formale Ausbildung<br />
in der Softwareentwicklung Anwendungen<br />
erstellen, nennt man das<br />
„Bürgerentwicklung“ oder auch „Citizen<br />
Development“. Da diese Anwender in der<br />
Regel keine Programmiersprachen beherrschen,<br />
benötigen Sie Werkzeuge, die<br />
ohne Programmiercode auskommen. Realisiert<br />
wird das Ganze mit Unterstützung<br />
von sogenannten No-Code-Tools, die<br />
Usern die Erstellung von Anwendungssoftware<br />
mittels Drag-and-drop von vorgefertigten<br />
Bausteinen ermöglichen.<br />
No-Code-Technologie ist branchenübergreifend<br />
überall dort im Einsatz, wo analoge<br />
in digitale Prozesse umgewandelt<br />
werden sollen. So lassen sich beispielsweise<br />
klassische Klemmbrettprozesse wie<br />
Checklisten, Abnahmen und Protokolle<br />
spielend leicht digitalisieren.<br />
In der Logistikbranche etwa wird No<br />
Code eingesetzt, um den Wareneingang<br />
zu dokumentieren, Qualitätssicherungen<br />
durchzuführen, Schäden zu melden und<br />
viele weitere Prozesse digital abzubilden.<br />
Im Energiesektor werden Zählerstände<br />
erfasst, Instandhaltungen angestoßen<br />
und Wartungen protokolliert. So hat jede<br />
Branche seine typischen Einsatzgebiete.<br />
Und wer im Unternehmen sollte den Optimierungsbedarf<br />
der täglich gelebten<br />
Digitale Fertigkeiten<br />
ausbauen<br />
Wenn Mitarbeitende merken,<br />
dass sie bei der Frage nach neuen<br />
Digitalisierungstools nicht<br />
länger in der passiven Rolle feststecken,<br />
sondern eine aktive<br />
Treiberrolle einnehmen können,<br />
wirkt sich das positiv auf den<br />
Arbeitsalltag und das Zugehörigkeitsgefühl<br />
im Unternehmen<br />
aus. Citizen Developer, die zuvor<br />
womöglich gar keine Berührungspunkte<br />
mit IT-Themen hatten,<br />
erlernen neue digitale Skills,<br />
die sie einsetzen können, um ihr<br />
Team oder Umfeld zu optimieren.<br />
Denn wer selbst unmittelbar<br />
an der Digitalisierung der<br />
eigenen Prozesse beteiligt ist,<br />
fördert dadurch auch das eigene<br />
Prozessdenken. Doch prinzipiell<br />
gilt: Teilhabe wird in der Regel<br />
nicht auf dem Silber tablett serviert! Um<br />
das volle Potenzial von Konzepten wie<br />
Citizen Development auszuschöpfen, ist<br />
Pro-Aktivität von allen Seiten gefragt.<br />
Technologie dient dem Menschen<br />
und nicht andersherum<br />
Veränderungsprozesse gehen immer mit<br />
neuen Herausforderungen einher. Umso<br />
wichtiger ist es, den Menschen dabei im<br />
Fokus zu behalten und ihn aktiv am Wandel<br />
zu beteiligen. Eine offene Kommunikation<br />
über Bedenken, Risiken und Ängste<br />
sowie Transparenz sind dabei essenziell.<br />
Denn nur Mitarbeitende, die keine<br />
Angst vor Veränderungen (mehr) haben,<br />
werden diese aktiv unterstützen. Zudem<br />
ist es sinnvoll, Lernkonzepte zu erstellen<br />
und auch Freiräume für Versuch und Irrtum<br />
zu schaffen. Wenn Unternehmen<br />
diese Faktoren bedenken und den Menschen<br />
bei allen Entscheidungen in den<br />
Mittelpunkt des Handelns stellen, können<br />
Bedenken beseitigt und die Chancen<br />
neuer Technologien ergriffen werden.
15 <strong>KOMM</strong> 02/<strong>2023</strong><br />
ENERGIEGELD<br />
ver.di fordert Gleichbehandlung<br />
Die Telekom zahlt im März<br />
<strong>2023</strong> eine Infla tions ausgleichsprämie<br />
in Höhe von<br />
1000 Euro, allerdings nur<br />
an ihre Tarifbeschäftigten<br />
und an beurlaubte Beamt:innen.<br />
Die Zahlung an<br />
die bei ihr beschäftigten<br />
aktiven und zugewiesenen<br />
Beamtinnen und Beamte<br />
hat die Telekom kategorisch<br />
abgelehnt.<br />
VON ANITA SCHÄTZLE<br />
Hohe Inflation und stark gestiegene<br />
Preise, insbesondere<br />
bei Energie und Lebensmitteln,<br />
machen das gewohnte<br />
Leben teuer. Davon betroffen<br />
sind die Tarifbeschäftigten,<br />
aber ebenso die Beamt:innen<br />
im Telekom-Konzern. Eine freiwillige<br />
Sonder zahlung des Arbeitgebers kann<br />
ent lasten.<br />
Inflationsausgleichsprämie<br />
Bis zu 3000 Euro können Arbeitgeber:innen<br />
seit dem 26. Oktober 2022 bis Ende<br />
2024 als freiwillige Leistung ihren Beschäftigten<br />
steuer- und abgabenfrei gewähren.<br />
Die Inflationsausgleichsprämie<br />
ist Teil des dritten Entlastungspakets vom<br />
3. September 2022. Grundlage ist das<br />
„Gesetz zur temporären Senkung des<br />
Umsatzsteuersatzes auf Gaslieferungen<br />
über das Erdgasnetz“.<br />
Telekom lehnt ab<br />
ver.di hat die Telekom aufgefordert, unabhängig<br />
von der Tarif- und Besoldungsrunde<br />
Öffentlicher Dienst (ÖD), ihren aktiven<br />
und zugewiesenen Beamt:innen<br />
eine Inflationsausgleichsprämie zu zahlen.<br />
Die Telekom verweist jedoch auf die<br />
laufende Tarifrunde ÖD für Bund und<br />
Kommunen. Sollte das Tarifergebnis ein<br />
Energiegeld enthalten, ist grundsätzlich<br />
von einer Übertragung auf die Bundesbeamt:innen<br />
per Gesetz auszugehen. Doch<br />
abhängig vom Betrag eines solchen Energiegeldes<br />
kann letztlich eine Differenz zu<br />
dem von der Telekom an ihre Tarifbeschäftigten<br />
und beurlaubten Beamt:innen<br />
gezahlten Energiegeld entstehen. ver.di<br />
fordert die Telekom auf, in diesem Fall<br />
eine gegebenenfalls entstehende Differenz<br />
auszu gleichen.<br />
Foto: ©Wolfilser – stock.adobe.com<br />
BESOLDUNG<br />
Amtsangemessene Besoldung auf Kante genäht<br />
Der Entwurf eines „Bundesbesoldungs-<br />
und -versorgungsangemessenheitsgesetz“<br />
(BBVAngG) des Bundesministeriums<br />
des Innern und für<br />
Heimat (BMI) liegt in zweiter Fassung<br />
vor. Kernpunkt ist eine Novellierung<br />
des Familienzuschlags.<br />
Hintergrund ist die Umsetzung zweier<br />
Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen<br />
aus 2020 (2 BvL 4/18 und 2 BvL 6/17<br />
u. a.) zum Alimentationsprinzip. Deutliche<br />
Kritikpunkte gab es bereits zur ersten Fassung,<br />
die Zweite ist noch enttäuschender.<br />
Der Familienzuschlag Stufe 1 (Verheiratetenzuschlag)<br />
soll abgeschafft werden. Der<br />
kindbezogene Familienzuschlag bleibt in<br />
weiten Teilen unverändert. Ein alimentativer<br />
Ergänzungszuschlag (AEZ) soll – abhängig<br />
vom Familienstand und von der<br />
mittels Wohngeldgesetz zugeordneten<br />
Mietenstufe des Wohnorts inklusive eines<br />
Abschmelzbetrags – eingeführt, die Einstiegsgrundgehälter<br />
im einfachen und<br />
mittleren Dienst sowie die Beihilfebemessungssätze<br />
für berücksichtigungsfähige<br />
Angehörige und Kinder auf 90 Prozent<br />
sowie für die beihilfeberechtigte Person<br />
ab dem ersten Kind auf 70 Prozent angehoben<br />
werden.<br />
ver.di und der DGB fordern eine echte<br />
Besoldungsreform. Das betrifft insbesondere<br />
das Spannungsgefüge zwischen den<br />
Besoldungsgruppen und den Leistungsstufen<br />
innerhalb der Tabelle. Ein auf Kante<br />
genähtes Konstrukt aus Einzelmaßnahmen<br />
führt weder zu angemessener Besoldung<br />
noch zur Stärkung der Familien.<br />
Anita Schätzle<br />
Gewerkschaftssekretärin<br />
i. R.<br />
Foto: privat
16<br />
GEWERKSCHAFTEN HELFEN<br />
Spendenaufruf für Erdbebenopfer<br />
In der Nacht vom 5. auf den 6. Februar <strong>2023</strong> traf ein Erdbeben der Stärke<br />
7,8, gefolgt von Dutzenden, teils schweren Nachbeben die syrisch-türkische<br />
Grenzregion. Tausende Menschen sind ums Leben gekommen, noch viel<br />
mehr verletzt. Sowohl im Südosten der Türkei als auch im Norden Syriens<br />
sind unzählige Gebäude eingestürzt. Das Ausmaß der Zerstörung und deren<br />
Folgen sind noch kaum zu überblicken, auch weil Telefonnetze und das<br />
Internet teilweise zusammengebrochen sind.<br />
Die Lage ist dramatisch und trifft ein Gebiet,<br />
das vielerorts schon vor dem Erdbeben<br />
in Trümmern lag. In der gesamten<br />
Region leben Millionen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge,<br />
deren Situation sich<br />
durch das Erdbeben noch einmal drastisch<br />
verschlechtert hat.<br />
Schnell, unbürokratisch und umfassend<br />
muss den Menschen geholfen werden,<br />
die alles verloren haben und bei eisigen<br />
Temperaturen auf Unterstützung<br />
warten. Wir Gewerkschaften stehen für<br />
praktische Solidarität. Sei auch du dabei,<br />
den betroffenen Menschen in ihrer akuten<br />
Not solidarisch zu helfen. Der Verein<br />
des DGB „Gewerkschaften helfen e. V.“<br />
hat dafür ein Spendenkonto unter dem<br />
SPENDENKONTO<br />
Stichwort „Erdbeben Türkei und Syrien“<br />
eingerichtet (siehe Kasten).<br />
Spender*innen, die eine Spendenquittung<br />
erhalten möchten, geben bitte direkt<br />
in der Überweisung ihren vollständigen<br />
Namen und ihre Adresse an. Ihnen<br />
wird die Spendenbescheinigung automatisch<br />
zu Beginn des nächsten Jahres<br />
zugesendet.<br />
Danke für deine Spende.<br />
Gewerkschaften helfen!<br />
Stichwort: Erdbeben Türkei und Syrien<br />
IBAN: DE55 2505 0000 0152 0114 90<br />
BIC: NOLADE2HXXX<br />
Anzeige<br />
ERDBEBEN IN SYRIEN<br />
UND DER TÜRKEI<br />
Füreinander da, wenn es darauf ankommt<br />
©istock.com/MeteCanerArican<br />
Die Situation in den Erdbebengebieten in Syrien und der Türkei ist verheerend und erfordert unsere Solidarität<br />
mit den Kolleginnen und Kollegen, die ihre Wurzeln in den betroffenen Gebieten haben.<br />
Unterstützungen sind für folgende Kosten möglich:<br />
• Belegte Reisekosten (Flugtickets/Bahnfahrkarte/Tankbelege)<br />
bis zu insgesamt 1.000 Euro pro antragstellender Person für<br />
– Reisen zum/vom Erdbebengebiet für Beschäftigte rund<br />
um Post, Postbank und Telekom **<br />
– Reisen vom Erdbebengebiet nach Deutschland für nahe<br />
Verwandte *<br />
• Pauschale Unterstützung für Anschaffungen, wenn nahe Verwandte<br />
* im eigenen Haushalt in Deutschland aufgenommen<br />
werden (500 Euro pro Person, bis maximal 1.500 Euro)<br />
Bei der Antragstellung wird die finanzielle Situation des/der<br />
Beschäftigten geprüft. Das Einkommen darf die in § 53 Nr. 2<br />
der Abgabenordnung genannten Grenzen nicht übersteigen.<br />
* Nahe Verwandte. Eltern, Großeltern, Schwiegereltern, Ehegatten, Lebenspartner*innen,<br />
Geschwister, Kinder und Kinder des Ehegatten oder Lebenspartners<br />
(auch Adoptiv- oder Pflegekinder), Ehepartner*innen der Kinder,<br />
Enkelkinder, Schwägerinnen und Schwager, Nichten und Neffen<br />
** Unter www.betreuungswerk.de/organisationen finden Sie die vollständige<br />
Liste der betreffenden Unternehmen.<br />
Weitere Informationen finden Sie unter:<br />
www.betreuungswerk.de/erdbeben.<br />
BETREUUNGSWERK Post Postbank Telekom<br />
Nauheimer Straße 98 | 70372 Stuttgart<br />
mail@betreuungswerk.de | www.betreuungswerk.de<br />
Telefon: 0711 9744-13605