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SPRACHROHR 6/2008

Zeitung des ver.di-Landesfachbereichs Medien, Kunst und Industrie Berlin-Brandenburg.

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6|08 sprachrohr<br />

blickpunkt meinung<br />

Wider das Vergessen<br />

70 Jahre nach der Pogromnacht: VS-Lesungen im Sophie-Charlotte-Gymnasium<br />

Die schöne, anlässlich des 150-<br />

jährigen Bestehens der Schule<br />

2007 restaurierte Aula des Charlottenburger<br />

Gymnasiums war<br />

gefüllt mit Zuhörern aller Altersstufen.<br />

Zu Beginn der Matinee<br />

wurden Bilder der Holocaust-<br />

Überlebenden Helga Weissová-<br />

Hosková gezeigt. Vier Schüler berichteten<br />

abwechselnd von der<br />

tschechischen Künstlerin, die der<br />

Vater beschworen hatte: »Zeichne,<br />

was du siehst!«. Bilder, die sie<br />

noch als Kind in Theresienstadt<br />

malte, wurden dort vergraben<br />

und damit aufbewahrt. Zu dem<br />

Bericht spielte ein kleines Schulorchester<br />

– zum ersten Mal vor<br />

Publikum, wie der Direktor, sein<br />

Jüngstes auf dem Arm, bei der<br />

Begrüßung sagte.<br />

Tägliche Warnsignale<br />

für die Gesellschaft<br />

Fotos: transit/v. Polentz<br />

Versierte Programmgestaltung durch Schülerinnen und Schüler<br />

Inge Deutschkron: »Ich trug<br />

den gelben Stern«<br />

Der Berliner VS-Vorsitzende<br />

Horst Bosetzky verwies in seinem<br />

Grußwort auf zahlreiche Schullesungen<br />

von VS-Mitgliedern zum<br />

9. November in den vergangenen<br />

Jahren.<br />

Dann las Inge Deutschkron,<br />

vormals Schülerin dieser Schule.<br />

Aus ihrem Buch »Ich trug den<br />

gelben Stern« wählte sie die ersten<br />

Szenen, die sich 1938 am 9.<br />

und 10. November bei ihr zu Hause<br />

abgespielt hatten, und die ihren<br />

Vater als einen Menschen zeigen,<br />

der bis dahin meinte, sich als<br />

loyaler Bürger den Behörden zu<br />

stellen, wenn er dazu aufgefordert<br />

wird. In der anschließenden<br />

Diskussion betonte die Autorin<br />

unter Beifall, sie wolle nach wie<br />

vor alles tun, damit Parteien wie<br />

die NPD verboten werden.<br />

Horst Bosetzky las aus seinem<br />

Roman »Zwischen Kahn und<br />

Kohlenkeller« Passagen, in denen<br />

die seinem Vater entlehnte Hauptfigur<br />

als SPD-Mitglied 1928 in<br />

Versuchung gerät, sich von den<br />

Nazis anwerben zu lassen. In der<br />

Diskussion wurde u. a. angemerkt,<br />

wie geschickt heutzutage<br />

rechte Parteien linke Positionen<br />

auf Deutschtum wenden (»Arbeitsplätze<br />

zuerst für Deutsche!«)<br />

und benutzen, politisch enttäuschte,<br />

verunsicherte Menschen<br />

für sich zu gewinnen.<br />

Regina Scheer schließlich las<br />

über die weithin unbekannte Fancia<br />

Glück, die seinerzeit – gemeinsam<br />

auch mit nichtjüdischen<br />

Der Kreis hat<br />

sich geschlossen<br />

Widerständlern – Juden mit gefälschten<br />

Ausweispapieren zum<br />

Überleben verhalf. Die Retterin<br />

selbst wurde nach Theresienstadt<br />

deportiert, konnte fliehen, wurde<br />

aber, erneut aufgegriffen, noch<br />

am 3. März 1945 in Theresienstadt<br />

erhängt. Einige Fotos von<br />

Fancia Glück, auf die sich Regina<br />

Scheer bezog, wurden auf die<br />

Aula-Leinwand projiziert. In der<br />

Diskussion ergab sich, dass die<br />

Porträtierte auch Inge Deutschkron<br />

nicht unbekannt war, wodurch<br />

sich gewissermaßen der<br />

Kreis schloss.<br />

Moderiert wurde die Matinee<br />

erstaunlich versiert von dem<br />

Schüler Maximilian Klose. Die gesamte<br />

Veranstaltung war, nach<br />

einer Anregung auf der VS-Mitgliederversammlung,<br />

durch das<br />

Gymnasium ausgezeichnet organisiert.<br />

Der gelungenen und würdigen<br />

Matinee folgten in den Tagen<br />

darauf Einzellesungen von<br />

VS-Kollegen in verschiedenen<br />

Deutschkur sen der Schule.<br />

Charlotte Worgitzky<br />

Nach wochenlangen Streiks zwei Tarifverträge<br />

Öffentlicher Dienst erhält Sockelbeträge – Nachteile wegen Streikbeteiligung ausgeschlossen<br />

Nach neuerlichen mehrwöchigen<br />

Streiks im öffentlichen Dienst<br />

von Berlin wurden im November<br />

ein Lohn- und Vergütungstarifvertrag<br />

und ein Vorbereitungstarifvertrag<br />

für den künftigen Verhandlungsfahrplan<br />

erreicht, um<br />

Anschluss an die Flächentarifverträge<br />

der anderen Bundesländer<br />

und Kommunen zu halten. Danach<br />

gelten die zunächst gekündigten<br />

Monatslohn- und Vergütungstarifverträge<br />

wieder, können<br />

erst zum 31. Dezember 2009<br />

Keine Verhandlung zu<br />

längerer Absenkung<br />

erneut gekündigt werden. Ab Juni<br />

ist für alle Angestellten, Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter ein monatlicher<br />

Sockelbetrag von 65 € zu zahlen,<br />

Azubis erhalten 35 €, Teilzeitbeschäftigte<br />

anteilige Beträge.<br />

Dieser Sockel erhöht den Stundenlohn,<br />

ist unabhängig von der<br />

Höhe der Absenkung von acht,<br />

zehn und 12 Prozent und Bestandteil<br />

des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes.<br />

Im Vorbereitungstarif hat sich<br />

das Land verpflichtet, keine Verhandlungen<br />

zur Verlängerung der<br />

Absenkungsprozente für die Zeit<br />

nach dem 31. Dezember 2009 aufzunehmen.<br />

Gesprochen werden<br />

soll dagegen über das Inkraft treten<br />

des neuen Manteltarifrechtes<br />

(TVöD und TV-L) mit den entsprechenden<br />

Überleitungsregelungen<br />

auch für das Land Berlin ab 1. Januar<br />

2010 bei Erhalt des Sockelbetrages.<br />

Offen ist, ob für Angestellte<br />

und Arbeiter wie bisher unterschiedliches<br />

Tarifrecht gelten soll.<br />

Das Land wird mit den Gewerkschaften<br />

Gespräche zur Übernahme<br />

von Azubis führen. Ausgeschlossen<br />

wurden zudem Maßregelungen<br />

und finanzielle Nachteile<br />

wegen Streikteilnahme. ver.di-Fazit:<br />

»Der Senat weiß jetzt, dass er nicht<br />

nach Belieben mit seinen Beschäftigten<br />

umspringen kann.« red.<br />

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