Heft 3/2001: "Der Balkan: Was bringt die Zukunft?" - unhcr
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EDITORIAL<br />
Ist das Glas halb voll<br />
oder halb leer?<br />
© S. SALGADO/ALB•1999<br />
Es war einer <strong>die</strong>ser beunruhigenden Widersprüche,<br />
<strong>die</strong> für <strong>die</strong> Situation auf dem <strong>Balkan</strong> so<br />
charakteristisch sind.<br />
Einerseits standen Vertreter der slawischen und der<br />
albanischen Volksgruppen unmittelbar vor der Unterzeichnung<br />
eines umfassenden Friedensvertrags für <strong>die</strong><br />
Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien; andererseits<br />
gab es wie in den gesamten sechs Monaten zuvor<br />
Meldungen über anhaltende Kämpfe zwischen den beiden<br />
Konfliktparteien nahe der Hauptstadt Skopje.<br />
Die feierliche Unterzeichnung, an <strong>die</strong> sich viele Hoffnungen<br />
knüpften, barg immer noch so viel Sprengstoff,<br />
dass Ort und Zeitpunkt dafür bis zur letzten Minute<br />
geheim gehalten wurden.<br />
Die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien<br />
war jedoch nur der jüngste Konfliktherd in der Region.<br />
Selbst in den Ländern, in denen <strong>die</strong> Waffen seit geraumer<br />
Zeit schweigen, war <strong>die</strong> Lage für Flüchtlinge<br />
und andere Vertriebene ebenfalls voller Widersprüche.<br />
Bis zu 1,8 Millionen Menschen sind in den letzten<br />
Jahren an ihre früheren Wohnorte in ihren Herkunftsländern<br />
zurückgekehrt. Selten hat sich das Schicksal so<br />
rasch gewendet wie nach der Vertreibung fast der<br />
gesamten albanischen Bevölkerungsgruppe des Kosovo<br />
1999. Ermutigend ist auch, dass in Bosnien und Herze-<br />
gowina immer mehr Menschen in Gebiete zurückkehren,<br />
in denen sie zur ethnischen Minderheit zählen<br />
werden. Selbst Serbien, das lange ausschließlich als<br />
Urheber der „ethnischen Säuberungen“ galt, hat zum<br />
ersten Mal wieder Angehörige einer ethnischen Minderheit<br />
zurückkehren lassen – ethnische Albaner, <strong>die</strong><br />
während des Konflikts geflohen waren.<br />
In Kroatien und Jugoslawien haben demokratische<br />
Regierungen <strong>die</strong> autoritären Regime abgelöst.<br />
Die Überstellung von Slobodan Milosevic nach Den<br />
Haag hat Hoffnungen geweckt, dass bald auch andere<br />
mutmaßliche Kriegsverbrecher festgenommen werden<br />
können.<br />
Es gibt aber auch weiterhin große ungelöste Probleme.<br />
Schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen warten<br />
immer noch darauf, zurückkehren zu können, und es ist<br />
heute vielleicht schwieriger als in der Vergangenheit,<br />
ihnen dabei zu helfen. Schätzungsweise 230.000 Serben,<br />
Roma und Angehörige anderer Minderheiten, <strong>die</strong> das<br />
Kosovo nach der Rückkehr der Albaner in einer<br />
zweiten Fluchtwelle verließen, sind angesichts ihrer<br />
unsicheren Lage zunehmend frustriert. In Jugoslawien<br />
leben nach wie vor 390.000 Flüchtlinge aus früheren<br />
Konflikten.<br />
Die Mittel für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit<br />
werden immer knapper, obwohl<br />
der Wiederaufbau von Wohnraum und Infrastruktur<br />
noch längst nicht abgeschlossen ist.<br />
In manchen Gebieten sind Korruption und ethnischer<br />
Hass weit verbreitet.<br />
An einem Tag wird in Bosnien ein sechzehnjähriges<br />
Mädchen rücksichtslos niedergeschossen und durch<br />
einen solchen Vorfall monate- oder jahrelange geduldige<br />
Vermittlungsarbeit zwischen den verfeindeten Volksgruppen<br />
zunichte gemacht. Und 24 Stunden später gibt<br />
es im Kosovo Anlass zu Optimismus, weil ein Projekt<br />
zum Wiederaufbau der Häuser von 50 serbischen Rückkehrern<br />
beginnt.<br />
Auf dem <strong>Balkan</strong> ist weiterhin unklar, ob <strong>die</strong> Optimisten<br />
oder <strong>die</strong> Pessimisten Recht behalten werden.<br />
2 FLÜCHTLINGE NR. 3/<strong>2001</strong>