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Heft 3/2001: "Der Balkan: Was bringt die Zukunft?" - unhcr

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Eine einst blühende Roma-Gemeinschaft in Mitrovica wurde zerstört. Mehrere tausend Roma leben in Sammelunterkünften<br />

und Lagern und warten auf den Tag, an dem sie zurückkehren können.<br />

Salvatore in Südserbien. Die „glücklichen“ 145 Roma leben in rostfarbigen<br />

umgerüsteten Containern. Eine Familie mit zehn Personen<br />

bewohnt ein „Zimmer“ von fünfeinhalb mal fünfeinhalb<br />

Metern. Zum Schlafen haben sie ein Bett und ansonsten übereinander<br />

gelegte Teppiche auf dem Fußboden. An einer Wand<br />

des Containers hängt ein Webteppich mit dem Konterfei von Elvis<br />

Presley. „Einer der Helden meiner Jugend“, sagt <strong>die</strong> Mutter.<br />

Die „Unglücklichen“ hausen in wackeligen Konstruktionen<br />

aus Plastikplanen und Karton, <strong>die</strong> häufig keine Türen haben und<br />

bei Regen unter <strong>Was</strong>ser stehen.<br />

Es gibt keine Arbeit, und ein Stück Brennholz kostet den Gegenwert<br />

von 2,50 Euro.<br />

Uns schlägt ein Hagel von Klagen entgegen. „Wir haben keine<br />

Arbeit, keine Lebensmittel, keine <strong>Zukunft</strong>. Meine Tochter liegt im<br />

Sterben. Ich werde versuchen, sie am Leben zu halten, aber wenn<br />

sie stirbt, gebe ich sie bei Ihnen im Büro ab“, sagt ein junger Mann.<br />

„Es herrscht Frieden, aber für uns gibt es noch immer keine Hoffnung“,<br />

fügt ein anderer hinzu.<br />

Eine ungewöhnliche Begebenheit mischt sich in <strong>die</strong> Erinnerungen<br />

an <strong>die</strong>se bedrückende Szenerie. In einer Ecke des Geländes<br />

zieht ein von Roma umgebener, gut gekleideter Mann Gebühren<br />

ein. Auf Nachfrage gibt er an, Mitarbeiter der örtlichen<br />

Mobilfunkgesellschaft zu sein. Buchstäblich jeder der dort Versammelten<br />

besitzt ein Mobiltelefon. Die Älteren halten damit<br />

Kontakt zum Kosovo, und <strong>die</strong> Jüngeren telefonieren einfach von<br />

einer zur anderen Ecke des Lagers, das seit so langer Zeit ihr<br />

Zuhause bildet.<br />

LANGSAM UND ZÖGERLICH<br />

Dies sind Menschen, deren Stimmen nirgendwo gehört werden<br />

und <strong>die</strong> von keinem maßgeblichen Politiker etwas zu erwarten<br />

haben. Ein Roma-Sprecher bezeichnet sie als “das Rad, das niemals<br />

quietscht“ und dem niemand Aufmerksamkeit widmet.<br />

Vor dem Krieg lebten in Pristina sehr viele Roma. Aber <strong>die</strong><br />

meisten flohen oder wurden gezwungen, nach Serbien oder in<br />

temporäre Unterkünfte wie das Lager Plemetina umzuziehen,<br />

eine frühere Wohnbaracke für Arbeiter des Elektrizitätswerks<br />

am Stadtrand. „Menschen mit dunkler Hautfarbe trauen sich nicht<br />

in <strong>die</strong> Stadt hinein“, sagt ein Mitarbeiter einer Hilfsorganisation.<br />

Doch werden Maßnahmen unternommen, damit <strong>die</strong> Roma wieder<br />

in <strong>die</strong> Stadt zurückkehren können. Ihre Häuser werden instand<br />

gesetzt. Ein Spielplatz, ein Abwasserprojekt und der Bau einer<br />

Straße sind geplant. Diese werden nicht nur den Roma, sondern<br />

allen Bewohnern zugute kommen. Einige prominente Vertreter<br />

der Albaner haben Kontakt zu den Minderheiten aufgenommen,<br />

und ihre eigenen Sprecher haben im örtlichen Fernsehen Interviews<br />

gegeben. Aber <strong>die</strong> Reintegration ist eine langwierige Aufgabe.<br />

Die Rückführung einer einzigen Familie kann ein ganzes<br />

Jahr der Vorbereitung erfordern, <strong>die</strong> dennoch binnen Sekunden<br />

zunichte gemacht werden können.<br />

So lange hatte es gedauert, ein Umfeld zu schaffen, dass Roma-<br />

Familien im letzten Jahr überzeugte, der Rückkehr in das Drenica-<br />

Tal zuzustimmen. Zwei Tage, nachdem drei Männer und ein Jugendlicher<br />

zurückgekehrt waren, wurden ihre Leichen neben<br />

ihren Zelten aufgefunden. <strong>Der</strong> Vorfall ließ allen Angehörigen<br />

von Minderheiten auf dem <strong>Balkan</strong> das Blut in den Adern gefrieren.<br />

„Dies war ein Modellprojekt für <strong>die</strong> Rückkehr, und es brauchte<br />

nur wenige Augenblicke, um es zu zerstören“, sagt Grainna O’Hara.<br />

„Wir sind uns der Risiken bewusst, aber <strong>die</strong> Menschen möchten<br />

an ihre früheren Wohnorte zurückkehren. Wir können nicht einfach<br />

alles aufgeben, selbst nach Vorfällen wie <strong>die</strong>sem, oder?“<br />

Dies bleibt eines der schwierigsten Dilemmas auf dem <strong>Balkan</strong><br />

in der heutigen Zeit. B<br />

FLÜCHTLINGE NR. 3/<strong>2001</strong><br />

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