Hamburger Morgenpost Ausgabe vom 05.11.2014 (Vorschau)
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MEINUNG<br />
POLITIK 4<br />
Neuer Bahn-Ausstand<br />
Der Streik<br />
ist restlos<br />
entgleist<br />
Es reicht! Wieder trifft es Hunderttausende<br />
Pendler und Reisende<br />
–und das jetzt sogar an<br />
mehr als vier Tagen. Aufihrem<br />
Rücken wirdder Tarifkampf<br />
zwischen der Gewerkschaft<br />
GdL und der Bahn ausgetragen.<br />
Es geht um Machtspielchen,<br />
Eitelkeiten –nicht mehr<br />
unbedingt um gerechteLöhne.<br />
Es drängt sich immer mehr das<br />
Gefühl auf,dassein Mensch<br />
die Deutschen als Geiseln<br />
nimmt, um seine Forderungen<br />
mit aller Gewalt durchzusetzen:<br />
GdL-Chef Claus Weselsky.Selbst<br />
der DGB-Chef Reiner<br />
Hoffmann reagiert mittlerweile<br />
auf den Kollegen<br />
„entsetzt“. Weselskywiederum<br />
spricht voneiner Hetzkampagne.<br />
Eine entgleisteSituation.<br />
Dasswir uns nicht missverstehen:<br />
Das Streikrecht ist in<br />
Deutschland ein Grundrecht –<br />
und das soll selbstverständlich<br />
so bleiben. Aber es muss<br />
auch verantwortungsvoll eingesetzt<br />
werden. GDL und<br />
Bahn hattensich bis auf einen<br />
Punkt bereits geeinigt –soerscheint<br />
der längsteStreik in<br />
der Geschichteder Bahn unverhältnismäßig.<br />
Darum sollte<br />
Arbeitsministerin<br />
Andrea Nahles<br />
schnell ihr geplantesGesetz<br />
auf den<br />
Wegbringen,<br />
das ebendiese<br />
Auswüchse<br />
verhindern<br />
soll.<br />
PETER<br />
EHRENBERG<br />
politik@mopo.de<br />
ZITAT DES TAGES<br />
„In Deutschland ist der<br />
Steuerspartrieb<br />
ausgeprägter als der<br />
Sexualtrieb.“<br />
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel<br />
(SPD) auf dem Arbeitgebertag<br />
Foto:dpa<br />
Thüringens SPD<br />
setzt auf den<br />
„roten Bodo“<br />
SPD stimmt zu: Linker regiertThüringen<br />
Erfurt – Alles eine Frageder Dimension:<br />
Wäre inThüringen<br />
die SPD groß und die Linke<br />
klein –kein normaler Mensch<br />
würde noch streiten über Rot-<br />
Rot-Grün. Aber weil es in Thüringen<br />
umgedreht ist, gibt die<br />
SPD nun klein bei und die Linke<br />
stellt mit Bodo Ramelow<br />
(58) erstmals einen Regierungschef.<br />
69,93 Prozent der Thüringer<br />
SPD-Mitglieder stimmten für<br />
die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen<br />
mit Linken und<br />
Grünen. Das sind nicht die <strong>vom</strong><br />
neuen SPD-Chef Andreas Bausewein<br />
erhofften „70 Prozent<br />
plus x“, aber es ist nah genug<br />
dran. Die Linke hat es ihren<br />
künftigen Partnern einfach gemacht:<br />
Ihr Kandidat Bodo Ramelow<br />
ist Gewerkschafter<br />
und Wessi, politisch<br />
ein milder<br />
Realo und<br />
strategisch ein<br />
Vollprofi.<br />
Dem man auch zutraut, die<br />
hauchdünne Mehrheit von einer<br />
Stimme im Landtag gewinnbringend<br />
umzusetzen.<br />
„R2G“, also „Rot-Rot-Grün“<br />
mit der Linken vorn, wäreeine<br />
Premiere, wäre das Ende von<br />
24 Jahren CDU-Herrschaft im<br />
Land und ist ein vor allem bei<br />
Konservativen umstrittenes<br />
Politprojekt. Erstens schmollt<br />
die CDU, weil die SPD sich<br />
nicht mehr per „Rote Socken“-<br />
Kampagnen festketten lässt.<br />
Undzweitens tutsich mancher<br />
frühere DDR-Bürger schwer<br />
mit der Vorstellung, dass die<br />
Linkemit ihrer SED-Wurzel erheblich<br />
Ansehen gewinnt.<br />
Wasnicht Ramelows Problem<br />
ist: „Wir müssen die Debatte<br />
über den Unrechtsstaat<br />
„Wir wollen beweisen,<br />
dasswir alltagstauglich<br />
sind.“<br />
Bodo Ramelow<br />
DDR führen, um voneinander<br />
zu erfahren, wie<br />
wir diesen Staat erlebt<br />
haben“, sagte erAnfang<br />
der Woche bei einem<br />
Treffen mit DDR-Opfern.<br />
So was fällt Ramelow<br />
leicht, weil er<br />
rein garnichts mit der<br />
SED zu tun hat: 1990<br />
ging der Niedersachse<br />
in den Osten, um dort<br />
beim Aufbau der Gewerkschaften<br />
zu helfen.<br />
1999 trat er der PDS<br />
bei – ein unbelasteter<br />
Glücksfall für die damals<br />
noch mit der<br />
Vergangenheit ringenden<br />
Ost-Genossen.<br />
Sein politisches<br />
Meisterstück lieferte<br />
Ramelow<br />
2005 bei<br />
der Fusion von<br />
PDS und WASG<br />
zur „Linken“ ab –<br />
wobei er sich nicht<br />
nur Freunde machte: Ramelow<br />
regiert mit scharferZungeund<br />
harter Hand. Undseine Geduld<br />
im Umgang mit ideologischen<br />
Prinzipienreitern geht gen<br />
null. Mag sein, dass Ramelow<br />
mit dem Herzen Linker ist, anderswo<br />
ginge eraber auch als<br />
Vorzeige-Sozialdemokrat<br />
durch.<br />
Der jetzt zeigen will, dassdie<br />
Linke das Regierungs-Handwerk<br />
beherrscht: „Beweisen,<br />
dass wir bei Problemlösungen<br />
alltagstauglich sind“, so sagt er.<br />
Nun starten die Koalitionsverhandlungen<br />
bei „R2G“, frühestens<br />
am 5. Dezember, aber auf<br />
jeden Fall „bevor der Weihnachtsmann<br />
kommt“, will RamelowinAmt<br />
und linken Würden<br />
sein.<br />
RD