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INFO - Augarten Porzellan

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Mai 2012<br />

SPEZIAL<br />

<strong>Augarten</strong> <strong>Porzellan</strong><br />

Vom bräunlichen Klumpen zum Kuchenteller Seite A 2 Heißbegehrte Sammlerstücke Seite A 3<br />

derStandard.at/Kultur<br />

Die Produktvielfalt bei <strong>Augarten</strong> reicht von der Lipizzaner-Figur über Philipp Brunis „Pinocchio“-Vase bis zum Service „Wiener Rose“. Fotos: <strong>Augarten</strong> (5), APA/Techt (1), Urban (1)<br />

Die Manufaktur, die sich immer wieder neu erfindet<br />

Eigentlich ein Akt<br />

von Industriespionage:<br />

Mit Know-how aus Meißen<br />

begann man 1718 in Wien<br />

<strong>Porzellan</strong> herzustellen.<br />

Es wird auch heute noch<br />

mit der Hand geformt und<br />

bemalt – seit 1923 unter<br />

dem Namen <strong>Augarten</strong>.<br />

Thomas Trenkler<br />

Wien – Die Folgen seiner Prahlerei,<br />

aus Silber Gold machen zu können,<br />

hatte der Apothekerlehrling<br />

Johann Friedrich Böttger wohl<br />

nicht bedacht. Friedrich I. setzte<br />

Kopfgeld aus, und August der<br />

Starke nahm ihn gefangen, weil er<br />

hoffte, mit dessen Hilfe die leeren<br />

Staatskassen füllen zu können. Ab<br />

1705 experimentierte Böttger auf<br />

der Albrechtsburg von Meißen.<br />

Beim Goldmachen scheiterte der<br />

Alchemist bekanntlich. Aber zusammen<br />

mit Ehrenfried Walther<br />

von Tschirnhaus erfand er 1709<br />

das <strong>Porzellan</strong> (siehe „Wissen“ Seite<br />

A 2). Wenig später, im Juni 1710,<br />

nahm die erste europäische Por-<br />

zellanmanufaktur den Betrieb auf.<br />

Den Produktionsprozess hielt man<br />

natürlich streng geheim.<br />

Dem österreichischen Hofkriegsratsagenten<br />

Claudius Innocentius<br />

du Paquier (1678–1751) gelang es<br />

aber, einige Handwerker nach<br />

Wien abzuwerben, darunter Samuel<br />

Stöltzel, der für die <strong>Porzellan</strong>masse<br />

und die Beschaffung der<br />

Schnorrschen Erde (Kaolin) zuständig<br />

war. Bereits 1718 konnte<br />

du Paquier im Gräflich Kueffsteinischen<br />

Haus im Bereich der heutigen<br />

Liechtensteinstraße 43 seine<br />

Manufaktur gründen – als die<br />

zweite in Europa.<br />

Ein Spezialprivilegium, am 25.<br />

Mai 1718 durch Kaiser Karl VI. un -<br />

terzeichnet, sicherte du Paquier<br />

eine Monopolstellung zu: Er hatte<br />

das alleinige Recht, <strong>Porzellan</strong> innerhalb<br />

der österreichischen Kronländer<br />

zu erzeugen. Und seine Manufaktur<br />

wurde unter einen 25 Jahre<br />

währenden Schutz gestellt. Am<br />

7. April 1720 floh Stöltzel, obwohl<br />

er sich für zehn Jahre verpflichtet<br />

hatte, zurück nach Meißen. Er zerstörte<br />

die Brennöfen, machte die<br />

vorhandene <strong>Porzellan</strong>masse unbrauchbar,<br />

stahl Malfarben und<br />

Farbrezepturen. Doch du Paquier<br />

ließ sich nicht entmutigen: 1721<br />

Einblick in die Malerstube der Kaiserlichen <strong>Porzellan</strong>manufaktur in<br />

der Rossau: Ölskizze um 1830 von Friedrich Reinhold. Foto: Mak<br />

wurde der Betrieb in den Breunerschen<br />

Sommerpalast verlegt; die<br />

Fabrik erstreckte sich schließlich<br />

von der heutigen <strong>Porzellan</strong>gasse<br />

51 bis zum Julius-Tandler-Platz.<br />

Die Manufaktur produzierte für<br />

den kaiserlichen Hof und den<br />

Adel, der wirtschaftliche Erfolg<br />

war aber von Anfang an nicht zufriedenstellend.<br />

1728 musste die<br />

Firma ein Darlehen von 18.000<br />

Gulden bei der Stadt Wien auf -<br />

nehmen, 1743 war sie mit einem<br />

Außenstand von 45.459 Gulden<br />

hochverschuldet: Du Paquier sah<br />

sich gezwungen, die Manufaktur<br />

zu verkaufen. Unter Maria Theresia<br />

wurde sie mit Wirkung vom<br />

10. Mai 1744 verstaatlicht. Seit damals<br />

trägt jedes Stück als Kennzeichnung<br />

den blauen Bindenschild<br />

(manche sagen fälschlicherweise<br />

„Bienenkorb“).<br />

Gold und Kobaltblau<br />

Auf die sogenannte Du-Paquier-<br />

Periode folgte die Plastische Periode<br />

(1744–1784): Das beschwingte<br />

Rokoko spiegelte sich auch in den<br />

Werkstücken der Manufaktur wider.<br />

Verspielte Genreszenen, die<br />

Gemälden berühmter Maler wie<br />

Antoine Watteau entlehnt sind,<br />

repräsentieren diese Ära.<br />

Während der klassizistischen<br />

Periode (1784–1805) unter Direktor<br />

Conrad Sörgel von Sorgenthal<br />

konzentrierte man sich auf Produkte<br />

mit schlichten, geraden Linien<br />

und ohne Verschnörkelungen.<br />

Beliebte Motive kamen aus<br />

der Natur, etwa Füllhörner, Akanthusblattranken<br />

und Palmetten,<br />

häufig verwendete man Reliefgolddekor<br />

– und Kobaltblau. Dieses<br />

hatte Josef Leithner, der Vorsteher<br />

der Ma lerei, durch Glühen<br />

von Alumini umsulfat und Cobaltnitrat<br />

1795 entdeckt; es gilt als<br />

eine der schönsten und haltbarsten<br />

<strong>Porzellan</strong>farben.<br />

Die Napoleonischen Kriege<br />

brachten die Manufaktur an den<br />

Rand des Ruins. Aber mit dem<br />

Wiener Kongress 1814/15 setzte<br />

ein Aufschwung ein. Die zahlreichen<br />

Feste mit internationalen<br />

Gästen ließen den Bedarf an hochwertigem<br />

<strong>Porzellan</strong> sprunghaft<br />

ansteigen. Viele wichtige Persönlichkeiten,<br />

unter ihnen Zar Alex -<br />

ander I. und der König von Preußen,<br />

Friedrich Wilhelm III., waren<br />

damals in der Manufaktur zu Gast.<br />

Im Spätbiedermeier begann<br />

auch das Bürgertum <strong>Porzellan</strong> zu<br />

kaufen. Motive mit Blumen waren<br />

besonders beliebt. Doch die Blütezeit<br />

währte im Zeitalter der industriellen<br />

Revolution nur kurz:<br />

Mit der Massenproduktion aus<br />

Böhmen war die Manufaktur<br />

nicht konkurrenzfähig. Ob<br />

der riesigen Verluste musste<br />

sie 1864 geschlossen werden.<br />

Erst zwei Jahre zuvor<br />

war die <strong>Porzellan</strong>gasse in<br />

der Rossau nach der Manufaktur<br />

benannt worden. Die<br />

Vorlagen kamen ins heutige<br />

Museum für angewandte<br />

Kunst, die Anlage wurde<br />

abgerissen, an ihrer Stelle<br />

errichtete man später die<br />

Generaldirektion der Tabakregie.<br />

Sechs Jahrzehnte später, am<br />

2. Mai 1923, also nach Ende der<br />

Monarchie, wurde die <strong>Porzellan</strong>manufaktur<br />

mit staatlicher Unterstützung<br />

wiederbelebt. Als Firmensitz<br />

durfte die Aktiengesellschaft<br />

das leerstehende Schloss<br />

im <strong>Augarten</strong> nutzen.<br />

1614 hatte Kaiser Matthias in<br />

der Wolfsau, einer damals unberührten<br />

Aulandschaft, ein Jagdschloss<br />

erbauen lassen. Um 1650<br />

wurde unter Ferdinand III. ein<br />

kleiner Garten angelegt. Wenig<br />

später erwarb Leopold I. die angrenzenden<br />

Trautsonschen Gärten<br />

samt einem Palais, das er um<br />

1677 zu einem Schloss umgestaltete.<br />

Doch 1683, während der<br />

zweiten Türkenbelagerung, wurde<br />

die gesamte Anlage zerstört.<br />

Kaiser Joseph I. ließ die „Alte Favorita“<br />

1705 wieder aufbauen.<br />

Nach der Öffnung des Praters<br />

machte Joseph II. im Jahr 1775<br />

auch den <strong>Augarten</strong> der Allgemeinheit<br />

zugänglich. Noch heute ist die<br />

Inschrift „Allen Menschen gewidmeter<br />

Erlustigungs-Ort von Ihrem<br />

Spezial <strong>Augarten</strong><br />

A 1<br />

Schaetzer“ auf dem Portal zu lesen,<br />

das zum Schloss führt.<br />

1923 errichtete man im Saal -<br />

gebäude Brennöfen – und nahm<br />

die Tradition auf. Die Manufaktur<br />

produzierte aber nicht nur Nachbildungen,<br />

sondern realisierte<br />

auch Entwürfe von Josef Hoffmann<br />

und anderen Vertretern der<br />

Wiener Werkstätte. Mit dem Art<br />

déco erreichte die Manufaktur<br />

einen neuerlichen Höhepunkt.<br />

In der NS-Zeit galt sie als „nicht<br />

kriegswichtig“ und war von der<br />

Schließung bedroht. Die Produktion<br />

konnte aber in reduziertem<br />

Umfang aufrechterhalten<br />

werden. Angeblich<br />

versteckte man einen russischen<br />

Mitarbeiter vor dem<br />

NS-Regime – daher durfte<br />

die Manufaktur gleich nach<br />

dem Krieg weitermachen.<br />

Sie erhielt auch die notwendigen<br />

Kohlelieferungen.<br />

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts<br />

schwand die Bedeutung:<br />

Den Designs haftete etwas<br />

Alt modisches an. Es gab viel<br />

zu viele Mitarbeiter, die Bank<br />

Austria und die Wiener Städtische<br />

Versicherung stützten den Betrieb<br />

mit Millionenbeträgen. Irgendwann<br />

war das Defizit nicht mehr<br />

tragbar: Man schickte den Hersteller<br />

des Staatsservices und der<br />

Staatsgeschenke (Lipizzaner-Figuren!)<br />

in die Insolvenz.<br />

Im Herbst 2003 erwarb der Sanierer<br />

und Kunstsammler Erhard<br />

F. Grossnigg die Manufaktur. Der<br />

Betrieb wurde modernisiert, das<br />

Schloss renoviert. Im rechten Flügel<br />

befindet sich nun das <strong>Porzellan</strong>museum<br />

(siehe Seite A 3), im<br />

linken ein Restaurant. Voll Elan<br />

arbeitet man mit jungen Designern<br />

zusammen. Noch hat Grossnigg<br />

Geld zuzuschießen. Aber bereits<br />

in zwei Jahren soll <strong>Augarten</strong> ausgeglichen<br />

bilanzieren.<br />

Mit finanzieller Unterstützung der<br />

Wiener <strong>Porzellan</strong>manufaktur <strong>Augarten</strong>


Spezial<br />

34 A 2 der Standard Freitag, 25. Mai 2012<br />

AUGARTEN PORZELLAN DIE ARBEITSSCHRITTE IN DER MANUFAKTUR<br />

Aus feuchter Masse formt Balazs Stankovic einen Teller. Nach dem Brennen wird das <strong>Porzellan</strong> in der Malabteilung etwa mit dem Design „Maria Theresia“ verziert. Fotos: Urban<br />

Von der Flade zum kaiserlichen Kuchenteller<br />

Bis aus einem bräunlichen Klumpen ein glänzendes<br />

Stück <strong>Augarten</strong> <strong>Porzellan</strong> wird, braucht es dutzende<br />

Arbeitsschritte und eine strenge Qualitätskontrolle.<br />

Ein Rundgang durch die Wiener Manufaktur.<br />

Gudrun Springer<br />

Wien – Christine Maikisch hat heute<br />

schon eine Teekanne zerschlagen.<br />

Die spitzen Scherben liegen<br />

in einer Kiste, deren Inhalt offenbart:<br />

Maikisch hat es an dem Tag<br />

schon öfter klirren lassen. Die<br />

meisten Kollegen der 56-Jährigen<br />

lässt das Geräusch zerschellenden<br />

<strong>Porzellan</strong>s wohl weniger kalt. Für<br />

Maikisch ist es Routine. Sie als<br />

Qualitätsprüferin von <strong>Augarten</strong><br />

<strong>Porzellan</strong> muss alle Stücke vernichten,<br />

die nach zweimaligem<br />

Brennen Mängel aufweisen. Ausnahme<br />

sind Artikel mit klitzekleinen<br />

Fehlern, die als zweite Wahl<br />

und noch unbemalt im Museumsshop<br />

verkauft werden können.<br />

Bis ein Produkt unter Maikischs<br />

strenge Augen gelangt, hat es in<br />

der Manufaktur im Schloss <strong>Augarten</strong><br />

in der Wiener Leopoldstadt<br />

schon eine Menge Herstellungsschritte<br />

hinter sich. Handelt es<br />

sich um einen Teller, war er einmal<br />

eine feuchte, bräunliche Masse,<br />

deren Form an ein überdimensionales,<br />

daumendickes Wurstrad<br />

WISSEN<br />

<strong>Porzellan</strong>:<br />

„Weißes Gold“<br />

Wie sich <strong>Porzellan</strong> herstellen<br />

lässt, hat durch Zufall Johann<br />

Friedrich Böttger Anfang des<br />

18. Jahrhunderts herausgefunden<br />

– als er eigentlich<br />

Gold produzieren sollte. Drei<br />

Zutaten waren – und sind –<br />

dazu nötig: die Minerale<br />

Feldspat und Quarz sowie<br />

Kaolin, das auch als <strong>Porzellan</strong>erde<br />

oder <strong>Porzellan</strong>-Ton<br />

bezeichnet wird. In welchem<br />

Verhältnis die pulverisierten<br />

Materialien gemischt werden,<br />

ist das große Geheimnis.<br />

Für Stücke, die gegossen<br />

werden, also zum Beispiel<br />

Vasen und Figuren, kann die<br />

Masse sofort nach dem Anrühren<br />

verwendet werden.<br />

Für Teller, die man auf einer<br />

Drehscheibe formt, braucht<br />

es etwas zäheres Material,<br />

und die <strong>Porzellan</strong>masse<br />

muss erst mauken, also rasten<br />

und reifen, um die richtige<br />

Konsistenz für die Verarbeitung<br />

zu erlangen. (spri)<br />

erinnert. Die Flade aus einem Gemisch<br />

aus Wasser und pulverisiertem<br />

Kaolin (<strong>Porzellan</strong>erde) sowie<br />

Feldspat und Quarz hat zuvor<br />

noch mauken, also reifen müssen,<br />

um zäh genug für die Drehscheibe<br />

zu sein, auf der sie erst die Form<br />

eines Tellers erlangt. Dieser rastet<br />

dann auf einer Gipsform, die der<br />

Masse das Wasser entzieht.<br />

Mit Bollywoods Hilfe<br />

Für Feintuning ist Gabriele<br />

Pirkfellner zuständig. Sie rundet<br />

zuerst mit einem rauen, dann<br />

mit einem weichen, feuchten<br />

Schwämmchen die scharfen Kanten<br />

ab. Das Surren der anderen<br />

Maschinen im Raum hört die 45-<br />

Jährige, die eigentlich die Modeschule<br />

absolviert hat, nicht. Mit<br />

Bollywood-Musik holt sie sich aus<br />

Ohrstöpseln innere Ruhe für ihre<br />

Arbeit. Denn die in ihrer Obhut<br />

befindlichen Werkstücke können<br />

so leicht zerbrechen wie Schokolade-Osterhasen.<br />

In der nächsten Halle ist es wohlig<br />

warm. Wie in einer riesigen Bäckerei<br />

die Brotlaibe, stapeln sich<br />

Teller und Tassen auf breiten<br />

Steinbalken neben- und übereinander.<br />

Was aussieht wie Vanillekipferln,<br />

sind lauter Henkeln für<br />

Häferln und Suppenschälchen auf<br />

einem feuerfesten Tablett.<br />

Ab geht’s in den Ofen, bei 930<br />

Grad. Nach dem ersten Brennvorgang<br />

sieht das Material – Biskuitporzellan<br />

– immer noch matt aus.<br />

Zwei Frauen tauchen diese Stücke<br />

in graue Glasur. Jene Stellen, an<br />

denen die Hand Fingerabdrücke<br />

hinterlässt, werden später noch<br />

einmal abgeschliffen und mit<br />

einem Pinsel ausgebessert.<br />

Erst dann ist das <strong>Porzellan</strong> fertig<br />

für den zweiten Brennvorgang.<br />

Bei 1380 Grad erhält es den charakteristischen<br />

Glanz und die<br />

Härte. Hier schrumpfen die Werkstücke<br />

noch sichtbar zusammen.<br />

Dann ist Frau Maikischs strenger<br />

Blick gefragt, der sich auf die<br />

Suche nach verbrannten Stellen,<br />

kleinen Löchern oder Glasurfehlern<br />

macht. Der Himmel vor dem<br />

Fenster ist trübe, es nieselt ein wenig.<br />

„Gutes Licht für die Arbeit“,<br />

sagt Maikischs Kollegin Gabriele<br />

Schmid, die in der Abteilung gerade<br />

anlernt. Jedes vierte, fünfte<br />

Stück wird von ihnen aussortiert,<br />

schätzen die Damen. „Wir müssen<br />

sehr hohe Maßstäbe anlegen“, erklären<br />

sie. Immerhin kostet ein<br />

fertiges Schmuckdöschen mit<br />

Die ewige Nummer 167<br />

Malerin Maria Wimmer lehrt die Kunst der Wiener Rose<br />

Wien – Ihr Wunschberuf sei das<br />

nicht gewesen: <strong>Porzellan</strong>malerin.<br />

In Herend, der „ungarischen <strong>Porzellan</strong>stadt“,<br />

aus der Maria Wimmer<br />

stammt, hatten junge Menschen<br />

in der Zeit des<br />

Eisernen Vorhangs kaum<br />

eine Wahl. Die Hälfte<br />

ihrer Klasse begann damals<br />

eine Lehre in der<br />

Manufaktur.<br />

Sie wollte ein Studium<br />

anfangen, doch<br />

die Liebe führte sie 1976<br />

nach Wien und direkt zu<br />

<strong>Augarten</strong>. Bis zu ihrer<br />

Pensionierung vor zwei<br />

Jahren verzierte sie als<br />

Meisterin bauchige Bodenvasen,<br />

Teller oder<br />

Tassen mit filigranen Gebilden.<br />

Seit 2001 gibt sie <strong>Porzellan</strong>-Malkurse<br />

im Schloss <strong>Augarten</strong>. All zu<br />

viel Raum für künstlerische Freiheit<br />

gibt es nicht in der <strong>Porzellan</strong>welt,<br />

die Epoche gibt das Design<br />

vor. „Wenn jemand Barock mit Jugendstilelementen<br />

verzieren will,<br />

muss ich mich wehren“, lacht sie.<br />

Malermeisterin<br />

Maria Wimmer<br />

gibt Kurse.<br />

Foto: Urban<br />

Die meisten in ihrem Beruf sind<br />

grafisch oder malerisch veranlagt<br />

– Frau Wimmer ist beides. Bis auf<br />

Anatomie, „das wollte und konnte<br />

ich nicht malen“. Also: Lilien,<br />

Schmetterlinge, die<br />

Wiener Rose. Ihre persönliche<br />

Nummer, die<br />

unter jedem der hand -<br />

bemalten Stücke eingebrannt<br />

wird, ist 167. Von<br />

Anfang an und für alle<br />

Zeiten. Kein anderer<br />

Maler wird sich jemals<br />

mit der gleichen Nummer<br />

verewigen.<br />

Die Kurse, sagt sie,<br />

machten ihr Spaß und<br />

schaffen Ausgleich zur<br />

Pension. Viele Schüler<br />

kämen aus fernen Ländern; Bahrain,<br />

Israel, Paris. Andere besuchten<br />

ihre Seminare seit zehn Jahren.<br />

Ob sie denn selber noch malen<br />

würde, zu Hause? „Wirklich<br />

nicht“, entgegnet Wimmer energisch.<br />

Durch ihre Arbeit sei sie<br />

künstlerisch voll ausgelastet. Und<br />

immer schon gewesen. (juh)<br />

rund fünf Zentimetern Durchmesser<br />

schon gut 130 Euro.<br />

Ihren Anstrich erhalten die <strong>Porzellan</strong>artikel,<br />

an denen es nichts<br />

zu beanstanden gibt, eine Etage<br />

weiter oben. Alle, mit Ausnahme<br />

der Skulpturen. Für die Herstellung<br />

der Reiter der Spanischen<br />

Hofreitschule, der Panther und<br />

W. A. Mozarts gibt es eine eigene<br />

Abteilung. Ein Foto von Jackie<br />

Kennedy erinnert daran, dass diese<br />

Figuren beliebte Geschenke bei<br />

Staatsbesuchen sind – wie gerne<br />

bei Besucherführungen erwähnt<br />

wird, die wochentags um 10.15<br />

und 11.30 Uhr stattfinden.<br />

60-teilige Pferdefigur<br />

Ein Pferd mit Reiter besteht aus<br />

etwa 60 Einzelteilen, die nach<br />

dem ersten Brennen mit weicher<br />

<strong>Porzellan</strong>masse aneinandergeklebt<br />

werden. Die Nahtstellen<br />

werden so lange abgeschliffen<br />

und nachbearbeitet, bis es aussieht,<br />

als seien die teils sehr fili -<br />

granen Skulpturen aus einem<br />

Guss. Auch die Farbe tragen die<br />

Mitarbeiter dieser Abteilung auf.<br />

In der Buntmalerei für Vasen<br />

und Geschirr im 1. Stock liegt ein<br />

Geruch in der Luft, der an Traubenzucker<br />

erinnert und wohl vom<br />

Terpentin stammt, in das Farbplättchen<br />

aus Metalloxiden gemischt<br />

werden, bevor es aufgetra-<br />

gen wird. Bei der Tür sitzt Peter<br />

Lenhardt, einer der drei gehörlosen<br />

Maler der Abteilung. Der 56-<br />

Jährige ist spezialisiert auf das<br />

Pinseln feiner Randlinien und das<br />

Aufspritzen von Farbe, etwa auf<br />

den Kugelbauch langhalsiger<br />

„Pinocchio“-Vasen, die dann aussehen<br />

wie Billardkugeln. Lenhardt<br />

arbeitet seit 28 Jahren in der<br />

Manufaktur. Viele der Kollegen<br />

sind schon lange dabei.<br />

Ursula Geiger etwa seit 23 Jahren.<br />

Mit einer Feder skizziert sie<br />

in der Mitte eines Kuchentellers<br />

eine Blume, dabei lehnt sie ihren<br />

Arm und das Werkstück an Holzkanten,<br />

um nicht zu wackeln. Später<br />

wird sie die Zeichnung mit grüner<br />

Farbe auffüllen – ein Kennzeichen<br />

der Serie „Maria Theresia“<br />

mit der Nummer 5098, wie auf der<br />

Tellerunterseite steht. Eine weitere<br />

Ziffernfolge verrät die Form<br />

und eine dritte den Maler oder die<br />

Malerin des Stückes – für Nachbestellungen.<br />

Jene Zeichnungen, die Geiger<br />

als ihr „Stammdesign“ bezeichnet,<br />

wurden bereits im 18. Jahrhundert<br />

für ein kaiserliches Tafelservice,<br />

das Maria Theresia zur<br />

Ausstattung eines Jagdschlosses<br />

erhielt, entworfen. Noch heute, so<br />

heißt es bei <strong>Augarten</strong> <strong>Porzellan</strong>,<br />

zählt dieser Dekor zu einem der<br />

beliebtesten Designs.<br />

Der Mann, der die Formen gibt<br />

Wie Peter Mader der Raubkatze auf die Sprünge hilft<br />

Wien – Flink und vorsichtig hebt<br />

Peter Mader die Gipsform ab. Darunter<br />

verbirgt sich der Rumpf<br />

einer Raubkatze, der er in vielen<br />

Schritten Gestalt geben wird. Dafür<br />

braucht es Erfahrung:<br />

Ist die Außenhülle<br />

schon dick genug, dass<br />

der innere flüssige <strong>Porzellan</strong>kern<br />

ausgeleert<br />

werden kann? Können<br />

die Stützen vom aufsteigenden<br />

Araberhengst<br />

entfernt werden, oder<br />

knicken seine noch weichen<br />

Fesseln langsam<br />

ein? Die Ursprungs -<br />

bezeichnung für diese<br />

Arbeit ist „Bossierer“, jemand,<br />

der einem weichen<br />

Stoff eine künstlerische<br />

Form verleiht.<br />

Seit 1985, als er bei <strong>Augarten</strong><br />

seine Lehre begann, macht Mader<br />

nichts anderes. „Figurenporzellanformer“<br />

heißt das heute. Einige<br />

Teile brauchen nur eine Viertelstunde,<br />

um zu härten, andere<br />

ganze Wochen. Mader weiß ge-<br />

Die kraftvollen<br />

Tiere sind Maders<br />

Lieblinge.<br />

Foto: Urban<br />

nau, welche der Dutzend Figuren<br />

in seinem Arbeitsraum noch wie<br />

lange ruhen müssen. Was die Figuren<br />

statisch können, unterscheidet<br />

sie von der Keramik.<br />

Durch Massenerzeugung<br />

in vielen Ländern<br />

habe die Handwerkskunst<br />

an Wert verloren.<br />

Mader fände es schade,<br />

wenn sein Beruf aussterben<br />

würde. „Sonst wird<br />

Europa nur mehr der<br />

Platz für Bürokratie sein,<br />

wieso nicht für Kunsthandwerk?“<br />

Einen Nachfolger<br />

müsste er, selbst Anfang<br />

vierzig, etwa zehn bis<br />

zwölf Jahre ausbilden,<br />

bis bei dem das richtige Zeitgefühl<br />

für die Skulpturen in Fleisch und<br />

Blut übergeht. Schlussendlich<br />

präsentiert Mader den Panther in<br />

seiner vollendeten Form. Die Vorlage<br />

aus den 1930er-Jahren ist eine<br />

von etwa 280 verschiedenen Figuren,<br />

die von <strong>Augarten</strong> immer wieder<br />

aktiviert werden. (juh)


Spezial<br />

Freitag, Mai 2012 25. Mai 2012 der Standard A 35 3<br />

AUGARTEN PORZELLAN BEGEHRTE SAMMLERSTÜCKE – AM KUNSTMARKT UND IM MUSEUM<br />

Teure Statussymbole,<br />

seit jeher gerne gesammelt<br />

Historisches <strong>Porzellan</strong> steht international hoch im Kurs<br />

Olga Kronsteiner<br />

Wien – Auf den ersten Blick mögen<br />

aus <strong>Porzellan</strong> gefertigte Tassen,<br />

Vasen oder Serviceensembles gemessen<br />

am herkömmlichen<br />

Kunstbegriff als Vitrinenzierrat<br />

oder Nippes missverstanden werden.<br />

Ein Fauxpas, verrät der zweite<br />

Blick. Denn formal und auch<br />

das Dekor betreffend dokumentieren<br />

solche Exponate tatsächlich<br />

sowohl kultur- als auch kunsthistorische<br />

Entwicklungen, und sie<br />

spiegeln den Zeitgeist der jeweiligen<br />

Epoche. Eine Authentizität,<br />

die neben der hervorragenden<br />

Verarbeitung der teils an Kunstakademien<br />

ausgebildeten Meister<br />

unter Sammlern hohe Wertschätzung<br />

genießt.<br />

International stehen hauptsächlich<br />

<strong>Porzellan</strong>e aus historischen<br />

Produktionsphasen bzw.<br />

aus der Gründungszeit der Branche<br />

hoch im Kurs.<br />

Europa ist dabei in<br />

mehrerlei Hinsicht<br />

führend,<br />

sowohl die herausragende<br />

Qualität der<br />

<strong>Porzellan</strong>e<br />

b etreffend als<br />

auch in der<br />

Sammlertradition.<br />

Erst in den<br />

vergangenen beiden<br />

Jahrzehnten griff<br />

die seit Jahrhunderten grassierende<br />

maladie de porcelaine –<br />

ein in Fachkreisen als unheilbar<br />

eingestufter Virus – auch international<br />

um sich, in Japan sowieso,<br />

auch im Mittleren Osten oder<br />

Russland und vor allem in den<br />

USA. Der Anteil an Privatsammlern<br />

ist dabei deutlich höher als jener<br />

an institutionellen Käufern.<br />

In Wien Gefertigtes darf sich<br />

jedenfalls weltweit großer Anerkennung<br />

rühmen, besonders in<br />

der Frühzeit unter Claudius Du<br />

Paquier (bis 1744) entstandene<br />

Kreationen. 2010 widmete ihnen<br />

das Metropolitan Museum of Art<br />

(New York) eine vielbeachtete<br />

Ausstellung. Sie schürte entsprechende<br />

Begehrlichkeiten auf dem<br />

Markt, angesichts der Seltenheit<br />

solcher Exponate können diese<br />

aber kaum bedient werden. Der<br />

vorläufige Rekord liegt bei<br />

350.000 Euro, die eine Amerikanerin<br />

2003 bei einer Christie’s-<br />

Auktion für einen 1725 ausgeführten<br />

Krug springen ließ.<br />

Die an Motiven, Formen und<br />

preislichen Einstiegsmöglichkeiten<br />

größte Bandbreite bieten Objekte<br />

der Epochen des Klassizismus<br />

und des Biedermeiers. Der<br />

spezifische Wiener Nuancenreichtum<br />

beeinflusste die europäische<br />

<strong>Porzellan</strong>produktion<br />

nachhaltig und gilt bis heute als<br />

legendär. Ob Tassen, Teller oder<br />

kleine Service-Ensembles (Déjeuners),<br />

nichts davon war jemals für<br />

den Gebrauch bestimmt, sondern<br />

fungierte als Statussymbol und<br />

wurde deshalb seit jeher gesammelt<br />

und auch gerne verschenkt.<br />

Je aufwändiger das Dekor, desto<br />

teurer, lautet die hier allgemeingültige<br />

Devise für angehende<br />

Sammler, die über ein Budget von<br />

zumindest 5000 bis 10.000<br />

Euro verfügen sollten<br />

– nach oben hin<br />

bleiben die<br />

Grenzen freilich<br />

offen.<br />

Deutlich<br />

tiefer muss<br />

man für Repräsentatives<br />

wie prachtvolle<br />

Blumenmalerei<br />

berappen, auch das<br />

ehemals ein exquisites<br />

Wiener Spezialgebiet.<br />

Der derzeitige Auktionsrekord<br />

(erzielt im Dorotheum) liegt hier<br />

bei 84.300 Euro für ein ovales Tablett,<br />

das eine Blüten- und Früchtekomposition<br />

von Josef Nigg ziert.<br />

Geradezu Schnäppchen sind vergleichsweise<br />

Service aus der seit<br />

1924 unter „<strong>Augarten</strong>“ firmierenden<br />

jüngsten Produktionsepoche,<br />

die sich – anders als rein industriell<br />

Gefertigtes – auch im Angebot<br />

von Auktionshäusern finden<br />

und mit etwas Glück unter dem<br />

gegenwärtigen Handelswert erworben<br />

werden können. Bei den<br />

teils bis heute produzierten<br />

Künstlerentwürfen, etwa von Josef<br />

Hoffmann oder Walter Bosse,<br />

geben spezialisierte Sammler wiederum<br />

an der Dekormarke erkennbaren<br />

frühen Ausführungen den<br />

Vorzug. Foto: Dorotheum<br />

„Sehe mich als Botschafterin“<br />

Shizuko Karner verkauft mehr als nur Untertassen<br />

„In Japan habe ich oft gehört, dass<br />

man sich in Wien <strong>Augarten</strong> <strong>Porzellan</strong><br />

ansehen soll. Aber ich hätte<br />

mir nicht gedacht, dass ich<br />

selbst hier lande“, erzählt Shizuko<br />

Karner lächelnd. Als<br />

japanische Verkäuferin<br />

im Flagshipstore in der<br />

Wiener Spiegelgasse 3<br />

ist sie nicht nur eine Anlaufstelle<br />

für Touristen,<br />

auch das japanische Kaiserhaus<br />

hat bei ihr bereits<br />

eingekauft. Die<br />

Nachfrage nach Frau<br />

Karner, die in zahlreichen<br />

Reiseführern erwähnt<br />

wird, ist enorm.<br />

„Japaner sind schüchterne<br />

Menschen, und wenn<br />

ich da bin, haben sie sofort Vertrauen.<br />

Bei mir kaufen sie mehr als<br />

nur Untertassen!“<br />

Shizuko Karner wurde 1947 in<br />

der Präfektur Miyagi geboren und<br />

zog wenig später mit ihren Eltern<br />

nach Tokio. In ihrer Ausbildung<br />

lernte sie Deutsch und studierte<br />

Klavier. „Wien ist eine Traumstadt<br />

Japanische<br />

Verkäuferin<br />

Shizuko<br />

Karner. F.: Urban<br />

für Musikstudenten. Wer gute Noten<br />

hatte, bekam eine Empfehlung.“<br />

So setzte Karner 1971 ihr<br />

Klavierstudium für zweieinhalb<br />

Jahre in Wien fort. „Mein Handicap<br />

waren die kleinen<br />

Hände. Ich habe gelitten,<br />

weil ich nicht so spielen<br />

konnte, wie ich sollte.“<br />

Als sie ihren Mann,<br />

einen Wiener, kennenlernte,<br />

stand sie vor der<br />

Entscheidung: „Entweder<br />

ich gründe eine Fa-<br />

milie, oder ich quäle<br />

mich für etwas, was ich<br />

nie erreichen kann.“ Sie<br />

entschied sich für drei<br />

Söhne und eine Tochter.<br />

Seit 15 Jahren ist Karner<br />

nun für <strong>Augarten</strong> tätig und steht<br />

trotz Pensionsalter täglich im Geschäft.<br />

„Ich sehe mich als Botschafterin<br />

zwischen Japan und<br />

Österreich. Wenn ich mit schönen<br />

Produkten Freude machen kann,<br />

bin ich glücklich.“ Das persönliche<br />

Souvenir steht am Klavier: die<br />

<strong>Augarten</strong>-Mozartfigur. (mak)<br />

Oben die kaiserlich-königliche Tradition, unten moderne <strong>Porzellan</strong>kunst – der historische Brennofen<br />

aus dem Jahr 1923 verbindet im Museum, das Boris Podrecca gestaltete, beide Ebenen. Foto: <strong>Augarten</strong><br />

Adelige Pastetenköchin<br />

Das <strong>Porzellan</strong>museum zeigt<br />

historische Figuren und<br />

höfisches Tafelgeschirr<br />

neben neuem Design und<br />

beweist hier wie dort:<br />

Bemaltes <strong>Porzellan</strong> ist<br />

mehr als nur ein<br />

Staubfänger – es erzählt<br />

Kunst- wie Zeitgeschichte.<br />

Andrea Heinz<br />

Wien – Es war 1864, da zerschlug<br />

Kaiser Franz Joseph I. das Wiener<br />

<strong>Porzellan</strong>. Er tat das zwar nur in<br />

übertragenem Sinne, indem er die<br />

kaiserlich-königliche <strong>Porzellan</strong>manufaktur<br />

schließen ließ. Der<br />

Verlust jedoch, das musste man<br />

bald feststellen, war ein enormer.<br />

Im <strong>Augarten</strong>-<strong>Porzellan</strong>museum<br />

ist der mutwillige Zerstörungsakt<br />

noch heute räumlich sichtbar: Im<br />

Obergeschoß wird über die Geschichte<br />

des <strong>Porzellan</strong>s in Österreich<br />

informiert, daneben werden<br />

Objekte aus der Zeit vor 1864 gezeigt.<br />

Im Parterre ist Platz für das<br />

Neue: die Zeit von der Wiedereröffnung<br />

1923 bis heute. Verbunden<br />

sind beide Ebenen durch<br />

einen historischen Brennofen. Gezeigt<br />

wird oben wie unten im<br />

Grunde dasselbe: <strong>Porzellan</strong> ist<br />

mehr als nur Material für Nippes<br />

– es ist Kunstwerk, Designobjekt<br />

und sogar Zeitzeuge.<br />

Im Obergeschoß entführen <strong>Porzellan</strong>figürchen<br />

den Betrachter<br />

ins 18. Jahrhundert. Wer glaubt,<br />

die Figuren hätten anno dazumal<br />

im höfischen Regal Staub gefangen,<br />

irrt. Gedacht waren sie vielmehr<br />

als Tafelaufsatz bei fürstlichen<br />

Maskeraden. Sie zeigen<br />

einen Fischhändler, eine Putzmacherin<br />

oder eine Pastetenköchin –<br />

wobei Letztere mit ziemlicher Sicherheit<br />

eine verkleidete höfische<br />

Dame war. Sich als „einfaches<br />

Volk“ zu verkleiden war für die<br />

adeligen Herrschaften Freizeitvergnügen.<br />

Die <strong>Porzellan</strong>figuren erzählen<br />

noch heute davon.<br />

Auch im unteren Teil der Ausstellung<br />

finden sich <strong>Porzellan</strong> -<br />

figuren. Hier jedoch ist der höfische<br />

Anspruch einem künstlerischen<br />

gewichen: Mathilde Jaksch<br />

bildet mit der Figur Schlagobers<br />

(1927) die Staatsopern-Solotänzerin<br />

Tilly Losch ab, Wiener-Werkstätte-Künstlerin<br />

Vally Wiesel -<br />

thier interpretiert humorvoll die<br />

Todsünde Eitelkeit (1925). Der im<br />

Gegensatz zu ihr in Vergessenheit<br />

geratenen <strong>Porzellan</strong>künstlerin<br />

Ena Rottenberg widmet das Museum<br />

noch bis Anfang Juni eine<br />

Sonderausstellung. Präsentiert<br />

„Ehrliche Gegenstände“<br />

Designer Thomas Feichtner spielt mit Tradition<br />

Die Höhen des Elfenbeinturms<br />

sind dem Designer Thomas<br />

Feichtner fremd. Es ist der enge<br />

Austausch mit den Spezialisten<br />

und Handwerkern der Manufakturen,<br />

den er sucht. Daheim<br />

fühlt sich der 1970<br />

in Brasilien geborene<br />

und in Düsseldorf aufgewachsene<br />

Feichtner in<br />

den Werkstätten von<br />

Unternehmen wie zum<br />

Beispiel der <strong>Porzellan</strong>macher<br />

von <strong>Augarten</strong>.<br />

Was ihn antreibt, ist ein<br />

entstaubtes Spiel mit<br />

Tradition und Handwerk.<br />

Gewonnen hat er<br />

das Spiel, wenn dabei<br />

zeitgenössisches Design<br />

herauskommt. Stückzahlen,<br />

Unternehmensziele oder Konzernphilosophien<br />

kommen in seinen<br />

Spielregeln nicht vor. Sein<br />

Verhältnis zum rein zweckgebundenen<br />

Designverständnis kühlte<br />

mit der Zeit auf ein reduziertes ab.<br />

In den Worten Feichtners heißt<br />

das auch: „Ich hab doch nicht stu-<br />

Formen-ExperimentalistThomas<br />

Feichtner.<br />

Foto: Feichtner<br />

diert, um zehn Jahre Skibindungen<br />

zu entwerfen. Mir wurde irgendwann<br />

klar, dass es gar keine<br />

Polizei gibt, die mir verbietet, Dinge<br />

anders zu gestalten.“ Seine Porcelain<br />

Vase für <strong>Augarten</strong><br />

wirkt technisch, sie ähnelt<br />

einer Rakete. Auf<br />

der einen Seite konsequent<br />

in der Grundform,<br />

besticht sie auch oder<br />

gerade durch ihre freie<br />

Formensprache, die<br />

ebenso in vielen ande-<br />

ren Objekten Feichtners<br />

ablesbar ist. Für sein<br />

Service Shortcut, das er<br />

ebenfalls für <strong>Augarten</strong><br />

entwarf, ließ sich der Designer<br />

von Kurzbefehlen<br />

auf einer Computertastatur inspirieren.<br />

Feichtner sieht sein sehr<br />

reduziertes Service als Abkürzung<br />

hin zu einer zeitgenössischen<br />

Form, als „Kontrast zu klassischen,<br />

vielteiligen <strong>Porzellan</strong>servicen“<br />

und bezeichnet sie als „ehrliche<br />

Alltagsgegenstände“. (maik)<br />

p www.thomasfeichtner.com<br />

wird die überraschende Vielseitigkeit<br />

dieser Künstlerin vor allem<br />

im begehbaren Brennofen, wo<br />

auch künftige Sonderausstellungen<br />

stattfinden werden. Neben<br />

dieser bereits verstorbenen und zu<br />

Unrecht vergessenen Persönlichkeit<br />

und prominenten Klassikern<br />

wie Josef Hoffmanns Mokkaservice<br />

Melone (vor 1933) ist auch<br />

Platz für die Lebenden, für Entwürfe<br />

zeitgenössischer Designer.<br />

Kurt Spurey testet in seiner Vasenserie<br />

Porcelaine brut (2002) die<br />

Belastungsgrenzen des Werkstoffes<br />

<strong>Porzellan</strong> aus, schneidet oder<br />

reißt für seine Entwürfe Stücke<br />

aus dem Block. Gregor Schmolls<br />

Vasen stehen dagegen in der Tradition<br />

der Charakterköpfe Franz<br />

Xaver Messerschmidts: In den<br />

Profilen der Vasenserie Vexations<br />

(2009) erkennt man den grimassenschneidenden<br />

Künstler.<br />

Verbunden werden damals und<br />

heute von Martin Hochmeister,<br />

Jahrgang 1989, mit Suppenmeute<br />

(2010). Im Rahmen des Wettbewerbs<br />

„<strong>Augarten</strong> brennt!“ verzierte<br />

er eine Suppenterrine mit Graffiti.<br />

Unter dem pausbäckigen Knaben,<br />

der auf dem Deckel sitzend<br />

mit Obst spielt, tobt nun eine mit<br />

Küchengeräten bewehrte Meute<br />

von Fantasiefiguren. <strong>Porzellan</strong> erzählt<br />

eben immer noch Geschichte(n).<br />

Ena Rottenberg: bis 9. 6.<br />

<strong>INFO</strong><br />

Die Neue Wiener <strong>Porzellan</strong>manufaktur<br />

<strong>Augarten</strong> GmbH & Co KG hat ihren<br />

Firmensitz im Schloss <strong>Augarten</strong>,<br />

1020 Wien, Obere <strong>Augarten</strong>straße<br />

1, Telefon 01/211 24 201. Es beherbergt<br />

neben der Manufaktur das<br />

<strong>Porzellan</strong>museum, den Verkauf<br />

und das Restaurant Décor.<br />

Öffnungszeiten Museum und Verkauf:<br />

Mo–Sa 10–18 Uhr, sonn- und<br />

feiertags geschlossen.<br />

Führungen durch Manufaktur<br />

und Museum: Mo–Fr täglich um<br />

10.15 und 11.30 Uhr.<br />

Öffnungszeiten Restaurant Décor:<br />

Mo–Fr 10–23 Uhr, So 9–18<br />

Uhr, samstags- und feiertags 9–23<br />

Uhr. Reservierung: 01/212 38 88.<br />

Kindermalen und Malseminare:<br />

christoph.simon@augarten.at<br />

In Österreich gibt es drei Filialen:<br />

<strong>Augarten</strong> Wien, Flagshipstore,<br />

Spiegelgasse 3, 1010 Wien, Mo–Sa<br />

10–18 Uhr, Telefon: 01/512 14 94<br />

<strong>Augarten</strong> Linz, Am Taubenmarkt,<br />

Landstraße 12, 4020 Linz, Mo–Fr<br />

9.30–18 Uhr, Sa 9.30–17 Uhr,<br />

Telefon: 0732/66 44 76.<br />

<strong>Augarten</strong> Salzburg, Alter Markt<br />

11, 5020 Salzburg, Mo–Fr 9.30–18<br />

Uhr, Sa 9.30–17 Uhr, Telefon:<br />

0662/84 07 14. (red)<br />

p www.augarten.at


Spezial<br />

36 A 4 der Standard Freitag, 25. Mai 2012<br />

Erhard F. Grossnigg<br />

erwarb 2003 <strong>Augarten</strong> und<br />

investierte viel Geld in die<br />

<strong>Porzellan</strong>manufaktur. Nun<br />

holte er sich Fritz Panzer<br />

als neuen Geschäftsführer.<br />

Im Interview mit<br />

Thomas Trenkler erklären<br />

die beiden ihre Strategien.<br />

Standard: Herr Grossnigg, Sie gelten<br />

als beinharter Geschäftsmann.<br />

Dennoch haben Sie <strong>Augarten</strong> 2003<br />

um kolportierte 3,8 Millionen Euro<br />

erworben. Warum eigentlich?<br />

Grossnigg: Es war eher mehr. Ursprünglich<br />

wollte ich <strong>Augarten</strong><br />

nicht erwerben. Doch die damalige<br />

Eigentümerin schickte das<br />

Unternehmen in die Insolvenz,<br />

und die Bank Austria hat mich gebeten,<br />

es anzusehen. Am Weg<br />

durch die Produktion war ich so<br />

fasziniert von dem, was da geleistet<br />

wird, dass ich immer überzeugter<br />

wurde: <strong>Augarten</strong> muss man am<br />

Leben erhalten. Das ist grandiose<br />

Handwerkskunst! Es gab damals<br />

47 Interessenten, am Ende aber<br />

nur zwei Bieter: Hannes Androsch<br />

und mich. Meine Kollegen haben<br />

verhandelt, während ich segeln<br />

war. Ich war aber ständig am Telefon<br />

dabei. Am Ende erhielten wir<br />

den Zuschlag – und wussten<br />

nicht, ob wir uns freuen sollten.<br />

Standard: Weil das Schloss in<br />

einem desolaten Zustand war?<br />

Grossnigg: Ja. Es war nicht mehr<br />

benutzbar. Es war feucht, ohne<br />

funktionierende Heizung, jahrzehntelang<br />

war nicht investiert<br />

worden. Die Burghauptmannschaft,<br />

der Eigentümer des Schlosses,<br />

stellte dann den Mietvertrag<br />

infrage und beauftragte die Finanzprokuratur,<br />

ihre Rechte geltend<br />

zu machen. Der Streit ging<br />

über Jahre und hat viel Geld gekostet.<br />

Bis eine tüchtige Sektionschefin<br />

des Wirtschaftsministeriums<br />

den Fall in die Hand nahm.<br />

Drei Monate später gab es eine Einigung.<br />

Dann konnte endlich das<br />

Umbauprogramm umgesetzt werden.<br />

Die Burghauptmannschaft<br />

zahlte zwei Drittel der Sanierung,<br />

ein Drittel trug ich bei. Der Innenausbau<br />

wurde von mir allein finanziert:<br />

das Museum nach den<br />

Plänen von Boris Podrecca, der<br />

AUGARTEN PORZELLAN ZUKUNFTSVISIONEN UND PROBLEMFELDER<br />

Ein Himmel voller Scherben<br />

Wo selbst Fürsten ihr <strong>Porzellan</strong> kaufen: Ein Besuch im Wiener Flagshipstore<br />

Mario Kopf<br />

Wien – Dass Scherben im <strong>Porzellan</strong>laden<br />

unweigerlich glücklos<br />

stimmen, hat Designer Philipp<br />

Bruni widerlegt. Seit einem Jahr<br />

gibt es den Flagshipstore in der<br />

Wiener Spiegelgasse 3, und täglich<br />

sorgt sein Plafond für Staunen.<br />

Verkäuferin Helga Saltien bedient<br />

die Klimaanlage, und 19.400<br />

„Das ist grandiose Handwerkskunst!“<br />

Schwärmen von der Qualität und sind zuversichtlich, dass <strong>Augarten</strong> in zwei Jahren wieder schwarze<br />

Zahlen schreibt: Geschäftsführer Fritz Panzer (li.) und Eigentümer Erhard F. Grossnigg. Foto: Urban<br />

Shop und das Restaurant. Wir haben<br />

auch den Zubau erworben<br />

und dort einen Kindergarten eingerichtet.<br />

Er ist übrigens der<br />

schönste Kindergarten von Wien.<br />

Standard: Vor einem Jahr wurde<br />

das prächtig sanierte Schloss wiedereröffnet.<br />

Das Geld wieder einzuspielen<br />

wird wohl nicht so einfach.<br />

Grossnigg: <strong>Augarten</strong> ist zwar<br />

schuldenfrei, aber es gibt einen<br />

betrieblichen Abgang. Unser Ziel<br />

ist, dass sich das Unternehmen<br />

selbst erhält und keinen Förderer<br />

mehr braucht. Binnen zwei Jahren<br />

sollte dieses Ziel erreichbar sein.<br />

Standard: Und das ist nun Ihre<br />

neue Aufgabe, Herr Panzer?<br />

Panzer: Eine interessante Herausforderung.<br />

2003 hatte das Unternehmen<br />

deutlich mehr Mitarbeiter,<br />

aber die Umstrukturierung ist<br />

nun abgeschlossen. Als Optimist<br />

gehe ich davon aus, dass keine Rationalisierungsschritte<br />

mehr notwendig<br />

sind – und dass wir deutlich<br />

mehr Menschen für unsere<br />

Produkte begeistern können.<br />

Standard: Wie soll das gehen?<br />

Panzer: Wie müssen besser kommunizieren,<br />

welche hohen Ansprüche<br />

wir an uns selbst stellen.<br />

<strong>Augarten</strong> ist eine der letzten <strong>Porzellan</strong>manufakturen<br />

ohne maschinelle<br />

Fertigung – mit einer ri-<br />

Scherben aus 6000 Desserttellern<br />

beginnen zu klingen. Nur konsequent,<br />

dass auch eine der zierlichen<br />

Figuren, in ihre Einzelteile<br />

zerlegt, aufgebahrt wird. Der Weg<br />

vom Rohstoff zum Kunstwerk<br />

wird auf der Werkbankinstallation<br />

präsentiert, zudem ist der<br />

Produktionsprozess der Thomas-<br />

Feichnter-Vase auf drei Flatscreens<br />

zu studieren.<br />

Auf zwei<br />

Etagen finden<br />

sich im<br />

<strong>Augarten</strong><br />

Flagshipstore<br />

Meisterdekore<br />

neben detailreichverzierten<br />

Figuren<br />

und modernen<br />

Services.<br />

Foto: Urban<br />

gorosen Qualitätskontrolle. Jedes<br />

Stück wird mit der Hand gefertigt<br />

und bemalt. Erst wenn man sieht,<br />

mit welcher Akribie unsere Mitarbeiter<br />

hier tätig sind, versteht<br />

man, warum diese Qualität ihren<br />

Preis haben muss.<br />

Grossnigg: Zu unseren Stärken<br />

zählt auch, dass wir jedes Service<br />

und jedes Stück auch individualisiert<br />

anbieten, verziert mit Initialen,<br />

Firmenlogo oder Wappen.<br />

Standard: So etwas haben früher<br />

die Habsburger oder Rothschilds in<br />

Auftrag gegeben. Aber heute?<br />

Grossnigg: Es gibt wieder ein größeres<br />

Interesse am Kochen – und<br />

an der Tischkultur. Hochwertiges<br />

<strong>Porzellan</strong> ist Teil dieser Kultur.<br />

Panzer: Und es gibt ein steigendes<br />

Bedürfnis nach unverwechselbarer<br />

Ästhetik – abseits der Massenproduktion<br />

an der Schnittstelle zu<br />

Kunst und Design. Hinzu kommt<br />

unsere Garantie, dass man jedes<br />

Stück nachkaufen kann.<br />

Grossnigg: Was einerseits ein Verkaufsargument<br />

ist, andererseits ist<br />

die Produktvielfalt auch ein<br />

P roblemfeld. Weil wir eben alles,<br />

was wir je hergestellt haben, weiterhin<br />

anbieten. Ein Nachteil ist<br />

zudem, dass es keinen Multiplikationseffekt<br />

gibt. Wenn man mit<br />

einer Prada-Tasche durch die<br />

Kärntner Straße geht, wird man<br />

von 70 Leuten bewundert – und<br />

Bruni, Schöpfer der beliebten<br />

Pinocchio-Vase, hat das Geschäftslokal<br />

modern mit Stahlboden,<br />

Holz und orange-braunem<br />

Leder ausgestattet. Die Verkaufskästen<br />

im Untergeschoß stammen<br />

noch aus der Zeit, als der Lusterhersteller<br />

Balakowits hier residierte.<br />

Dort befinden sich auch<br />

Bodenvasen mit dem Meister -<br />

dekor Kaisergarten oder Schwertlilien,<br />

die zu den hochpreisigen<br />

zählen. Im gegenüberliegenden<br />

Bereich berät Helga Saltien derweil<br />

ein zukünftiges Brautpaar,<br />

das die ausgestellten Hochzeits -<br />

listen mit Service, Gläsern und Besteck<br />

begutachtet. Neben dem <strong>Augarten</strong>sortiment<br />

finden sich auch<br />

Gläser von Lobmeyr oder Rotter<br />

im Programm.<br />

Unter den Kunden befinden<br />

sich nicht nur Touristen und<br />

Sammler, auch die Fürstenfamilie<br />

Liechtenstein ist bisweilen anzutreffen.<br />

Was Fürst Hans-Adam II.<br />

gerne kauft? Helga Saltien<br />

schmunzelt: „Sie werden es nicht<br />

glauben: die Wiener Rose.“<br />

von 20 verurteilt, weil man so viel<br />

Geld ausgegeben hat. Jedenfalls:<br />

Man erregt Aufsehen. Sich selbst<br />

darzustellen und über die Marke<br />

Persönlichkeit zu geben ist mit<br />

<strong>Augarten</strong> nur beschränkt möglich.<br />

Da muss man schon jemanden<br />

nach Hause einladen.<br />

Standard: Sie haben ob der hohen<br />

Miete den Flagshipstore vom Stock-<br />

im-Eisen-Platz in die Spiegelgasse<br />

verlegt. Es gibt <strong>Augarten</strong>-Geschäfte<br />

auch in Salzburg und Linz. Sind<br />

eigene Filialen überhaupt sinnvoll?<br />

Panzer: Das kommt auf den Standort<br />

an. Die Niederlassungen in Tokio<br />

und in Graz haben wir leider<br />

schließen müssen. Weltweites Direkt-Marketing<br />

ist nicht leistbar.<br />

Grossnigg: Denn bei unseren Produkten<br />

beträgt das Verhältnis zwischen<br />

Herstellungskosten und<br />

Verkaufspreis 1:3. Bei Modeartikeln<br />

ist der Multiplikator 1:10 oder<br />

sogar 1:15. Diese Hersteller können<br />

daher viel Geld in Marketing<br />

investieren, wir hingegen nicht.<br />

Panzer: Dafür kauft man bei uns<br />

wertbeständige Produkte. Wichtig<br />

ist für uns, mit spezialisierten Einzelhandelsfirmen,<br />

z. B. Harrod’s,<br />

stärker zu kooperieren.<br />

Standard: Viele haben die Produktion<br />

in Länder mit billigen Lohnkosten<br />

ausgelagert, etwa nach China.<br />

Könnten Sie das nicht auch?<br />

Stadtflucht mit Steirer-Huhn<br />

Das Café-Restaurant Décor im Schloss <strong>Augarten</strong><br />

Wien – Zugegeben, die malerische<br />

Aulandschaft, wie es sie bis vor<br />

nicht allzu langer Zeit im Gebiet<br />

der Leopoldstadt gab, ist Vergangenheit.<br />

Trotzdem ist der Park<br />

immer noch ein vergleichsweise<br />

friedlicher Ort, an dem der geplagte<br />

Städter für eine Weile die Betriebsamkeit<br />

vergessen kann.<br />

Insofern hat das Restaurant<br />

Décor im Schloss <strong>Augarten</strong> einen<br />

Startvorteil: Wer hier auf der Terrasse<br />

sitzt, sieht viel Himmel und<br />

viel Grün. Die Häuserfronten des<br />

2. Bezirkes sind dagegen weit weg,<br />

der Straßenverkehr ebenso.<br />

Auch innen überzeugt das Dekor<br />

des Décor, die Einrichtung ist<br />

nicht aufdringlich üppig, dosiert<br />

barocke Elemente sparsam und<br />

bleibt ruhig und schlicht, ohne<br />

abweisend zu wirken.<br />

Das Speisenangebot verfolgt<br />

nämliche Richtung. Auf der aktuellen<br />

Saisonkarte „Spargelzeit“<br />

wie im regulären Angebot findet<br />

sich exklusives, darunter Orangenhuhn<br />

mit Lavendelhonig,<br />

Spargel mit Estragonschaum oder<br />

Panzer: Nein. Wichtig ist uns ein<br />

Alleinstellungsmerkmal: Handgemacht<br />

und handbemalt in Wien –<br />

mit dem „Wiener Pinselstrich“.<br />

Grossnigg: Und bei Handarbeit<br />

steigen auch in China die Kosten.<br />

Standard: Haben Sie <strong>Augarten</strong><br />

schon verwendet, bevor Sie das<br />

Unternehmen erwarben – oder ist<br />

die Liebe mit dem Kauf entstanden?<br />

Grossnigg: Mit dem Kauf ist mein<br />

Interesse natürlich stark gestiegen.<br />

Aber wir hatten <strong>Augarten</strong><br />

schon zu Hause bei meinen Eltern,<br />

die Wiener Rose.<br />

Standard: Also den Klassiker, den<br />

fast alle Großmütter haben?<br />

Grossnigg: Ja. Die Jungen halten<br />

dieses Dekor vielleicht für altmodisch<br />

und tragen es ins Dorotheum.<br />

Aber das ist nur eine Facette<br />

von <strong>Augarten</strong>: Wir arbeiten<br />

ständig an neuen Dekors und neuen<br />

Formen – und arbeiten mit vielen<br />

jungen Künstlern zusammen.<br />

Panzer: Neue Designs herauszubringen<br />

ist eine Strategie, die seit<br />

der Neugründung 1923 verfolgt<br />

wird. Ich nenne nur die Entwürfe<br />

von Josef Hoffmann, Michael Powolny<br />

oder Franz von Zülow. Wir<br />

setzen damit eine Tradition fort.<br />

Standard: Gerade aus den 20er-<br />

Jahren stammt ein Design, das für<br />

Diskussion sorgt. Als Griff dient<br />

unter anderem ein „Mohrenkopf“.<br />

Panzer: Ena Rottenberg war eine<br />

große Künstlerin. Sie hat sich damals<br />

intensiv mit exotischen Formen<br />

beschäftigt. Daher die Griffe<br />

als Porträts: Köpfe aus verschiedenen<br />

Kulturkreisen. Den Kopf heute<br />

wegzulassen halte ich für<br />

falsch. Das Design wäre nicht<br />

mehr das von Ena Rottenberg.<br />

Grossnigg: Der Vorwurf, diese<br />

Form sei rassistisch, ist überzogen.<br />

Wir sind natürlich immer für<br />

politische Korrektheit – und daher<br />

dafür, dass auch die Töchter in der<br />

Bundeshymne vorkommen!<br />

ERHARD F. GROSSNIGG (65), geboren<br />

in Linz, ist einer der erfolgreichsten Sanierer<br />

Österreichs, Kunstsammler und an<br />

zahlreichen Unternehmen beteiligt (u. a.<br />

Neudörfler, Lohberger, Jaguar Wien und<br />

Semper Constantia Privatbank).<br />

FRITZ PANZER (57), geboren in Judenburg,<br />

war u. a. Buchhändler, Inhaber<br />

einer Marketing-Agentur und Geschäftsführer<br />

der Ueberreuter Verlagsgruppe.<br />

Seit Anfang 2012 leitet er <strong>Augarten</strong>.<br />

Beef Tartare mit Avokadomousse.<br />

Erfreulicherweise verwendet man<br />

dabei regionale Produkte wie steirisches<br />

Huhn und Saisonales.<br />

Auch die Preise bleiben, wenn<br />

man so sagen will, am Boden:<br />

Nicht übertrieben günstig speist<br />

man hier, aber zu angemessenen<br />

Preisen. Und man tut dies wie ein<br />

König oder Fürst: auf <strong>Porzellan</strong><br />

von <strong>Augarten</strong>. (hein)<br />

Dosiert barocke Elemente sparsam:<br />

das Décor. Foto: <strong>Augarten</strong>

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