Ausgabe 7-8/2013 - ZMK-Aktuell
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Zahnheilkunde<br />
schaffte, wurde möglichst adäquat behandelt. Dabei erhielten<br />
wir einen globalen Einblick in die verschiedensten<br />
zahnmedizinischen Techniken und bekamen auch bei uns<br />
schon lange „ausgestorbene“ Prozeduren und Versorgungen,<br />
wie handgebuckelte Ringdeckelkronen oder Drahtligaturen<br />
mit befestigten extrahierten Zähnen als permanente Lückenschlussrestauration,<br />
zu sehen. Bei unseren afghanischen<br />
Patienten galt das Motto „Endo oder Ex“. Einige unserer<br />
erwachsenen Patienten waren noch nie zuvor bei einem<br />
Zahnarzt gewesen. Prophylaktische Besuche sind in Afghanistan<br />
völlig unbekannt. Aufgrund der zahnmedizinischen<br />
Versorgungslage plante ich zusammen mit einem Kameraden<br />
aus der Abteilung für zivil-militärische Zusammenarbeit<br />
ein bescheidenes Hilfsprojekt für Kinder im Vorschulalter.<br />
Die Kinder dieses Landes sind genauso unschuldig wie<br />
jedes andere Kind auf dieser Welt. Rechnet man unsere<br />
Gruppenprophylaxe an diesem Tag in glückliche Kindergesichter<br />
um, so können wir durchaus mit Stolz von einem<br />
kleinen nachhaltigen Erfolg sprechen.<br />
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist bei anderen Nationen<br />
hoch angesehen. Bis auf komplexe prothetische Arbeiten<br />
können wir nahezu den gleichen hohen Standard an zahnmedizinischer<br />
Leistung bieten wie am Heimatstandort.<br />
Natürlich lag mein Hauptaufgabengebiet auf der Betreuung<br />
eigener und befreundeter Soldaten, jedoch war der Umgang<br />
mit afghanischen Patienten für mich persönlich sehr prägend.<br />
Die Behandlung der meist männlichen Behandlungsbedürftigen<br />
stellte sich für mich anfangs befremdlich dar,<br />
denn religiös und kulturell begründet fand eine Kommunikation<br />
fast nie mit mir persönlich statt, sondern meist über<br />
einen Sprachmittler. Die recht intime Patienten-Zahnarzt-<br />
Situation während der Behandlung war nach meinem subjektiven<br />
Erachten für den Großteil der Afghanen aufgrund<br />
der Anwesenheit einer weiblichen Zahnärztin eher unangenehm.<br />
Erstaunlich war jedoch häufig, wie schmerzresistent<br />
die meisten der afghanischen Patienten bei der Behandlung<br />
waren. Mit einem Augenzwinkern kann ich zusammenfassend<br />
bemerken: Das Schmerzempfinden steigt offensichtlich<br />
proportional zur sozialen Stellung in Afghanistan, jedoch<br />
verhält es sich leider genau gegensätzlich mit der Compliance.<br />
Während der 103 Einsatztage in Kunduz konnte ich vielfältige<br />
unvergessliche zahnmedizinische und zwischenmenschliche<br />
Eindrücke sammeln, jedoch bewegte mich das Schicksal<br />
eines 16-jährigen afghanischen Jungen besonders. Als<br />
Sohn einer lokal angesehenen Persönlichkeit wurde er<br />
durch feindliche Kräfte entführt und gefoltert. Er konnte<br />
glücklicherweise befreit werden und lag anschließend zur<br />
Rehabilitation einige Monate im Krankenhaus in Kunduz.<br />
Seither quälten ihn starke Zahnschmerzen, doch die afghanischen<br />
Ärzte im Krankenhaus sahen sich überfordert,<br />
Maßnahmen zur Schmerzstillung einzuleiten. Der Vater des<br />
jungen Mannes richtete einen Brief an die Sanitätseinsatzkompanie,<br />
bat um meine Hilfe und schilderte die Situation.<br />
Bei der Erstvorstellung in unserer Praxis zeigte sich das ganze<br />
Ausmaß seiner Verletzungen im Gesichtsbereich (Abb. 8).<br />
Bei retardiertem Allgemeinzustand imponierte hauptsächlich<br />
die Frontzahnsituation. Seine Peiniger hatten versucht, ihm<br />
alle Frontzähne im Oberkiefer und Unterkiefer zu extrahieren.<br />
Jeder einzelne Frontzahn stellte ein kompliziertes Trauma<br />
dar. Zusätzlich hatte man mit einem Schrotgewehr auf ihn<br />
geschossen. Auf der von uns angefertigten Panoramaschichtaufnahme<br />
(Abb. 9) zeigten sich viele im Kopfbereich verbliebene<br />
Schrotkugeln sowie besonders im Oberkieferbereich<br />
lokalisierte Metallsplitter. In der ersten Sitzung extrahierte<br />
ich die nicht erhaltungswürdigen Zähne 11, 12, 21,<br />
41 und 42 (Abb. 10). Die Zähne 22, 31 und 32 waren zwar<br />
equigingival frakturiert, jedoch war es hier möglich, mittels<br />
endodontischer Versorgung einen Rettungsversuch zu wagen.<br />
Im Oberkiefer entnahm ich über eine großzügige Abklappung<br />
der Gingiva zusätzlich nekrotisierten Alveolarfortsatz<br />
und alle erreichbaren metallischen Fremdkörper. Eine Minimierung<br />
des horizontalen Knochenlevels ließ sich durch<br />
diese recht invasive Knochenplastik nicht vermeiden. Zum<br />
Abschluss der ersten Sitzung bedankten sich die Begleiter<br />
des Patienten bei meiner männlichen Assistenz. Sie schauten<br />
zwar während der gesamten Sitzung auf meine Arbeit,<br />
doch in ihrer Vorstellung war es nicht möglich, sich damit<br />
zu arrangieren, dass eine weibliche Person in Anwesenheit<br />
einer männlichen die Führung haben könnte. Schon eine<br />
Woche später konnten wir die Nähte entfernen und unser<br />
Abb. 8: Ausgangssituation der UK-Front nach Entfernung aller<br />
Beläge.<br />
Abb. 9: Panoramaschichtaufnahme vor Behandlungsbeginn.<br />
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<strong>ZMK</strong> | Jg. 29 | <strong>Ausgabe</strong> 7-8 _______ Juli/August <strong>2013</strong>