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40 FEBURAR ’13<br />
14 KRITISIERT<br />
KRITISIERT<br />
HÄNSEL AM HAKEN<br />
In <strong>de</strong>r Reihe „transfusionen“ hat sich die studiobühneköln<br />
eine ganz beson<strong>de</strong>re Produktion eingela<strong>de</strong>n: Die Düsseldorfer<br />
„half past selber schuld“ machen trashige Bühnencomics,<br />
die in NRW sogar die Spitzenför<strong>de</strong>rung erhalten.<br />
Liebe im World Wi<strong>de</strong> Web, Foto: © VKKBA/Foto: Weimer<br />
KLEINE FLUCHTEN<br />
„My World“ von Malte Wirtz im ARTheater: Eine Cyber-<br />
Satire mit spannen<strong>de</strong>n Theatermitteln, die aber inhaltlich<br />
ins Leere laufen.<br />
Gehen Sie ungern ins Theater, weil Sie dort Ihr Smart-Phone<br />
ausschalten müssen? Dann besuchen Sie doch mal „my<br />
world“, das Theaterprojekt von Malte Wirtz. Denn da ist erwünscht,<br />
via Phone Kommentare abzugeben, die dann zeitgleich<br />
auf <strong>de</strong>r Website www.my-world.ws zu lesen sind, projiziert<br />
auf eine Leinwand. Malte Wirtz ist Mitbegrün<strong>de</strong>r und<br />
Teil <strong>de</strong>s Kölner Paul Hinze Kollektivs, <strong>de</strong>ssen Kurzfilme auf<br />
eigenem Youtube-Kanal zu sehen sind. Der jüngste, „Stühle“,<br />
die Persiflage auf einen Facebook-Trailer, wird <strong>de</strong>m Stück<br />
vorangestellt, dann taucht die Fassa<strong>de</strong> eines Wohnhauses<br />
auf. Drinnen wohnen Paul, François und Charlotte in einer<br />
WG. Je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r drei lebt sein Leben und das ist meist von<br />
tristen Alltagsproblemen geprägt. Paul (Sebastian Kolb),<br />
verschnupft und in nerdiger Hauskluft, hat sein Studium<br />
abgebrochen, Papa zahlt nicht mehr. Eine Mieterhöhung<br />
verschärft die Situation. Kleine Fluchten sind da willkommen:<br />
Paul browst durchs Netz und lan<strong>de</strong>t bei my world. Hier<br />
ist er eine Figur namens The H. (Robert Heinle), ein viriler,<br />
bajuwarischer Kraftprotz, <strong>de</strong>r allerdings in <strong>de</strong>r Hierarchie<br />
<strong>de</strong>r Avatare vom Administrator immer weiter nach unten<br />
gedrückt wird. Besser ergeht es da Violetta, einer rassigen<br />
Rothaarigen, die mit ihrer Körpersprache <strong>de</strong>n Cyperspace<br />
erotisch auflädt. Dass sich hinter <strong>de</strong>r roten Versuchung ein<br />
Mann verbirgt, nämlich <strong>de</strong>r hinterfotzige Hauptmieter François<br />
(Gerald Liebenow), ahnen we<strong>de</strong>r Paul noch die tranige<br />
Charlotte (Julia-Lena Lippoldt). Die hat sich auch ins Netz geflüchtet<br />
und darf, hier als cooles Techno-Girl, Violetta (Jana<br />
Reisz) und The H <strong>de</strong>n Kopf verdrehen. Die zunehmen<strong>de</strong> Konfusion<br />
von Geschlechterrollen wird dazu genutzt, um eine<br />
Vielfalt theatralischer Möglichkeiten auszutesten. Die Masken,<br />
die alle Avatare wie aufgeschnallte Kästen auf ihrem Gesicht<br />
tragen, sind Fotos <strong>de</strong>r Darsteller, aus <strong>de</strong>nen ihre Nasen<br />
und Mün<strong>de</strong>r ragen. Sie zeigen eine irritieren<strong>de</strong> Vermischung<br />
von Zwei- und Dreidimensionalität: ein gelungenes Bild für<br />
die Verschiebung von Realität, Traum und Projektion, die<br />
im Netz stattfin<strong>de</strong>t. Aber Wirtz schickt seine Akteure auch<br />
in körperliche und komödiantische Fahrwasser: Slapstick,<br />
Chara<strong>de</strong>n, Tanz- und Gesangseinlagen, selbst eine klassische<br />
Fechtszene darf nicht fehlen. Bei allem Theaterspektakel,<br />
das die Darsteller souverän auf die Bühne bringen, bleibt<br />
allerdings <strong>de</strong>r inhaltliche Mehrwert beschei<strong>de</strong>n. Die Konflikte<br />
sind rasch etabliert und wer<strong>de</strong>n dann fast nur noch in<br />
die Länge gezogen. Ähnliches gilt für die Charaktere, <strong>de</strong>ren<br />
Entwicklung kaum Interesse weckt. Dass die originelle Form<br />
kaum Inhalt generiert, zeigt sich auch in <strong>de</strong>n Interaktionen<br />
mit <strong>de</strong>m Publikum. Das kann zwar fleißig voten und kommentieren,<br />
<strong>de</strong>n Handlungsverlauf aber, wie es die Macher<br />
suggerieren, verän<strong>de</strong>rt es nicht. Am En<strong>de</strong> siegt irgendwie die<br />
Liebe und die Erkenntnis, dass ohne Content auch im Netz<br />
<strong>de</strong>r Cyberspace-Spaß begrenzt ist. NORBERT RAFFELSIEFEN<br />
TERMINE IM FEBRUAR: ARTHEATER, 1., 2.<br />
Messer, Wurst und Geldscheine fliegen in Zeitlupe durch die<br />
Gegend. Zwei Ziegelsteine unterhalten sich. Geht nicht? In <strong>de</strong>n<br />
Bühnencomics, wie das Duo „half past selber schuld“ seine Arbeiten<br />
nennt, ist alles <strong>de</strong>nkbar. Möglich macht es das schwarze<br />
Theater, bei <strong>de</strong>m die Schauspieler in Schwarz fast unsichtbar<br />
bleiben und die knalligen, <strong>de</strong>tailverliebten Requisiten im Vor<strong>de</strong>rgrund<br />
agieren. Puppen o<strong>de</strong>r Gegenstän<strong>de</strong> bewegen sich<br />
wie von selbst durch <strong>de</strong>n Raum, begleitet von Live-Musik und<br />
quietschen<strong>de</strong>n Cartoon-Geräuschen. Neben vielen Kin<strong>de</strong>rproduktionen<br />
machen Sir ladybug beetle (bürgerlich Frank Römmerle)<br />
und die Israelin Ilanit Magarshak-Riegg auch Theater<br />
für Erwachsene. Seit 1998 arbeiten sie gemeinsam in Düsseldorf,<br />
seit 2002 entstehen die Bühnencomics am FFT.<br />
Metaphern wer<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r neusten Produktion „Die Weltmenschen<br />
erobern die Welt“ nicht nur sprichwörtlich, son<strong>de</strong>rn<br />
ganz bewusst mit <strong>de</strong>m Holzhammer verabreicht, <strong>de</strong>r<br />
am rechten Bühnenrand ständig kloppend <strong>de</strong>n Ton vorgibt.<br />
Ein irres Totenkopfmännchen mit Zylin<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m kahlen<br />
Kopf führt durch die revueartige Aufführung und stellt die<br />
Hauptfiguren vor. Da ist <strong>de</strong>r kleine Mann, Spitzname Hänsel,<br />
<strong>de</strong>r wie ein fettleibiger Hanswurst in seinem Käfig hockt<br />
und sich alles gefallen lässt. Am quietschen<strong>de</strong>n Haken baumelt<br />
er, lächelt und <strong>de</strong>nkt insgeheim über eine Revolution<br />
nach. Doch eigentlich... könnte man ja auch die Wäsche<br />
in <strong>de</strong>n Trockner tun. Das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Faulheit beschwört er<br />
mehrfach, aber zum Schluss hängt <strong>de</strong>r gemästete Hänsel<br />
nach wie vor am Haken. Soviel zum anti-revolutionären<br />
Denken unserer Generation.<br />
Die böse Hexe – bei „half past selber schuld“ tritt sie als<br />
Meister Metzger mit blutverschmierter Schürze auf – ist <strong>de</strong>r<br />
Kapitalismus. Vor <strong>de</strong>r Fleischtheke schwingt er sein Hackebeil<br />
und wünscht sich die guten alten Zeiten <strong>de</strong>r Sklaverei<br />
zurück. In <strong>de</strong>r Auslage liegen Wurstwaren, Innereien und ein<br />
sprechen<strong>de</strong>r Schweinekopf. „Die dritte Welt“, wird zynisch<br />
verkün<strong>de</strong>t. Rollen wer<strong>de</strong>n hier brachial zugewiesen. Auch<br />
Gretel ist so eine typische Jugendliche und Konsumentin, die<br />
sich aus allem raus hält. Die Puppe mit überlangen Beinen<br />
und winzigem Kopf schiebt lustig einen Einkaufswagen vor<br />
sich her und kauft statt eines Buchs lieber ein neues iPhone.<br />
Wie von Sinnen tanzt sie dann zu hämmern<strong>de</strong>m Beat. Nix in<br />
<strong>de</strong>r Birne, aber „mehr Macht als eine Königin“.<br />
Abgedreht und absurd kann man das nennen, wenn eine<br />
sprechen<strong>de</strong> Ampel um die Ecke kommt o<strong>de</strong>r Lothar, <strong>de</strong>r Außerirdische,<br />
in <strong>de</strong>r kleinen Untertasse. O<strong>de</strong>r auch ziemlich<br />
genial. Visuell können nur wenige mit diesem quietschbunten<br />
Theater mithalten. Wer die Klischeeklopferei nicht<br />
scheut, <strong>de</strong>r ist in <strong>de</strong>r selbsternannten – und somit auch<br />
schön selbstironischen – „politischen Schmierenkomödie“<br />
<strong>de</strong>s Duos sehr gut aufgehoben. HENRIETTE WESTPHAL<br />
TERMINE IM FEBRUAR: BÜRGERHAUS KALK, 1.2. HALF PAST SELBER<br />
SCHULD MIT DER MUSIKSHOW „KINDERLIEDER FÜR ERWACHSENE“.<br />
Hänsel und <strong>de</strong>r Metzger, Foto: © Krischan Ahlborn<br />
Nedjo Osman und Grit Bardowicks, Foto: © Theater TKO<br />
LEID UND LEIDENSCHAFT<br />
„Der Mann im Flur“, Marguerite Duras Text über Liebe und<br />
Gewalt, wird vom Theater TKO im Kunsthaus Rhenania<br />
schnörkellos in <strong>de</strong>r Form und intensiv in Szene gesetzt.<br />
Marguerite Duras kurzer Text „Der Mann im Flur“ ist keine<br />
Geschichte, son<strong>de</strong>rn eher <strong>de</strong>r Ausriss einer Erzählung. Es beginnt<br />
unvermittelt mit <strong>de</strong>r Schil<strong>de</strong>rung einer vielleicht verletzten,<br />
vielleicht nur nach Exzessen ramponierten Frau, die mit<br />
zerfetztem Kleid im grellen Sonnenlicht liegt. Die Schauspielerin<br />
Christine Sohn trägt die Schil<strong>de</strong>rung mit lei<strong>de</strong>nschaftsloser,<br />
klarer Stimme vor. Sie verbirgt ihr Gesicht hinter einer<br />
Sonnenbrille und lehnt lässig und unbeteiligt an <strong>de</strong>r Rückwand<br />
<strong>de</strong>r Spielfläche. Einmal schaut sie aus <strong>de</strong>m Fenster auf<br />
<strong>de</strong>n fließen<strong>de</strong>n Verkehr, während sich die drei Darsteller tastend<br />
annähern, lei<strong>de</strong>nschaftlich aneinan<strong>de</strong>r hängen, sich brutal<br />
abweisen o<strong>de</strong>r in einsamen Qualen win<strong>de</strong>n. Duras schil<strong>de</strong>rt<br />
Abgrün<strong>de</strong> zwischen Mann und Frau – eine Begier<strong>de</strong>, die zwischen<br />
Zärtlichkeit und Gewalt nicht trennt; eine Liebe, <strong>de</strong>ren<br />
Wesen Zerstörung und Selbstzerstörung zu sein scheint.<br />
Die Regisseurin und Choreografin Nada Kokotovic überträgt<br />
<strong>de</strong>n Text, <strong>de</strong>ssen schonungslose Sprache allein schon physische<br />
Reaktionen auslöst, klug auf die Ebene <strong>de</strong>r Körperlichkeit.<br />
Das Paar wird von drei Personen getanzt. Die Tänzerin<br />
Grit Bardowicks im weinroten Kleid mit groß geschminktem<br />
Mund, dunkel gerän<strong>de</strong>rten Augen und nassem aufgelöstem<br />
Haar entspricht <strong>de</strong>r Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Frau von Duras. Der<br />
stämmige, dunkelhaarige Nedjo Osman im braunen Anzug<br />
folgt <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r „Mann im Flur“ bei Duras tut: Er nähert<br />
sich <strong>de</strong>r Frau, um sie zu <strong>de</strong>mütigen und mit Füßen zu treten.<br />
Eine an<strong>de</strong>re Ebene, die das traurige Innenleben <strong>de</strong>r Frau<br />
und <strong>de</strong>s Mannes, die vielleicht unterdrückten zarten Gefühle<br />
nach außen kehrt, verkörpert Phuong Tuong. Erst tritt er als<br />
suchen<strong>de</strong>r, trauern<strong>de</strong>r Mann auf, dann als verletzliche und<br />
verletzte Frau im hellroten Sei<strong>de</strong>nkleid.<br />
Wie er sich auf <strong>de</strong>r Bühne von einer Figur in die an<strong>de</strong>re<br />
verwan<strong>de</strong>lt, das allein macht <strong>de</strong>n Abend sehenswert. Es geschieht<br />
mit einem langsamen Bewegungsfluss, <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n<br />
japanischen Butoh-Tanz erinnert und bis in die Mimik und<br />
kleinste Geste vom Mann zur Frau mutiert. Der Kontrast<br />
zwischen Phuong Tuong und Nedjo Osman könnte nicht<br />
größer sein: hier <strong>de</strong>r feingliedrige, je<strong>de</strong>n Muskel einzeln beherrschen<strong>de</strong>,<br />
nuanciert mit kleinen und großen Gesten und<br />
Mimik spielen<strong>de</strong> Tänzer. Dort <strong>de</strong>r kraftstrotzen<strong>de</strong>, wuchtige<br />
Mann, <strong>de</strong>r seinen Körper nur am Stück bewegt führt: das<br />
führt die Ambivalenz vor Augen, die in je<strong>de</strong>r Szene von Duras<br />
steckt. Damit dominieren allerdings die Männer auch<br />
<strong>de</strong>utlich gegenüber <strong>de</strong>r Tänzerin.<br />
Ein Urteil, das in <strong>de</strong>r Zusammenschau aller Teile <strong>de</strong>s „Mann<br />
im Flur“ auch an<strong>de</strong>rs ausfallen könnte. Denn zur knapp<br />
50minütigen Aufführung gehört noch ein Teil, <strong>de</strong>r im Sommer<br />
mit <strong>de</strong>m Skopje Dance Theater erarbeitet wur<strong>de</strong>. Für<br />
eine Gesamtaufführung mit <strong>de</strong>n mazedonischen Tänzerinnen<br />
fehlte jetzt das Geld. Für <strong>de</strong>n Juni wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb noch<br />
Finanzquellen gesucht. CHRISTINA-MARIA PURKERT<br />
KEINE TERMINE IM FEBRUAR, SONDERN ERST IM JUNI