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EDITORIAL Es ist inhaltlich und sprachlich schon ein besonderes Ereignis, wenn Sigfrid Gauch sechzig Jahre Literaturgeschichte in Rheinland-Pfalz Revue passieren lässt, wie er es in seinem Vortrag „Im Fließen des Rheins “ anlässlich der Eröffnung einer gleichnamigen Buchausstellung im Rahmen der Offenen Tür des LBZ am 19 Mai 2007 in Koblenz getan hat Angefangen bei der „Kahlschlagliteratur“ der Nachkriegszeit, als die „Gruppe 47“ das NS-Regime und den Krieg aufarbeitete und mit ihren Texten literaturprägend für mehr als ein Jahrzehnt werden sollte, als die Emigranten wie Breitbach oder Zuckmayer zurückkehrten und deutsche Literaturgeschichte mitschrieben, als Rheinland-Pfalz 1947 auf dem Papier und dann real entstand es gibt viel zu erfahren über das literarische Leben in Rheinland-Pfalz, selbst wenn es hier nur ein schmaler Ausschnitt ist, der nachzulesen ist Auch der Beitrag von Günter Pflaum und Angelika Hesse über die „Büchereistelle Neustadt“ blickt ein Stück in die bewegte, mehr als 80-jährige Geschichte der Fachstelle in der Pfalz zurück; er schließt die Reihe der Vorstellungen der fünf Standorteinrichtungen des Landesbibliothekszentrums Rheinland-Pfalz ab Zugleich schildert der Beitrag die gegenwärtige Arbeit und wagt einen Blick in die nahe Zukunft im Rahmen der Dienstleistungen des LBZ für Rheinland-Pfalz 106 Das, was die Landespolitik und mit ihr die für Bildung und Kultur zuständige Staatsministerin in Mainz von Bibliotheken halten, welche Rolle Bibliotheken bei der Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz spielen müssen und wie so manche Defizite zu verbessern sind, ist aus einem Interview zu erfahren, das die Redaktion in schriftlicher Form Doris Ahnen vorgelegt und zügig beantwortet bekommen hat Nach den veröffentlichten Aussagen von Kulturstaatssekretär Joachim Hofmann-Göttig war es uns ein Anliegen, auch die Ministerin zu ihrer Politik zu befragen Im Heft enthalten ist nicht nur die bekannte Landesstatistik für kommunale Öffentliche Bibliotheken für das Jahr 2006 inkl einigen Erläuterungen, sondern erstmals eine statistische Zusammenstellung der Wissenschaftlichen Bibliotheken 2006 – wie sie aus dem Zahlenmaterial der Deutschen Bibliotheksstatistik beim HBZ in Köln im Rahmen der „variablen Auswertung“ zu entnehmen ist In Heft 4/2007 werden dann abschließend wieder die Ergebnisse der kommunal und kirchlich getragenen Öffentlichen Bibliotheken zusammengefasst Ihnen wird auffallen, dass der Heftlieferung diesmal einige Plakate beigelegt sind, die vom „Verlags-Karree“ stammen und „Romane des Monats“ vorstellen Es handelt sich beim Verlags-Karree um den Zusammenschluss von über 20 rheinland- Redaktionsschluss für Heft 4/2007: 20. Oktober 2007; für Heft 1/2008: 20. Januar 2008 Editorial pfälzischen Verlagen, die mit der Zeitschrift eine Werbe-Übereinkunft getroffen haben Verbunden mit den Plakaten und einigen Sonderkonditionen für den Buchhandel und Bibliotheken wird jeweils eine Buchneuerscheinung mit aktuellem Bezug vorgestellt Die Plakate sind, wenn Sie mögen, zum Aushängen in den Bibliotheken gedacht Welche weiteren Ideen und Angebote vom Verlags-Karree vorliegen, lesen Sie im Beitrag von Heinz- Peter Baecker Erfreulich ist, welche Vielzahl an örtlichen Jubiläen (z B Bobenheim-Roxheim) und Bibliotheks-Neueröffnungen (z B Kanzem, Lambsheim, Wachenheim) zu vermelden sind und welche interessanten und wichtigen Tagungen und Konferenzen speziell in Rheinland-Pfalz in den letzten drei bis vier Monaten stattfanden Weitere Ereignisse stehen für den Herbst des Jahres an – wie Sie lesen werden Ihr Herausgeber-Team Dr. Helmut Frühauf Angelika Hesse Elisabeth Kavala Gudrun Kippe-Wengler = Sandra Mehmeti Jürgen Seefeldt (v.i.S.d.P.) Die Büchereistelle Koblenz trauert: Gudrun Kippe-Wengler ist verstorben Nach langer, schwerer Krankheit ist Frau Diplom-Bibliothekarin Gudrun Kippe-Wengler M A am 25 August 2007 in ihrem Wohnort Kadenbach bei Koblenz verstorben Das Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz und insbesondere die Büchereistelle Koblenz trauern um eine stets aktive und engagierte Mitarbeiterin Gudrun Kippe-Wengler war seit dem 1 9 1980 als Wissenschaftliche Referentin für Schrifttum, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zunächst bei der Landesfachstelle bzw Landesbüchereistelle, später beim Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz, Büchereistelle Koblenz, tätig In dieser Funktion, aber auch als langjährige ehrenamtliche Geschäftsführerin des Friedrich-Bödecker- Kreises e V Rheinland-Pfalz, setzte sie sich mit großem Elan für die Leseförderung in Schulen und Bibliotheken ein Sie vermittelte zahllose Autorenbegegnungen und war maßgeblich an der Herausgabe der Zeitschriften „die bücherei“ und „bibliotheken heute“ beteiligt Gudrun Kippe-Wengler, am 28 12 1948 in Osnabrück geboren, hatte nach ihrem Abitur ihr Studium zur Diplom-Bibliothekarin an der Fachhochschule Hamburg 1971 absolviert und das 1974 begonnene Anglistik- und Germanistik-Studium an der Universität Trier 1980 mit dem M A erfolgreich abgeschlossen Nach beruflichen Stationen bei den Stadtbüchereien Düsseldorf und der Städtischen Bücherei Trier war die Aufgabe in der Koblenzer Landesfachstelle ihre dritte, wichtigste und längste Mit ihrem fast 27jährigen Wirken in Koblenz hat sie sich bei den Bibliotheken und Schulen im Land, ebenso bei Autorinnen und Autoren große Anerkennung und Respekt erworben Sie wird allen, die sie kannten, fehlen Jürgen Seefeldt bibliotheken heute 3 (2007) 3
Aufsätze · Vorträge AUFSÄTZE · VORTRÄGE „Im Fließen des Rheins wird kein Wort sein“ Bemerkungen zur Literatur in Rheinland-Pfalz nach 1945 Von Sigfrid Gauch Sie alle kennen den Gedichtanfang „Dies ist meine Mütze, / dies ist mein Mantel, / hier mein Rasierzeug im Beutel aus Leinen “ „Inventur“ heißt das Gedicht, es stammt von Günter Eich und steht exemplarisch für den literarischen Neuanfang nach der Nazizeit, für die „Kahlschlagliteratur“ Es entstand in einem Kriegsgefangenenlager, mit einer Reihe anderer Gedichte, auch einem, das „Camp 16“ heißt und so beginnt: „Durch den Stacheldraht schau ich / grad auf das Fließen des Rheins / Ein Erdloch daneben bau ich, ein Zelt hab ich keins “ Der Dichter spricht davon, dass er weder Decke noch Mantel habe und keinen Kameraden in seinem Erdloch Zur Lagerstatt rupft er sich Luzerne, die aber auch bald verdorrt sein wird, der Himmel wird sich finster beziehen und „im Fließen des Rheins wird kein Wort sein, / das mir süß einschläfert das Lid “ Das Augenlid ist gemeint Eine sprachlose Situation, eine Situation ohne Worte, eine Situation ohne Ansprechpartner, ohne Echo Das Ende vom Ende Verstanden wurde es aber als der Anfang eines ganz neuen Anfangs Viele von Ihnen wissen, wo diese Gedichte entstanden, denn eines davon heißt „Sinziger Nacht“ Dort, auf den Feldern und Rheinwiesen zwischen Remagen und Niederbreisig, lagen im Frühjahr 1945 mehr als 250 000 deutsche Kriegsgefangene, zusammengepfercht in Wind und Wetter, auf den Feldern in Erdlöchern und nur teilweise unter Zeltplanen Günter Eich befand sich unter den Gefangenen, ein Überlebender Mit diesen Versen von Günter Eich sei die deutsche Literatur aus den Ruinen des Dritten Reiches wiederauferstanden, habe noch einmal von vorn angefangen, sagen die Schullesebücher, die Literaturgeschichten Neubeginn in einem Erdloch in Rheinland-Pfalz Wolfgang Weyrauch prägte in seiner 1949 erschienenen Anthologie „Tausend Gramm“ den Begriff ‚Kahlschlagliteratur’, Eichs Gedicht „Inventur“ sei dafür exem- bibliotheken heute 3 (2007) 3 plarisch, denn dem neuen Anfang der Prosa in unserm Land seien allein die Methode und die Intention des Pioniers angemessen, nämlich die Methode der Bestandsaufnahme und die Intention der Wahrheit Wo der Anfang Sigfrid Gauch bei der Eröffnung zur Ausstellung „Literarisches Leben in Rheinland-Pfalz 1947-1956“ am 19. Mai 2007 im LBZ in Koblenz. Foto: Hans-Günter Kuhn Sigfrid Gauch, 1945 in Offenbach am Glan geboren, Studium der Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaft an den Universitäten Heidelberg und Mainz, Promotion mit „Offene und verdeckte Schreibweisen im Literarischen Jakobinismus“, Literaturreferent im rheinland-pfälzischen Kulturministerium, lebt in Mainz; Autor zahlreicher Gedichtbände, zuletzt „Gegenlichter“ (2005), Romane „Zweiter Hand“ (1987, Neuausgabe 1997), „Winterhafen“ (1999); „Goethes Foto und andere Erzählungen“ (1992); „Vaterspuren – Eine Lebensgeschichte“ (1979, Taschenbuch 1982, Neuaus- gabe 6 Auflage 2005, Übersetzungen in Israel 2001, USA 2002, chinesische Übersetzung geplant); Mitherausgeber zahlreicher Anthologien sowie der rheinland-pfälzischen Jahrbücher für Literatur, 13 Bände, 1994 – 2007; Vizepräsident und Writers-in-Exile-Beauftragter im P E N Zentrum Deutschland der Existenz sei, sei auch der Anfang der Literatur Tatsächlich, exemplarisch ist die Situation! Bestandsaufnahme und Wahrheit, ein neuer Anfang wurden postuliert Aber niemand sprach damals und auch nicht in den kommenden Jahren davon, dass die deutsche Literatur der Nachkriegszeit, dass Günter Eich keineswegs bei Null begonnen hatten Er war weder ein Emigrant noch ein unbescholtener Schriftsteller, sondern ein Mann mit Vergangenheit So wie er seine naturmagischen frühen Gedichte in späterer Zeit verleugnete, so verleugnete er auch seine rastlose, jahrelange Tätigkeit für den nationalsozialistischen Rundfunk, wie es Iris Radisch anlässlich seines 100 Geburtstages in der ZEIT formulierte Nein, es gab keine „Stunde null“ und es gab keinen „Kahlschlag“, weder in der Gruppe 47 noch in der Literaturszene von Rheinland-Pfalz Über die Gruppe 47 titelte kürzlich die „tageszeitung“: „Die legendäre Schrifstellervereinigung mit dem Ruf einer moralischen Instanz hatte von 1947 an ein Naziproblem – es wurde nie eingestanden “ Das war vor dem Erscheinen von Günter Grass’ „Beim Häuten der Zwiebel“ und bezog sich auf Veröffentlichungen, die fragten: „Wie zum Beispiel ist man mit den jüdischen Emigranten umgegangen? Warum diese notorische Haltung der Missachtung gegen Juden und Judentum und die kaltschnäuzigen Ausdrucksformen dieser Haltung? […] Warum wurde die Mitgliedsfrage ‚Uns zugehörig?’ mit besonderer Sorgfalt gegenüber Juden gestellt, die sich bewusst als Juden der Gruppe genähert haben, und warum wurde sie z B gegen Hermann Kesten oder Paul Celan so verklemmt und niederträchtig ins Feld geführt? […] Warum haben alle Sprecher der Gruppe 47 jeglichen Anteil an einem deutschen Antisemitismus nach 1945, und sei es den Anteil einer Verantwortung 107 AUFSÄTZE · VORTRÄGE
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