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Ausgabe April 2004 - qs- nrw

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Editorial<br />

Ist der Arztberuf noch ein freier Beruf ?<br />

Liebe Kolleginnen<br />

und Kollegen!<br />

„Als es mir schlecht ging,<br />

fluchte ich und hörte eine Stimme,<br />

die sprach: Sei still,<br />

es könnte schlimmer kommen!<br />

Ich war still und<br />

es kam schlimmer.“<br />

unbekannter Verfasser<br />

Zwei meiner Kinder studieren trotz langer familiärer Diskussionen Medizin.<br />

Aus ihren Erzählungen und Berichten kann ich am Ende des<br />

Berufslebens noch einmal den Anfang miterleben. Der einst unbewusste<br />

Erziehungsprozess zum Arzt wird nun an den Kindern bewusster<br />

wahrgenommen. Es ist schon spannend, wie bereits in der Vorklinik<br />

ärztliches Denken vorbereitet wird. Leider scheint diese<br />

Erziehung auch submissive Elemente zu enthalten, die den angehenden<br />

Arzt mit dem unerschütterlichen Glauben versehen, dass die Menschen<br />

wohlwollend und die Obrigkeiten weise sind. Dieser Teil der Erziehung<br />

muss Ärzte gegenüber Zumutungen der Berufsausübung, der<br />

Vorgesetzten und der Obrigkeit sehr stark desensibilisieren. So ertragen<br />

sie Bedingungen weitgehend klaglos, die in anderen Berufen zu<br />

erheblichem Protest und Widerstand führen würden.<br />

Stellen Sie sich vor, die Metallarbeiter müssten per Gesetz zwei Wochenstunden<br />

länger arbeiten. Wie wäre die Reaktion der IG Metall?<br />

Schleichende Einnahmekürzungen durch nicht aktualisierte Gebührenordnungen<br />

und (in den zurückliegenden Jahren) steigende Arztzahlen<br />

haben die Ärzte – vielleicht infolge eines langen Gewöhnungsprozesses<br />

– meist stillschweigend hingenommen.<br />

Das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) – als noch relativ akzeptables<br />

Gesetz von Ärztevertretern angesehen – hat neben anderem auch<br />

eine Arbeitszeitverlängerung gebracht. Die im GMG fixierte Fortbildungspflicht<br />

von 50 Stunden pro Jahr verlängert die Arbeitszeit der<br />

Ärzte um mindestens eine Stunde pro Woche, wenn die Wegezeiten<br />

unberücksichtigt bleiben. Unter Berücksichtigung der Wegezeiten sind<br />

zwei bis drei Stunden pro Woche anzusetzen. Die Kosten der Fortbildung<br />

in Form von Teilnahmegebühren, Fahrt- und Nebenkosten werden<br />

mit Selbstverständlichkeit nicht erstattet – von wem auch? –, sondern<br />

von den Ärzten selbst getragen, kürzen also die Einnahmen.<br />

Wenn auch Fortbildung immer Teil des Berufes war und auch freiwillig<br />

geleistet wurde, so war doch damals – vor langer Zeit – zumindest der<br />

Inflationsausgleich der Einnahmen garantiert.<br />

Eine weitere subtile Form der Einnahmekürzung dürfte für jene Ärzte<br />

wirksam werden, die in „abgelegenen“, also nicht-attraktiven Regionen<br />

tapfer ihre Patienten versorgt haben und bei Praxisschließung<br />

ohne Nachfolger einen herben Verlust erleben.<br />

Es ist ein Verdienst der rot-grünen Regierung, den „besserverdienenden<br />

Rentner“ kreiert zu haben, der auch nach Abschluss des Berufslebens<br />

seine Solidarität unter Beweis stellen darf. Alle Ärzte, die vom Versorgungswerk<br />

ihre Altersversorgung beziehen und nicht privat<br />

versichert sind, werden über erhöhte Zuzahlungen zur gesetzlichen<br />

Krankenversicherung Einnahmen verlieren und das, obwohl es sich bei<br />

den Leistungen der Versorgungswerke um BfA-rentenersetzende Bezüge<br />

und nicht um Zusatzrenten (z. B. Betriebsrenten) handelt.<br />

Alles – ohne merkliche Reaktionen! Das kann nur das Resultat einer<br />

sehr wirksamen, unbewussten Erziehung sein.<br />

Ich erinnere mich allerdings noch an die KV-Einführungskurse<br />

1991/92 – da wurde von den system-neuen „Ostärzten“ die große<br />

Zahl gesetzlicher Krankenversicherungen kritisiert. Die indignierte Antwort<br />

des „Westreferenten“: Das gegliederte System der gesetzlichen<br />

Krankenversicherungen hat sich seit Jahrzehnten bewährt! Nun, nach<br />

gut zehn Jahren, ist die Zahl dieser gesetzlichen Krankenversicherungen<br />

merklich gesunken. Offensichtlich bewährte sich ihre Vielzahl<br />

doch nicht so sehr, wobei das vom Ministerium für Gesundheit und soziale<br />

Sicherung erlassene Verbot (!), neue gesetzliche Krankenversicherungen<br />

zu gründen, und die Förderung von Fusionen die Zahl<br />

weiter reduzieren wird.<br />

Es bedarf wohl besonderer Ereignisse, um Distanz zu tradierten Strukturen<br />

zu gewinnen und über deren Sinnhaftigkeit nachzudenken. Vielleicht<br />

wäre es doch angemessen, das so vertraute Vertragsarztsystem<br />

und seine fortschreitende Umwandlung in eine Behörde in Frage zu<br />

stellen. Die Macht der Gesundheitspolitiker beruht sehr wesentlich auf<br />

der Fesselung der Ärztevertretungen als Körperschaften öffentlichen<br />

Rechts – die Landesärztekammern unterliegen der Rechtsaufsicht ihrer<br />

Landesministerien – und auf der Bindung fast aller niedergelassenen<br />

Ärzte – der Vertragsärzte – in ein kaum mehr überschaubares System<br />

aus Gesetzen, Ordnungen, Verordnungen und Vorschriften.<br />

Die immer wiederholte und erfolgreiche Teilung der Ärzte in im Streit<br />

liegende Gruppierungen bleibt hier unberücksichtigt. Zweifellos hat<br />

dieses Vertragsarztsystem – wie das gegliederte System der gesetzlichen<br />

Krankenversicherungen – Jahrzehnte funktioniert. Wird es aber<br />

auch morgen noch funktionieren?<br />

Dass die Allianz aus Gesetzgeber und gesetzlichen Krankenversicherungen<br />

– wobei letztere die Rolle von Erfüllungsgehilfen inne haben<br />

oder als Treuhänder des Gesetzgebers und der Patienten (Sie bemerken<br />

den Interessenkonflikt?) anzusehen sind und zur Zeit keinesfalls als<br />

selbstständige Wirtschaftsunternehmen agieren – Einfluss auf die Gesundheitsversorgung<br />

haben will, ist verständlich.<br />

Dass diese Allianz kein Eigeninteresse verfolgt und nur dem Wohl der<br />

Versicherten verpflichtet ist, dürfte nicht garantiert sein. Vielleicht sollten<br />

wir uns die unbewussten Anteile unserer Berufserziehung bewusst<br />

machen und den Status schweigender Lämmer aufgeben, bevor wir im<br />

Bundesanzeiger lesen:<br />

Anordnung des Ministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung<br />

Alle Organisationen, Gesellschaften, Mannschaften, Gruppen und Zirkel<br />

von Ärztinnen und Ärzten sind mit sofortiger Wirkung aufgelöst.<br />

Eine Organisation, Gesellschaft, Mannschaft, Gruppe oder ein Zirkel<br />

wird hiermit definiert als regelmäßige Zusammenkunft von drei oder<br />

mehr Ärztinnen und Ärzten.<br />

Allen Organisationen, Gesellschaften, Mannschaften, Gruppen und<br />

Zirkeln ist es verboten, ohne Wissen und Genehmigung des Ministeriums<br />

für Gesundheit und soziale Sicherung tätig zu sein.<br />

Die Genehmigung für Neugründungen kann im Ministerium für Gesundheit<br />

und soziale Sicherung eingeholt werden.<br />

PS: Die Anordnung des Ministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung ist<br />

vorerst fiktiv und ein Plagiat. Ich bitte die Autorin Joanne K. Rowling um<br />

Nachsicht.<br />

Ihr Manfred Kalz<br />

98 Brandenburgisches Ärzteblatt 4/<strong>2004</strong> • 14. Jahrgang

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