05.11.2012 Aufrufe

die „kleinen Brüder“ - bei GOLDENAge

die „kleinen Brüder“ - bei GOLDENAge

die „kleinen Brüder“ - bei GOLDENAge

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Golden<br />

Age<br />

Sie standen in ihrem<br />

Schatten und doch<br />

wieder nicht:<br />

<strong>die</strong> Brüder Schrammel.<br />

130 Jahre nach<br />

ihrem Tod sind sie<br />

noch immer populär.<br />

Es ist ihnen gelungen,<br />

was sonst niemand<br />

geschafft hat –<br />

sie haben einer<br />

Stilrichtung ihren<br />

Namen gegeben.<br />

<strong>GOLDENAge</strong> Redakteurin<br />

Charlotte Winkler im Gespräch<br />

mit Martin Kubik, Primus inter<br />

pares der Philharmonia<br />

Schrammeln über einen<br />

speziellen Klang und ein<br />

besonderes Ensemble.<br />

10<br />

Die Geburt der Brüder Johann<br />

und Josef Schrammel fiel in<br />

<strong>die</strong> Zeit des Aufbruchs, der<br />

nach der 1848er Revolution, <strong>die</strong> das<br />

Ende des Biedermeiers bedeutete,<br />

Wien erfasst hatte. Die Basteien<br />

wurden geschleift, der Bau der Ringstraße<br />

begonnen und <strong>die</strong> Wiener<br />

begannen wieder aus der selbstgewählten<br />

inneren Emigration der<br />

Metternichzeit auszubrechen. Die<br />

unzähligen Heurigen der damaligen<br />

Vorstädte waren beliebte Plätze, <strong>die</strong><br />

man aufsuchte, um sich ein bisschen<br />

zu vergnügen und <strong>die</strong> Sorgen des<br />

Alltags zu vergessen. Und Musik gehörte<br />

da einfach dazu, war doch <strong>die</strong><br />

Musik immer schon Lebenselixier<br />

der Wiener gewesen.<br />

Johann und Josef Schrammel waren,<br />

mit ihrer musikalischen Ausbildung<br />

im Konservatorium, aber sozialisiert<br />

im damaligen Vergnügungsvorort<br />

Neulerchenfeld und geprägt durch<br />

den Beruf ihrer Eltern, <strong>die</strong> <strong>bei</strong>de<br />

Volksmusiker gewesen waren, prädestiniert,<br />

<strong>die</strong> Welt um sie herum<br />

in Noten zu fassen und damit das<br />

Wien des ausklingenden 19. Jahr-<br />

Original Zach Geige<br />

von Josef Schrammel<br />

Die Schrammeln –<br />

<strong>die</strong> <strong>„kleinen</strong> <strong>Brüder“</strong> der Strauß-Dynastie<br />

hunderts unsterblich zu machen.<br />

Das Artmann’sche Postulat „Nur ka<br />

Schmoiz!“ vorwegnehmend, gaben<br />

sie in ihrer Musik wieder, was den<br />

Wiener so ausmacht. Das melancholische<br />

Leise, das voller Weltschmerz<br />

Raunzerische, aber auch <strong>die</strong> Fähigkeit<br />

zu himmelhoch jauchzender Ekstase.<br />

Der typische Schrammel-<br />

„Sound“ entstand, als zu den<br />

ursprünglich mit dem Kontragitarristen<br />

Anton Strohmayer als Terzett<br />

geigenden Schrammelbrüdern noch<br />

Georg Dänzer stieß, der es wie kein<br />

anderer verstand, das „Picksüaße<br />

Hölzl“ – <strong>die</strong> G-Klarinette zu spielen<br />

und zu improvisieren. Sieben erfolgreiche<br />

Jahre lang erfreute das Ensemble,<br />

schon längst von den Wienern<br />

als „<strong>die</strong> Schrammeln“ tituliert, sein<br />

Publikum und das nicht nur in Wien<br />

sondern auch auf unzähligen Konzertreisen<br />

im Ausland. Umjubelt spielten<br />

sie nicht nur eigene Melo<strong>die</strong>n, sondern<br />

auch <strong>die</strong> neuesten Straußwalzer<br />

und Opernarien und machten <strong>die</strong>se<br />

so bekannt. Sogar Kronprinz Rudolf<br />

war bekennender Schrammel-Fan.<br />

Nach Dänzers Tod wurde als Notlösung<br />

der Knopfharmonikaspieler Anton<br />

Ernst Mitglied des Quartetts und<br />

damit entstand auch ein neuer Stil.<br />

Durch den Untergang der<br />

Donaumonarchie und zwei<br />

Weltkriege geriet <strong>die</strong> Schrammelmusik<br />

in Vergessenheit.<br />

Erst <strong>die</strong> Suche nach einer österreichischen<br />

Identität in der Zweiten<br />

Republik brachte ihre Wiederentdeckung<br />

mit sich.<br />

Es war Lois Böck, der alte Handschriften<br />

aus Museen ausgrub, aber<br />

auch der Philharmoniker Alfred<br />

Spilar, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Wiedergeburt<br />

<strong>die</strong>ses Musikgenre sorgten. Aus den<br />

Ende der 1950er gegründeten Spilar-<br />

Schrammeln gingen <strong>die</strong> Philharmonia<br />

Schrammeln hervor, <strong>die</strong> sich der<br />

Pflege <strong>die</strong>ser Musik verschrieben<br />

haben. Vor 20 Jahren stieß Martin<br />

Kubik, Erster Geiger des Orchesters<br />

als 23jähriger dazu, seit 2001 ist er<br />

Leiter des Ensembles. Für Kubik<br />

war es komplettes musikalisches<br />

Neuland, das er kennen lernte. Aber<br />

<strong>die</strong> unprätentiöse Schönheit <strong>die</strong>ser<br />

so wienerischen Musik hat sich auch<br />

ihm erschlossen.<br />

„Diese Musik ist auch eine<br />

Altersfrage“ meint er lachend. Kubik<br />

versteht <strong>die</strong> Musik, <strong>die</strong> von den<br />

Philharmonia Schrammeln gespielt<br />

Historische<br />

Schrammeln<br />

wird, nicht als Volksmusik. Es ist<br />

Kammermusik, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Wiener Seele<br />

interpretieren will, Weana Tanz, <strong>die</strong><br />

nicht getanzt werden, leise Nuancen<br />

und Zwischentöne werden hier<br />

hörbar, wozu vielleicht auch <strong>bei</strong>trägt,<br />

dass <strong>die</strong> Stimmung der Instrumente<br />

einen Halbton höher liegt als üblich.<br />

Kubik, der auch <strong>die</strong> Arrangements<br />

für das Ensemble macht, bewundert<br />

und beneidet <strong>die</strong> echten Volksmusiker<br />

fürs freie Musizieren, das aber<br />

nicht <strong>die</strong> Intention seines Ensemble<br />

entspricht. Bis zu 80 Stücke im Jahr<br />

muss er für <strong>die</strong> Konzerte der Philharmonia<br />

Schrammeln aussuchen und<br />

arrangieren. Gespielt werden vier<br />

Abonnement-Konzerte im Brahmssaal,<br />

ein jährliches Konzert <strong>bei</strong> der<br />

Schubertiade in Hohenems und eines<br />

im bayerischen Schloss Schleißheim –<br />

das Publikum erwartet sich Neues im<br />

altbewährten Klang.<br />

Natürlich gab es und gibt es auch<br />

Plattenaufnahmen, so zum Beispiel<br />

<strong>die</strong> legendären Kremser Alben in Zusammenar<strong>bei</strong>t<br />

mit Walter Berry und<br />

Heinz Zednik, <strong>die</strong> Wiener Musik<br />

weitab von rührseliger Larmoyanz<br />

bieten. Eine neue CD mit Angelika<br />

Kirchschlager ist in Vorbereitung.<br />

Die Schrammeln haben also wieder<br />

Konjunktur, wovon auch <strong>die</strong> vielen,<br />

durchaus unterschiedlichen Ensembles<br />

zeugen, <strong>die</strong> sich mit ihrem<br />

Namen schmücken. U<br />

Die Philharmonia Schrammeln<br />

Wien, von oben nach unten:<br />

Günter Haumer, Hannes<br />

Moser, Martin Kubik, Andreas<br />

Großbauer, Heinz Hromada<br />

Fokus & Trend<br />

Schrammelpicknick<br />

Von 2000 bis 2002 wurden<br />

an den Augustsonntagen im<br />

Wiener Burggarten Schrammel-<br />

Picknicks veranstaltet.<br />

Der Wiener Burggarten verwandelte sich drei Sommer<br />

lang in einen Hort der Lebensfreude. Im Schatten der<br />

uralten Bäume, auf Picknick-Decken oder auf Parkbänken,<br />

verwöhnt von leichter Sommer-Gastronomie,<br />

wurden Wiener und Wien-Besucher eingeladen, einen<br />

Ausflug in <strong>die</strong> Altwiener Atmosphäre zu machen. Sie<br />

hatten an Sonntagen im August Gelegenheit, den<br />

Klängen erlesener Schrammel-Quartette zu lauschen<br />

und den Sommer in der schattigen Stadtoase so<br />

richtig zu genießen. Dazu kam Altwiener Flair mit<br />

Salzgurkenmann und Brezelbub, Lavendelfrauen und<br />

Zuckerlverkäufer, historische Postkarten, Musik-Information<br />

und Noten und Tonträger der Künstler.<br />

Ohrenschmaus und Gaumenfreuden –<br />

Die Geschichte der Schrammelpicknicks<br />

Das erste Schrammelpicknick wurde 2000 zu Ehren<br />

des 150. Geburtstags von Johann Schrammel zum<br />

Kult-Ereignis der besonderen Art: Die besten aktuellen<br />

Interpreten der Wiener Schrammel-Musik, jeweils vier<br />

Quartette, spielten auf.<br />

Ab dem Folgejahr 2001 waren <strong>die</strong> sommerlichen<br />

Picknicks in der Innenstadt ein fixer Bestandteil der<br />

Wiener Kulturszene und gut besuchte Events. Organisiert<br />

vom Österreichischen Volksliedwerk und gefördert<br />

von der Kulturabteilung der Stadt Wien waren sie<br />

<strong>die</strong> einzigen großen Schrammelmusik-Festivals, <strong>die</strong><br />

es jemals gab.<br />

Im Jahr 2002 fand das letzte Picknick <strong>die</strong>ser Art statt,<br />

zu Ehren von Josef Schrammel (1852 – 1895). Er war<br />

der jüngere und aufgrund seiner Wesensart weniger<br />

extrovertierte Künstler und stand stets etwas im<br />

Schatten seines berühmteren Bruders. 2002 standen<br />

seine Werke im Vordergrund, <strong>die</strong> von hoher Musikalität<br />

gekennzeichnet sind. Der Walzer „Die Nußdorfer“ oder<br />

<strong>die</strong> „Wiener Tänze“, einige Polkas und Märsche oder<br />

<strong>die</strong> Lieder „Vindobona, <strong>die</strong> Perle von Österreich“, „Mit<br />

Herz und Sinn für unser Wien“ oder „Der Weaner is<br />

allweil leger“ wurden speziell als Hommage an Josef<br />

Schrammel „aufg‘spielt“.<br />

11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!