em. o. Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Koppensteiner Markenrecht - Manz
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A. Überblick<br />
4. Primärrecht<br />
a) Bedeutung<br />
Nach Art 288 AEUV sind die dort genannten Akte des Sekundärrechts, also auch Richtlinien,<br />
„nach Maßgabe dieses Vertrags“ zu erlassen. Das bedeutet, dass Richtlinien den Vertrag<br />
nicht ändern können. Daraus wiederum resultiert die Notwendigkeit, solche Rechtsquellen im<br />
Rahmen des Möglichen vertragskonform auszulegen. 17 D<strong>em</strong>entsprechend lässt sich der verbindliche<br />
Inhalt der Markenrichtlinie nicht ohne Berücksichtigung des einschlägigen Primärrechts<br />
beurteilen. Einschlägig sind in erster Linie die Art 34, 36 AEUV (früher: Art 28, 30 EG)<br />
in der Ausformung, die diese Bestimmungen durch die markenbezogene Rechtsprechung des<br />
EuGH gefunden haben. Regelungsgegenstand der Art 34 und 36 sind nur Beeinträchtigungen<br />
der Freiheit des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten. D<strong>em</strong>entsprechend hatte sich der<br />
EuGH ausschließlich mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen Regeln<br />
des nationalen <strong>Markenrecht</strong>s als eine solche Beschränkung zu qualifi zieren seien. Diese recht<br />
enge Fragestellung hat den Gerichtshof dennoch genötigt, grundsätzliche Aussagen über das<br />
„Wesen“ der Marke zu formulieren.<br />
b) Rechtsprechung<br />
Wie im Kontext anderer Immaterialgüterrechte unterscheidet der EuGH zwischen d<strong>em</strong> spezifi<br />
schen Gegenstand des <strong>Markenrecht</strong>s und seiner Ausübung . Einfuhrverbote und -beschränkungen<br />
fallen grundsätzlich unter das Verbot des Art 34 AEUV. Sie sind nach Art 36 AEUV<br />
dennoch zulässig, soweit dies zur Wahrung der Rechte erforderlich ist, die den spezifi schen<br />
Gegenstand des <strong>Markenrecht</strong>s ausmachen. In der Formulierung des Urteils HAG II, 18 das die<br />
vorher nicht ganz ungebrochene Entwicklungslinie der Judikatur 19 zu ein<strong>em</strong> gewissen Abschluss<br />
gebracht hat, wird der spezifi sche Gegenstand des <strong>Markenrecht</strong>s dahin gehend bestimmt,<br />
dass sein<strong>em</strong> Inhaber das Recht verliehen werde, die Marke beim erstmaligen Inverkehrbringen<br />
eines Erzeugnisses zu benutzen, und dass er dadurch vor Konkurrenten geschützt<br />
werde, die die Stellung und den Ruf der Marke durch den Vertrieb widerrechtlich mit dies<strong>em</strong><br />
Zeichen versehener Erzeugnisse zu missbrauchen suchen. Für die Bestimmung der genauen<br />
Reichweite dieses Ausschließlichkeitsrechts müsse die Hauptfunktion der Marke berücksichtigt<br />
werden, die darin bestehe, d<strong>em</strong> Verbraucher oder Endabnehmer die Ursprungsidentität<br />
des gekennzeichneten Erzeugnisses zu garantieren. Daraus sind Zulässigkeitsgrenzen für Vorschriften<br />
des nationalen Rechts abgeleitet worden, die die Verhinderung von Paralleleinfuhren<br />
ermöglichen: Da der spezifi sche Gegenstand des Rechts nicht betroffen sei, könne sich der<br />
Markeninhaber gegen die Einfuhr oder den Vertrieb eines Erzeugnisses nicht wehren, das auf<br />
d<strong>em</strong> Markt eines anderen Mitgliedstaats von ihm selbst, mit seiner Zustimmung oder von einer<br />
rechtlich oder wirtschaftlich von ihm abhängigen Person rechtmäßig in den Verkehr gebracht<br />
17 Für Nachweise Voraufl , § 22 RN 13. Speziell für den hier interessierenden Kontext EuGH wbl 1998, 26<br />
(Tz 37) – Christian Dior/Evora; Pöchhacker, 240 ff; Fezer, wrp 1998, 5 f.<br />
18 Slg 1990 I, 3711, bestätigt durch EuGH wBl 1996, 396 – Bristol-Myers Squibb mit Anm Pöchhacker;<br />
EuGH EuZW 1996, 532 – Eurim Pharm mit Anm Lüders, ferner EuGH MarkenR 2002, 155 (Tz 29) – Boehringer/Swingward;<br />
Hein<strong>em</strong>ann, 259 f; Verkade, GRUR Int 1996, 1152 ff, übernommen von OGH ÖBl<br />
2000, 22, 274 f – Schuberverpackung I, OGH ÖBl 1998, 182, 185 – Fußballverein-Logos.<br />
19 Zu dieser Entwicklung zB Keim, 167 ff, Schmitt, 5 ff, Ebenroth, 30 ff, Urlesberger, 5 ff, 12 f, 27 ff mit<br />
Kritik, kritisch etwa auch Hein<strong>em</strong>ann, 196 ff mwN, zurückhaltender 239 ff, 245 ff, abgewogene (und besonders<br />
ausführliche) Diskussion der Frage bei Oder, 99 ff, 109 ff. Besonders aufschlussreich die Schlussanträge<br />
von Generalanwalt Jacobs in HAG II, Slg 1990 I, 3729 ff.<br />
8 <strong>Koppensteiner</strong>, <strong>Markenrecht</strong>, LexisNexis