29.12.2014 Aufrufe

Expertengutachten von Prof. Dr. Markus Schefer - Infosperber

Expertengutachten von Prof. Dr. Markus Schefer - Infosperber

Expertengutachten von Prof. Dr. Markus Schefer - Infosperber

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Glaubens- und Gewissensfreiheit <strong>von</strong> Lehrpersonen: Rechtsgutachten 8<br />

<strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Markus</strong> <strong>Schefer</strong>, LL.M. und Alexander Suter, MLaw<br />

Grundlage differenzierter zu beurteilen 46 . Zu<br />

beachten ist jedoch, dass bei Vorhandensein<br />

einer nur ungenauen gesetzlichen Grundlage<br />

die weiteren Voraussetzungen des öffentlichen<br />

Interesses und der Verhältnismässigkeit<br />

um so strenger geprüft werden müssen. 47<br />

2.2. Grundsatz der Neutralitätspflicht<br />

des Staates<br />

2.2.1. Allgemeines<br />

Die Pflicht des Staates zur religiösen<br />

Neutralität und Toleranz gegenüber verschiedenen<br />

Glaubensbekenntnissen ergibt<br />

sich als Ausfluss der in Art. 15 BV statuierten<br />

Glaubens- und Gewissensfreiheit 48 und<br />

aus dem Verbot nach Art. 8 Abs. 2 BV 49 ,<br />

wegen der religiösen und weltanschaulichen<br />

Überzeugung zu diskriminieren. Die genannten<br />

Bestimmungen umschreiben neben<br />

grundrechtlichen Individualansprüchen auch<br />

ein staatliches Ordnungsprinzip, das sich auf<br />

das institutionelle Verhältnis des Staates zu<br />

einer oder mehreren Glaubensgemeinschaften<br />

bezieht. 50 Dieses Ordnungsprinzip stellt<br />

einen Teilaspekt der staatlichen Neutralitätspflicht<br />

dar und enthält positive und negative<br />

Gehalte. 51<br />

Einerseits darf der Staat nicht einseitig<br />

Partei für eine bestimmte, religiös oder<br />

weltanschaulich ausgerichtete Gruppierung<br />

einnehmen (negativ). Dieser Gehalt beinhaltet<br />

das Nichtidentifikations- und Rechts-<br />

gleichheitsgebot 52 und gebietet sich auch<br />

deshalb, weil mit einer einseitigen Stellungnahme<br />

des Gemeinwesens eine Wertung<br />

anderer, nicht vom Staat geförderten Überzeugungen<br />

verbunden ist. 53<br />

Andererseits soll nicht das Ziel verfolgt<br />

werden, das Religiöse oder Weltanschauliche<br />

völlig aus der Staatstätigkeit auszuschliessen.<br />

54 Verlangt wird vielmehr die<br />

„unparteiische, gleichmässige Berücksichtigung<br />

der in einer pluralistischen Gesellschaft<br />

auftretenden religiösen und weltanschaulichen<br />

Überzeugungen“. 55 Der Staat darf religiöse<br />

oder weltanschauliche Überzeugungen<br />

dann berücksichtigen, wenn dies unparteiisch<br />

geschieht (positiv). Damit stehen die<br />

beiden Wirkungsweisen des Neutralitätsgebots<br />

in einem unvermeidlichen Spannungsverhältnis.<br />

56<br />

Der EGMR anerkennt die Neutralitätspflicht<br />

als Ausfluss <strong>von</strong> Art. 9 EMRK 57<br />

und in den General Comments 58 zu Art. 18<br />

UNO-Pakt II hält der UNO-<br />

Menschenrechtsausschuss fest, dass der<br />

Staat nicht ausgehend <strong>von</strong> einer bestimmten,<br />

durch eine einzelne Glaubensrichtung geprägten<br />

Tradition andere Glaubensrichtungen<br />

benachteiligen darf. Die Neutralitätspflicht<br />

ist also national wie international auf<br />

verbindliche Weise festgeschrieben. Über<br />

die Geltung als Ordnungsprinzip hinaus<br />

stellt das Neutralitätsprinzip auch ein verfas-<br />

46<br />

47<br />

48<br />

49<br />

50<br />

51<br />

Vgl. SCHEFER, Beeinträchtigung <strong>von</strong> Grundrechten,<br />

S. 67ff.<br />

TAPPENBECK/DE MORTANGES, Religionsfreiheit<br />

in der Schule, S. 1423f.<br />

BGE 118 Ia 46 E4e/aa S. 58 (infoSekta); BBl<br />

1997 I 156.<br />

HANGARTNER, Überblick Religionsfreiheit, S.<br />

450; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte, S. 269.<br />

TAPPENBECK/DE MORTANGES, Religionsfreiheit<br />

in der Schule, S. 1415; NAY, Positive und negative<br />

Neutralität des Staates, S. 217.<br />

NAY, Positive und negative Neutralität des Staates,<br />

S. 216.<br />

52<br />

53<br />

54<br />

55<br />

56<br />

57<br />

58<br />

HANGARTNER, Kooperation <strong>von</strong> Staat und Religionsgemeinschaften,<br />

S. 101.<br />

BGE 116 Ia 252 E7b S. 262 (Kruzifix); so wohl<br />

auch EGMR Lautsi v. Italy, 30814/06 (2009) N50.<br />

EHRENZELLER, Zukunftsperspektive: Trennung<br />

<strong>von</strong> Kirche und Staat, S. 188; NAY, Positive und<br />

negative Neutralität des Staates, S. 218.<br />

BGE 118 Ia 46 E4e/aa S. 58 (infoSekta); BGE<br />

123 I 296 E4b/bb S. 308 (Kopftuch).<br />

BVerfG 93, 1, S. 22 (Deutscher Kreuz-Entscheid).<br />

EGMR Hasan & Chaush v. Bulgaria, N62; SAHL-<br />

FELD, Aspekte der Religionsfreiheit, S. 109f;<br />

KILKELLY, Art. 9 EMRK, S. 430.<br />

General Comment No. 22 über Art. 18 UNO-Pakt<br />

II, N8.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!