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Expertengutachten von Prof. Dr. Markus Schefer - Infosperber

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Glaubens- und Gewissensfreiheit <strong>von</strong> Lehrpersonen: Rechtsgutachten 10<br />

<strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Markus</strong> <strong>Schefer</strong>, LL.M. und Alexander Suter, MLaw<br />

Verstärkt werden diese Ansprüche durch das<br />

Obligatorium des Grundschulunterrichts für<br />

das Kind 69 , da sich der Schulbesuch<br />

zwangsmässig durchsetzen lässt. 70<br />

Die Bundesverfassung <strong>von</strong> 1874 trug<br />

diesen Umständen in Art. 27 Abs. 3 BV<br />

(1874) Rechnung, wo ausdrücklich garantiert<br />

wurde, dass öffentliche Schulen „<strong>von</strong><br />

den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne<br />

Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit<br />

besucht werden können“. Die<br />

Grundidee dieser Bestimmung war, dass der<br />

Schulunterricht, mit Ausnahme des fakultativen<br />

Religionsunterrichts, gegenüber den<br />

verschiedenen Glaubensrichtungen neutral<br />

sein sollte. 71 Damit stellte die Bestimmung<br />

ein für das öffentliche Bildungswesen geltendes<br />

lex specialis dar, obschon ihr Gehalt<br />

<strong>von</strong> dem allgemeinen Grundsatz bereits erfasst<br />

war. 72 So wurde diese „überflüssige“<br />

Bestimmung denn auch nicht in die neue<br />

Bundesverfassung übernommen. 73 Der Anspruch<br />

auf religiös neutralen Grundschulunterricht<br />

ist seither nur noch in der allgemeinen<br />

Glaubens- und Gewissensfreiheit in Art.<br />

69<br />

70<br />

71<br />

72<br />

73<br />

Vgl. Art. 62 Abs. 2 Satz 2 BV; EHRENZEL-<br />

LER/SCHOTT, Art. 62 BV, N25ff.<br />

Es gibt indes keine Verpflichtung, eine öffentliche<br />

Schule zu Besuchen, vgl. EHRENZEL-<br />

LER/SCHOTT, Art. 62 BV, N28; BIAGGINI, Art. 15<br />

BV, N6; Das deutsche Bundesverfassungsgericht<br />

hat sich in seinem Kreuz-Entscheid zum Umstand<br />

geäussert, dass sich eine durch religionsgebundene<br />

öffentliche Schulen ausgehende, ungewünschte<br />

Beeinflussung der Schulkinder durch den Besuch<br />

einer Privatschule umgehen liesse. Zu Recht<br />

hat es festgehalten, dass sich diese durch ein eigens<br />

aufzubringendes Schulgeld finanzieren, was<br />

sich ein Grossteil der Bevölkerung nicht leisten<br />

könne. Die Mehrheit der Schulkinder ist damit<br />

faktisch zum Besuch einer öffentlichen Schule<br />

gezwungen, die entsprechend religionsneutral<br />

aufgebaut sein muss, vgl. BVerfGE 93, 1, S. 18<br />

(Deutscher Kreuz-Entscheid).<br />

BURCKHARDT, Art. 27 Abs. 3 aBV, S. 200.<br />

BORGHI, Art. 27 Abs. 3 BV (1874), N64; MÜL-<br />

LER/SCHEFER, Grundrechte, S. 272; NAY, Positive<br />

und negative Neutralität des Staates, S. 220;<br />

HAFNER, Glaubens- und Gewissensfreiheit, N31.<br />

Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom<br />

20. November 1996, BBl 1997 I 156.<br />

15 BV enthalten, der gemeinsam mit dem in<br />

Art. 19 BV gewährleisteten Anspruch auf<br />

Grundschulunterricht und den in Art. 62 BV<br />

statuierten Grundsätzen des öffentlichen<br />

Schulwesens gelesen werden muss. 74<br />

Auch auf internationaler Ebene ist die<br />

Neutralitätspflicht für das öffentliche Schulwesen<br />

ebenfalls verankert. Neben dem <strong>von</strong><br />

der Schweiz nicht unterzeichneten 1. Zusatzprotokoll<br />

der EMRK 75 findet sich in Art.<br />

18 Abs. 4 UNO-Pakt II die Verpflichtung,<br />

„die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls<br />

des Vormunds oder Pflegers zu achten, die<br />

religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder<br />

in Übereinstimmung mit ihren eigenen<br />

Überzeugungen sicherzustellen“. Eine ähnliche<br />

Formulierung findet sich in Art. 14 KRK.<br />

Auch internationale Garantien verbieten es<br />

also, den öffentlichen Schulunterricht auf<br />

oder gegen eine bestimmte, <strong>von</strong> der Glaubens-<br />

und Gewissensfreiheit geschützte Gesinnung<br />

auszurichten.<br />

Die Geltung des Grundsatzes religiös<br />

und weltanschaulich neutraler Schulen ist an<br />

keine Voraussetzungen gebunden, sondern<br />

hat als Teilgehalt des staatlichen Organisationsprinzips<br />

der religiösen Neutralität voraussetzungslose<br />

Geltung. Der Umfang der<br />

Neutralitätspflicht darf grundsätzlich nicht<br />

<strong>von</strong> der in Frage stehenden Schulstufe und<br />

dem Alter der Schülerinnen und Schüler<br />

abhängig gemacht werden. 76 Dieser Gehalt<br />

war bereits in der Bestimmung <strong>von</strong> Art. 27<br />

Abs. 3 BV (1874) enthalten. 77 Auch eine<br />

weitgehend homogen zusammengesetzte<br />

74<br />

75<br />

76<br />

77<br />

EHRENZELLER/SCHOTT, Art. 62 BV, N1; PLOTKE,<br />

Schweizerisches Schulrecht, S. 192; MÜL-<br />

LER/SCHEFER, Grundrechte, S. 273; MAHON, Art.<br />

15 BV, N15.<br />

Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls der EMRK sieht<br />

vor, dass die Staaten im Rahmen der Schulbildung<br />

das Recht der Eltern schulpflichtiger Kinder<br />

zu respektieren haben, selber über deren religiöse<br />

Erziehung zu entscheiden.<br />

PLOTKE, Schweizerisches Schulrecht, S. 192;<br />

TAPPENBECK/DE MORTANGES, Religionsfreiheit<br />

in der Schule, S. 1416; kritisch: KARLEN, Religiöse<br />

Symbole in öffentlichen Räumen, S. 17.<br />

BORGHI, Art. 27 Abs. 3 BV (1874), N65.

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