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Materialien zur Dacheindeckung - Restaurator im Handwerk eV

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Editorial<br />

Frank Sprenger<br />

Schon vor Urzeiten war das sprichwörtliche „Dach<br />

über dem Kopf“ ein elementares Grundbedürfnis der<br />

Menschheit. Es sollte nicht nur vor Regen, Schnee, Hitze<br />

und Kälte sondern auch vor bösen Mächten schützen.<br />

Mystische Symbole und magische Zeichen fanden sich<br />

nicht nur bei plastisch gestalteten Giebelornamenten<br />

sondern auch auf Schutzziegeln, die den Bewohnern<br />

Glück bringen oder Unheil von ihnen abhalten sollten.<br />

Das Dach war somit nicht nur der obere Abschluss eines<br />

Gebäudes, vielmehr stand es in direkter Verbindung<br />

mit den Kräften der Natur und war Sinnbild des Schützenden.<br />

Nachdem von den ersten Siedlern und Bauern<br />

überwiegend Reet, Stroh und Stein <strong>zur</strong> <strong>Dacheindeckung</strong><br />

verwendet wurden, kamen bereits in der Antike dauerhaftere<br />

Deckungen aus Ziegel zum Einsatz, vielleicht<br />

weil zwischen Mensch und Ton eine besondere Beziehung<br />

besteht? Schon die lateinischen Worte „homo“,<br />

Mensch, und „humus“, Erde, haben die gleiche Wurzel:<br />

Der Mensch, der Golem, aus Erde geformt und die Erde<br />

als Ausgangsmaterial für die Ziegelherstellung. Durch<br />

Material- und Formenvielfalt und die verschiedenen<br />

Arten der Verlegung sind <strong>im</strong> Laufe der Jahrhunderte<br />

mannigfaltige Dachlandschaften entstanden, die unseren<br />

Dörfern und Städten Individualität, Struktur und<br />

Rhythmus verleihen. Mönch und Nonne, Biberschwanz<br />

und Hohlpfanne, Schiefer, Schindel und Reet aber auch<br />

Schmuckziegel und Dachreiter sind Ausdruck regionaler<br />

Baukultur.<br />

Historisch gewachsene Dachlandschaften enthalten<br />

ein faszinierendes Potenzial an geschichtlichen Informationen<br />

und damit einmaligen Zeugniswert! Daher<br />

ist die möglichst unverfälschte Bewahrung und Rettung<br />

authentischer Details aufgrund von ständig wachsendem<br />

energetischen Erneuerungs- und Veränderungsdruck<br />

dringend geboten. Einzelheiten wie Kehlen, Grate, First<br />

und Traufe dokumentieren eine meisterliche <strong>Handwerk</strong>skultur,<br />

die es zu erhalten und tradieren gilt. Die<br />

Reparatur oder Umdeckung mit authentischen, denkmalgerechten<br />

<strong>Materialien</strong> sollte daher <strong>im</strong>mer angestrebt<br />

werden. Gerade die Dachhaut ist in hohem Maße reparaturfähig,<br />

selbst für Ergänzungen seltener oder nicht<br />

<strong>Restaurator</strong> <strong>im</strong> <strong>Handwerk</strong> – Ausgabe 1/2011<br />

mehr lieferbarer Dachziegel, für Schmuckteile oder<br />

Dachaufsätze werden handwerkliche Einzelanfertigungen<br />

angeboten. Dächer mit hundertjähriger Geschichte,<br />

denen der Zahn der Zeit eine unverwechselbare, farblich<br />

oft sehr differenzierte Patina verliehen hat, strahlen Individualität<br />

und Wärme aus, und prägen ganz entscheidend<br />

den Wert von Bauwerken, unserer Baukultur und<br />

damit unseren gesamten Lebensraum.<br />

Da das Dach eines Baudenkmals mehr ist als nur Schutz-<br />

und Verschleißschicht für das darunter befindliche Gebäude,<br />

geht es auch um weitaus mehr als nur um die Abdichtung<br />

und energetische Opt<strong>im</strong>ierung einer Fläche. Das<br />

Dach muss <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Kontext zum gesamten Gebäude und<br />

dessen Umfeld gesehen werden. Deswegen sind vor Eingriffen<br />

in historische Dachkonstruktionen gute Kenntnisse<br />

der vorhandenen Substanz und eine sensible Integration<br />

neuzeitlicher Ansprüche gefragt. Wird beispielsweise auf<br />

einen nachträglichen und damit aufwändigen Dachausbau<br />

mit zahlreichen Dachflächenfenstern oder kostspieligen,<br />

oft schlecht proportionierten und platzierten Gaupen verzichtet,<br />

kann damit die Inspektion, Wartung und Reparatur<br />

des Daches wesentlich erleichtert werden. Qualifikation<br />

und Erfahrung <strong>im</strong> Umgang mit historischer Bausubstanz<br />

sind daher von entscheidender Bedeutung. Letztlich entscheidet<br />

das Können des <strong>Handwerk</strong>ers über Erhaltung oder<br />

Zerstörung denkmalwerter Bausubstanz.<br />

Mit dieser Zeitschrift wollen wir die Geschichte des<br />

Daches, die zahlreichen Techniken der <strong>Dacheindeckung</strong>,<br />

fast vergessene und aktuelle Produkte, Konstruktionen<br />

und Detaillösungen, den heutigen Umgang mit historischen<br />

Dächern, sei es bei der Sanierung, Reparatur oder<br />

der Neueindeckung näher beleuchten und für die Bergung<br />

und Wiederverwendung historischer Dachziegel werben,<br />

um hiermit einen kleinen Beitrag zum Erhalt auch handwerksgeschichtlich<br />

unverwechselbarer Dachlandschaften<br />

zu leisten.<br />

Dipl.-Ing. Frank Sprenger<br />

ist fachlicher Leiter des Zentrums für Restaurierung und<br />

Denkmalpflege der <strong>Handwerk</strong>skammer Koblenz und<br />

Geschäftsführer des Bundesverbandes <strong>Restaurator</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Handwerk</strong> e.V.<br />

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