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IFF-Info Nr. 26, 2003 - IFFOnzeit

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Geschlecht in Behandlungsangeboten sozialpsychiatrischer Versorgungseinrichtungen<br />

Die Daten der Interview-Befragung<br />

zeichnen ein realistisches und nüchternes<br />

Bild von der Lebenssituation<br />

der KlientInnen. Die Art des Kontaktaufbaus<br />

zur Gewinnung der<br />

ProbandInnen schließt nicht aus,<br />

dass wir für unsere Gespräche möglicherweise<br />

überwiegend aufgeschlossene,<br />

verbalisierungsfähige<br />

und weniger „kranke“ ProbandInnen<br />

erreichten. Insgesamt lebten von<br />

den zur Interview-Mitarbeit bereiten<br />

ProbandInnen 15 in den verschiedenen<br />

Heimen (sechs Frauen/<br />

neun Männer) und 14 (je sieben<br />

Frauen und Männer) in einer Wohngemeinschaft<br />

oder auch alleine, letztere<br />

werden jedoch im Betreuten<br />

Wohnen begleitet. In eine vertiefte<br />

Analyse wurden 12 Interviews –<br />

jeweils sechs Frauen und sechs Männer<br />

– einbezogen. Ausgeklammert<br />

wurden jene Interviews, bei denen<br />

sich erkennen ließ, dass eine UntersuchungsteilnehmerIn<br />

sich in einer<br />

Akutphase der psychischen Erkrankung<br />

befand. Die Erstinformation<br />

und der Kontakt erfolgte ausschließlich<br />

über die MitarbeiterInnen.<br />

Interessanterweise waren die<br />

Männer bereitwilliger zu einer Mitarbeit<br />

zu bewegen, die Frauen hielten<br />

sich stärker zurück. Eine eher<br />

überraschende Tatsache, unterstellt<br />

man die übliche Meinung, Frauen<br />

seien aufgrund ihrer Sozialisation<br />

eher zur verbalen Kommunikation<br />

über Emotionen und den Beziehungskontext<br />

konditioniert und<br />

Männer eher für die aktive „Macher-<br />

Ebene“. Unsere rekrutierten männlichen<br />

Untersuchungsteilnehmer<br />

meldeten sich nicht nur bereitwilliger<br />

zur Teilnahme, sondern schienen<br />

auf den ersten Blick auch offener,<br />

über ihren intimen Bereich auszusagen.<br />

Dem traditionellen Geschlechterstereotyp<br />

blieben die befragten<br />

Männer und Frauen dennoch treu,<br />

indem sie die Inhalte ihrer Erzählungen<br />

in eine Fakten-Ebene und<br />

Emotionen-Ebene trennten. Die<br />

Frauen berichteten in allen Zusammenhängen<br />

eher von ihren Gefühlen,<br />

die Männer beschrieben jedoch<br />

auch im Gefühlsbereich die faktischen<br />

Begebenheiten. Die Geschlechter-Trennung<br />

dieser Erzählweisen<br />

korrespondiert mit jener der<br />

MitarbeiterInnen. Nicht überprüfbar<br />

war in diesem Interviewkontext,<br />

inwieweit das Geschlecht der Interviewerin<br />

für das Gespräch geschlechtsspezifisch<br />

bedeutungsvoll<br />

wurde. Mit Sicherheit jedoch war es<br />

wirkungsvoll. In unserer quantitativen<br />

Befragung betonten 38% der<br />

befragten Frauen und Männer, dass<br />

es schwieriger sei, mit einem Mann<br />

über Probleme zu sprechen, d.h. die<br />

überwiegende Mehrheit sprach sich<br />

positiv für eine weibliche Gesprächspartnerin<br />

aus.<br />

Entgegen der Befürchtung einiger<br />

Professioneller, die befragten<br />

NutzerInnen könnten durch die Interviews<br />

dekompensieren, blieben<br />

alle interviewten Personen während<br />

des Interviews ebenso wie nach Abschluss<br />

des Gespräches stabil und<br />

unbefangen. Im Gegensatz zu diesen<br />

Befürchtungen schienen sie<br />

überwiegend die Aufmerksamkeit<br />

zu genießen und die Befragung als<br />

eine Ablenkung und Bereicherung<br />

des Alltages anzusehen.<br />

Beschreibung der<br />

Untersuchungsgruppe<br />

Die sozialen Erfahrungen der ProbandInnen<br />

aus der Interview-<br />

Gruppe unterscheiden sich wesentlich:<br />

Nur ein Mann ist verheiratet,<br />

alle anderen sind ledig, keiner hat eigene<br />

Kinder. Demgegenüber sind<br />

nur zwei Frauen ledig und haben<br />

keine Kinder, die restlichen waren<br />

alle verheiratet und haben ein oder<br />

zwei Kinder. Inzwischen sind diese<br />

Frauen geschieden. Das Alter der<br />

Befragten lag zwischen Anfang 30<br />

bis Ende 40. Was ihre Lebensplanung<br />

anbelangt, haben sich die Interviewten<br />

mit ihrer Lebensform arrangiert<br />

und äußern dementsprechend<br />

bezüglich der Lebensqualität<br />

eine relative Zufriedenheit. Alle TeilnehmerInnen<br />

der Interview-Befragung<br />

beschrieben während ihrer<br />

Biographie-Darstellung die Kriterien<br />

einer chronischen psychotischen<br />

Erkrankung. Da uns die Selbsteinschätzung<br />

der Erkrankung, die in direkter<br />

Abhängigkeit zu einer Krankheitseinsicht<br />

und Compliance steht,<br />

wesentlich war, verknappe ich an<br />

dieser Stelle die Angaben der NutzerInnen.<br />

Fast alle wussten ihre<br />

Krankheit zu definieren, wenn auch<br />

nicht immer differenziert. In der<br />

Gruppe der intensiv ausgewerteten<br />

Interviews wurden als Erkrankung<br />

endogene Psychose angegeben, die<br />

Differenzierungen waren Wahnvorstellungen,<br />

Ängste, Depressionen,<br />

Halluzinationen, Schizophrenie und<br />

„Stimmen-hören“. In der Analyse<br />

der Interviews wurde erkennbar,<br />

dass zwei Klientinnen ihre Erkrankung<br />

nicht einsehen, ein Klient sich<br />

nicht als erkrankt anerkennt und einer<br />

seine Diagnose als „medizinisch<br />

übertrieben“ ablehnte. Beide Männer<br />

berichteten über eine zwangsweise<br />

Einlieferung in die Psychiatrie,<br />

was mit ihrer Einstellung zusammenhängen<br />

mag.<br />

Alle ProbandInnen der Interview-Erhebung<br />

sind langzeiterfahrene<br />

KlientInnen, die sich inzwischen<br />

in der Psychiatrie-Szene eingerichtet<br />

haben, das bedeutet, zwar äußerlich<br />

den Wunsch bzw. das Ziel formulieren,<br />

in die „Normalität“ zurück<br />

zu wollen, aber de facto das<br />

Leben im Betreuten Wohnen oder<br />

im Heim als den eigenen Ort anzuerkennen.<br />

Im Klienten-Interview<br />

fünf wird sogar ausdrücklich erwähnt,<br />

dass sein Lebensraum in diesem<br />

Heim liege. Diese Menschen<br />

<strong>Info</strong> 20.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>26</strong>/<strong>2003</strong><br />

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