IFF-Info Nr. 26, 2003 - IFFOnzeit
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Qualitätssicherung im Gesundheitswesen als Geschlechterpolitik<br />
Ellen Kuhlmann<br />
Qualitätssicherung im Gesundheitswesen als<br />
Geschlechterpolitik<br />
In diesem Beitrag 1 werden zwei aktuelle politische Diskussionen aufgegriffen, die bisher weitgehend getrennt geführt<br />
werden: die gesundheitspolitischen Forderungen nach Qualitätsbewertung einerseits und das Konzept Gender<br />
Mainstreaming andererseits. Ich möchte zeigen, dass erhebliche Bedarfe an geschlechterspezifischer Versorgungsforschung<br />
und -praxis bestehen und dass deren Berücksichtigung wesentlich zu einer qualitätsbewussten und effizienten<br />
Gesundheitsversorgung beitragen können. Die Debatte um Qualitätssicherung im Gesundheitswesen bietet vereint<br />
mit einer wachsenden Akzeptanz von Gender Mainstreaming neue Möglichkeiten für geschlechterpolitische<br />
Interventionen. Zentrale Anknüpfungspunkte werden nachfolgend vorgestellt und die Chancen und Grenzen der<br />
jeweiligen Strategien aufgezeigt.<br />
1. Geschlechterspezifische<br />
Versorgungsbedarfe<br />
Mit dem nationalen Frauengesundheitsbericht<br />
(BMFFJ 2001) liegt auch<br />
für Deutschland eine Datenbasis<br />
vor, die es ermöglicht, den Bedarf<br />
an geschlechterspezifischen Versorgungsangeboten<br />
und Forschungen<br />
zuverlässiger einzuschätzen. Die <strong>Info</strong>rmationsgrundlage<br />
hat sich in den<br />
letzten Jahren kontinuierlich verbessert<br />
(vgl. z.B. Hurrelmann/Kolip<br />
2002; Maschewsky-Schneider 1996;<br />
Zweiwochendienst 2002). Die in einigen<br />
Bereichen erheblichen Unterschiede<br />
in den Krankheitsdaten von<br />
Frauen und Männern weisen auf einen<br />
dringlichen Handlungsbedarf<br />
hin. Sie erfordern eine Versorgungsforschung,<br />
die <strong>Info</strong>rmationen über<br />
geschlechterspezifische Bedarfe liefert<br />
und mögliche Ungleichbehandlungen<br />
offen legt. Darüber hinaus<br />
sind jedoch vor allem Akteure und<br />
Akteurinnen gefordert, die für Geschlechterfragen<br />
im Gesundheitswesen<br />
sensibilisiert sind. Ebenso sind<br />
institutionell abgesicherte Handlungsstrategien<br />
notwendig, um Geschlecht<br />
– insbesondere auch in den<br />
aktuellen Umstrukturierungen und<br />
in den neuen Versorgungsmodellen<br />
zu berücksichtigen. Auf allen Ebenen<br />
besteht derzeit ein erheblicher<br />
Modernisierungsrückstand.<br />
Die Vernachlässigung von Frauen in<br />
der Forschung und in der Versorgung<br />
sowie die hieraus resultierende<br />
mangelnde Qualität und Effizienz<br />
werden in Deutschland erst seit<br />
Kurzem überhaupt thematisiert; in<br />
der gesundheitspolitischen Debatte<br />
bleiben die Zusammenhänge marginal.<br />
Die Konsequenz ist, dass Frauen<br />
wie Männer oftmals nicht angemessen<br />
versorgt werden. Die Defizite<br />
wiegen bei den so genannten<br />
Volkskrankheiten besonders schwer.<br />
Internationale Studien belegen zum<br />
Beispiel, dass Frauen mit koronarer<br />
Herzkrankheit (KHK) eine schlechtere<br />
Versorgung erhalten als Männer.<br />
Die diagnostischen und therapeutischen<br />
Standards sind auf Männer<br />
zugeschnitten und die klinischen<br />
Studien erfolgen primär an Männern.<br />
Erwiesen ist jedoch, dass diese<br />
Erkrankung bei Frauen oftmals<br />
ein anderes klinisches Bild und andere<br />
Verläufe als bei Männern zeigt<br />
(vgl. Bisig/Gutzwiller 2002 für die<br />
Schweiz). Für die an Diabetes mellitus<br />
Typ II erkrankte Gruppe liegen<br />
ebenfalls Hinweise auf unterschiedliche<br />
Krankheitsbedingungen<br />
und Präventionsmöglichkeiten bei<br />
Frauen und Männern vor, die der<br />
weiteren Abklärung bedürfen (vgl.<br />
Sottong 2002). Damit sind nur die<br />
auffälligsten Defizite benannt; für<br />
die meisten Erkrankungen besteht<br />
ein erheblicher Klärungsbedarf.<br />
Neben den Forschungslücken im<br />
Bereich der geschlechterspezifischen<br />
Krankheitsbedingungen und -verläufe,<br />
die vielfach zu Unter- und Fehlversorgungen<br />
von Frauen und möglicherweise<br />
zu einer Überversorgung<br />
von Männern führen, besteht ein<br />
ebenfalls dringlicher Klärungsbedarf<br />
in Bereichen mit einer vermuteten<br />
Über- und Fehlversorgung von<br />
Frauen. Das gilt insbesondere für<br />
die Hormonersatztherapie, die Psychopharmakaverordnung<br />
und die<br />
medizinisch nicht indizierten gynäkologischen<br />
Eingriffe (vgl. Glaeske<br />
2002; Kolip 2000; Kolip/Glaeske<br />
2002).<br />
Zugleich besteht nach wie vor ein<br />
erheblicher Mangel an frauenspezifischen<br />
Versorgungsangeboten. Zentrale Stichworte<br />
sind hier „häusliche Gewalt“<br />
und „Brustkrebsversorgung“. Auch<br />
in den Bereichen Mutter-Kind-Kuren<br />
und Schwangerenbetreuung –<br />
insbesondere nach der Geburt – ist<br />
eine Unterversorgung bekannt. Ein<br />
weiteres Feld mit hohen <strong>Info</strong>rmationslücken<br />
stellt das Versorgungssystem<br />
selbst dar, das nicht hinreichend<br />
an den Bedarfen und den<br />
<strong>Info</strong> 20.Jg. <strong>Nr</strong>.<strong>26</strong>/<strong>2003</strong><br />
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