Ausgabe 31 - 07 Das Stadtmagazin . BLOG
Ausgabe 31 - 07 Das Stadtmagazin . BLOG
Ausgabe 31 - 07 Das Stadtmagazin . BLOG
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
november 2011 7<br />
blatt für den Personalausweis 1968, nachdem<br />
der Prager Frühling von sowjetischen Panzern<br />
niedergewalzt und jeglicher Reiseverkehr<br />
durch die brodelnde Tschechoslowakei<br />
vorübergehend verboten worden war. Plötzlich<br />
konnten die DDR-Urlauber nur noch auf<br />
dem Umweg über Polen und die UdSSR an<br />
ihre Urlaubsorte in Ungarn, Rumänien und<br />
Bulgarien gelangen. Mit dem ›Transitvisum‹<br />
durften sie diesen Umweg auch behördlich<br />
nehmen, genossen allerdings nur für maximal<br />
drei Tage Transitrecht im durchreisten<br />
Land. So die offizielle Verordnung…<br />
Warum dieses ursprünglich, eigentlich nur<br />
vorübergehend eingeführte Papier bis zum<br />
Ende der DDR an den polizeilichen Meldestellen<br />
beantragt werden konnte, bleibt wohl ein<br />
sozialistisches Mysterium, für den Grenzen<br />
ablehnenden, entdeckungsfreudigen Rucksackreisenden<br />
war es nicht weniger als die<br />
ersehnte Eintrittskarte in den Wilden Osten:<br />
Man besorgte sich mit einer entsprechend vorbereiteten<br />
Legende ein 3-tägiges Transitvisum<br />
für die Sowjetunion, überquerte ganz legal<br />
die Grenze – und dehnte dann die erlaubten<br />
72 Stunden einfach auf einen Zeitraum von<br />
drei, vier Wochen oder gar länger aus und<br />
ging währenddessen seiner eigenen Wege.<br />
Bezeichnenderweise wollte kaum einer<br />
dieser Sowjetreich-Backpacker über die ›Individualreise‹<br />
tatsächlich aus der DDR flüchten.<br />
Eher ging es ihnen darum, etwas zu erleben,<br />
fremde Kulturen kennenzulernen, Grenzen<br />
auszutesten und vor allem aus dem Korsett<br />
des lebensbestimmenden DDR-Alltags auszubrechen.<br />
seLBstgeFertigte KArten<br />
Ihren Anfang gefunden hatte diese weniger<br />
bekannte Form des ›DDR-Urlaubs‹ gleich<br />
nach der Einführung des Transitvisums 1968.<br />
Die ersten entdeckten die bürokratische Lücke<br />
für sich, waren unterwegs, kamen zurück<br />
und erzählten begeistert von ihrer Reise.<br />
In der thüringisch-sächsischen Bergsteiger-<br />
szene entstanden einzelne<br />
verschworene ›Erzählrunden‹.<br />
Die im eigenen Land gegebenen<br />
Klettermöglichkeiten waren<br />
längst ausgereizt, und die<br />
Möglichkeit, Berge mit 5.000<br />
Meter Höhe oder gar mehr zu<br />
besteigen, brachte bei vielen<br />
die Augen zum Glänzen.<br />
Einer der Urväter dieser<br />
Bewegung war der Weimarer<br />
Georg Renner, der sich mit<br />
Freunden mehrfach aufgemacht<br />
hatte, durch die Sowjetunion,<br />
in den Pamir und<br />
in die Mongolei zu reisen.<br />
Anhand von Skizzen, Fotos<br />
und Alpenvereinsjahrbüchern<br />
aus den 20er und 30er<br />
Jahren hatte er im Laufe der<br />
70er und 80er Jahre zahlreiche<br />
Kammverlaufskarten von<br />
den Gebirgen Tadschikistans<br />
angefertigt: mit den Ketten<br />
und Gebirgsknoten des Pamir<br />
wie auch seiner Vorgebirge<br />
Alai, Fan oder dem Mattschaknoten.<br />
Diese Karten wurden<br />
mit Lichtpausen kopiert und<br />
an vertrauenswürdige Gleichgesinnte weitergegeben,<br />
um diesen auf ihren Transitreisen<br />
überhaupt eine Orientierung im fernen Osten<br />
zu geben. Da die Sowjets in ihrer Angst vor<br />
Spionage ja selbst nur grobmaßstäbliche, für<br />
Bergsteiger ungeeignete Karten verkauften,<br />
waren die Transitniks vollständig auf die<br />
handgezeichneten Kammverlaufsskizzen angewiesen.<br />
Wen es dagegen eher in den Kaukasus zog,<br />
der wandte sich an den Magdeburger Friedrich<br />
Bender, der Kammlinienkarten und einen<br />
umfassenden Kletterführer des gesamten<br />
Westkaukasus angefertigt hatte.<br />
Dem heute in Jena arbeitenden Joachim<br />
Behm zum Beispiel, der mit Freunden eben-<br />
Am ALAuDinsee<br />
im FAn-geBirge<br />
Bergwelten mit alpinem<br />
Charakter erleben – davon<br />
konnte man sonst in der<br />
DDR nur träumen.<br />
BLiCK AuF Den<br />
surCHoB im pAmir<br />
Ohne zuverlässige Karten<br />
konnte die ›UDF-Reise‹<br />
schnell zu einem irrlichternden<br />
Trip ins<br />
Blaue werden.<br />
falls Erfahrungen im alpinen Gelände des tadschikischen<br />
Fan-Gebirges sammeln wollte,<br />
kam die Existenz derartiger ›Kammlinienkarten‹<br />
sehr gelegen. Auch wenn sie Georg Renner<br />
selbst nicht kannten, besorgten sie sich<br />
Blaupausen seiner Karten über Kontakte zu<br />
den Dresdner Bergsteigerkreisen und stellten<br />
so sicher, dass die geplante Transitreise nicht<br />
von vornherein zu einer auf Fingerzeig und<br />
mündlicher Weitergabe basierenden Fahrt<br />
ins Blaue werden würde.<br />
HALBes sCHWein Für Den sCHuster<br />
Mit Renner unterwegs war ein weiterer<br />
›Großvater‹ der Transitreisenden: Gustav<br />
Ginzel. In Bergsteigerkreisen als absolute<br />
Legende bekannt, entwickelte sich der im<br />
Isergebirge in seinem »Misthaus« residierende<br />
Geologe, Lebenskünstler und Weltenbummler<br />
Ginzel zu einer zentralen Anlaufstelle<br />
für alle, die Transit gereist waren oder<br />
es noch wollten. Bei Ginzel war man richtig,<br />
wenn man Informationen zum Transitreisen<br />
brauchte, etwa wo und wie man am besten<br />
in die auserwählte Sowjetrepublik hineinkam,<br />
wie man sich orientierte und vor allem,<br />
wie man an eine geeignete Ausrüstung für<br />
die geplante Unternehmung kam. So etwas<br />
wie Outdoorläden kannte man in der DDR<br />
ja gar nicht. Und das, was die ›SpoWa‹ – der<br />
Sportwarenladen – zu bieten hatte, war vielleicht<br />
gerade für das ostdeutsche Mittelgebirge<br />
brauchbar, für die Hochgebirge der UdSSR<br />
jedoch absolut ungeeignet.<br />
Manches, wie Bergschuhe und Steigeisen,<br />
ließ sich in der befreundeten ČSSR besorgen.<br />
Wer sich genauer auskannte, ist zu diesem ei- »