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RAMpenLicht<br />

Er sucht gerne. Am liebsten während er mit dem Rad fährt. Entlang der Ränder Frankfurts,<br />

durch die Wetterau oder die Rhön. »Wenn du fleißig genug bist, schenkt dir die Wirklichkeit<br />

wunderbare Momente«, sagt Jan Seghers. Zum Beispiel eine neue Figur, ein Opfer oder<br />

einen Täter. Oder nur eine zufällige Begegnung, vielleicht in einem Café, vielleicht auf einer<br />

Parkbank. Alles wird literarisch verarbeitet. Von Seghers. Ansonsten heißt der 56-Jährige<br />

Matthias Altenburg. Kriminalromane kann er aber nur als ein anderer schreiben. Mit der<br />

»Sterntaler-Verschwörung« legt der Autor seinen fünften vor. Im Interview mit dem streifzug<br />

erzählt er, warum er sich weigert, ihn als Regionalkrimi zu bezeichnen, wieso sein Umgang<br />

mit Menschen hin und wieder grenzwertig ist und ob er auch in Gießen morden könnte.<br />

Herr Seghers oder Herr Altenburg<br />

Wenn’s um die Krimis geht, Seghers. Ansonsten<br />

Altenburg. Ich suche mir aus, auf<br />

welchen Namen ich gerade hören will.<br />

Gibt es überhaupt einen Unterschied<br />

Als ich meinen ersten Krimi schrieb, wusste<br />

ich gar nicht, dass es einer wird. Ich<br />

zeigte einem Freund verschiedene Bruchstücke,<br />

und der sagte: »Pack’s zusammen,<br />

dann wird es ein Kriminalroman.« Und ich<br />

bekam prompt eine Blockade. Weil ich<br />

zwar viele Krimis gelesen, aber noch nie<br />

einen geschrieben hatte. Dann hat wiederum<br />

derselbe Freund gesagt: »Nimm dir ein<br />

Pseudonym.«<br />

Es hat funktioniert<br />

Ja, ein psychologischer Trick.<br />

Hört sich nach gespaltener Persönlichkeit<br />

an.<br />

Genau, ich führe sozusagen eine angenehme<br />

Doppelexistenz.<br />

Äußert die sich im Alltag<br />

Nach zehn Jahren bin ich so sehr daran<br />

gewöhnt, dass wir zu einer Person geworden<br />

sind. Ich hoffe nicht, dass wir<br />

noch immer unter Schizophrenie leiden.<br />

Jan Seghers, der Autor, fährt gerne mit<br />

dem Fahrrad. Wenn Sie durch Ihre<br />

Heimatstadt Frankfurt fahren, sehen Sie<br />

Romanhandlungen<br />

Mal so, mal so. Mal fahre ich einfach<br />

durch die Gegend, ohne Absicht und entdecke<br />

dabei irgendwas. Als Künstler hat<br />

man ja nie so ganz frei – oder man hat<br />

immer Freizeit, wie man will. Meine<br />

Wahrnehmung ist ja auch dann eingeschaltet,<br />

wenn ich eigentlich nur Rad<br />

fahren will. Öfter allerdings suche ich<br />

gezielt nach den Orten, an denen eine bestimmte<br />

Szene spielen könnte.<br />

»Lieber finden<br />

als erfinden«<br />

Ein Beispiel<br />

In einem der Romane spielt eine Szene in<br />

einer Wohnsiedlung hinter dem Preungesheimer<br />

Gefängnis. Ich kannte die Siedlung,<br />

bin aber trotzdem noch mal hingefahren.<br />

Dabei fiel mir zum ersten Mal auf,<br />

dass vor dem Gefängnis ein riesiges Mahnmal<br />

für die während der Nazizeit dort erschossenen<br />

ausländischen Gefangenen<br />

steht. Ich setzte mich eine Weile hin. In<br />

diesem Moment ging oben ein Zellenfenster<br />

auf. Eine junge Frau setzte sich hinter<br />

dem Gitter auf die Fensterbank, zog die<br />

Knie an und hörte Radio. Irgendwann bemerkte<br />

sie mich und winkte runter.<br />

Das haben Sie verarbeitet<br />

Ja, auch wenn es eine Situation war, die<br />

die Handlung nicht vorangebracht hat.<br />

Eher war es ein wenig Petersilie, die ich<br />

darüberstreuen konnte. So ist es eigentlich<br />

sehr, sehr oft. Wenn man fleißig genug und<br />

bereit ist, rauszugehen und zu recherchieren,<br />

schenken einem die Orte immer<br />

etwas. Ich bin sowieso ein Autor, der lieber<br />

findet als erfindet.<br />

Finden Sie auch Leichen in Frankfurts<br />

Straßen<br />

Es ist egal, ob ich einen Tatort suche, wo<br />

die Leiche gefunden wird, oder einen<br />

Schauplatz, wo zwei Eheleute sich unterhalten.<br />

Ich muss die Orte kennen.<br />

Gespräch zwischen Eheleuten Wenn man<br />

Zeit mit Ihnen verbringt, muss man damit<br />

rechnen, in Ihrem nächsten Buch<br />

aufzutauchen<br />

Wird alles aufs Handgelenk geschrieben. Es<br />

funktioniert gar nicht anders. Ich muss neugierig<br />

sein, muss Augen und Ohren aufmachen.<br />

Ich hoffe immer, dass ich keine Situation<br />

allzu wiedererkennbar übernehme.<br />

Aber es gibt auch Phasen beim Schreiben,<br />

in denen ich so sehr auf die Verwertbarkeit<br />

all dessen, was mir begegnet, konzentriert<br />

bin, dass es schon grenzwertig ist.<br />

Grenzwertig<br />

Meine Tochter kommt und sagt, der Wellensittich<br />

ist krank. Und ich sage: »Das ist<br />

eine gute Idee, die kann ich brauchen.«<br />

Figuren oder Handlung Was steht zuerst<br />

Das Verbrechen am Anfang ist das Rätsel, das<br />

die Spannung beim Leser auslöst und in<br />

Gang hält. Aber ich muss die Auflösung<br />

schon früh kennen, um nicht selbst in die Irre<br />

zu laufen. Die Nebengeschichten und -figuren<br />

entstehen erst beim Schreiben. Sie müssen<br />

sich organisch entwickeln. Sonst hätte<br />

ich das Gefühl, dass sie nur Marionetten<br />

sind, die meinen Plan ausführen. Wenn ich<br />

am Anfang sorgfältig mit den Figuren umgehe,<br />

ihnen eine Geschichte gebe, oft eine, die<br />

ich gar nicht erzähle, danken sie es mir. Sie<br />

werden lebendig, setzen Fleisch und Muskeln<br />

an. Dadurch bekommt die Geschichte<br />

Schwung, die Figuren bewegen sich von<br />

selbst.<br />

1/2015 streifzug 13

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