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Jahrbuch für Integration in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Ausgabe 2014 / 2015
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<strong>almanah</strong><br />
INTERVIEW:<br />
Kenan Güngör<br />
„Typisch ist eine<br />
Underdog-Kultur“<br />
Der Soziologe Kenan Güngör über den Einstieg von Jugendlichen in<br />
den Jihad, „kleine Würmchen“ vor Gott und warum es skurril ist,<br />
einer Weltreligion die internationale Finanzierung zu streichen.<br />
„Der Islam ist<br />
ein Teil des<br />
Problems.“<br />
TEXT:<br />
Delna Antia,<br />
Simon Kravagna<br />
F O T O :<br />
Marko Mestrović<br />
Beschreiben Sie bitte einen typischen Jugendlichen,<br />
der sich für den Jihad interessiert.<br />
Der deutsche Verfassungsschutz hat ein Profil der<br />
Jihadisten für Deutschland erstellt: Sie sind meist<br />
männlich, zwischen 16 und 24 Jahren alt. Meist<br />
kommen die Jugendlichen aus einem jugendkulturellen<br />
Submilieu mit wenig Bildung, Status und<br />
wenig Perspektive. Typisch ist auch eine starke Rapbzw.<br />
Underdog-Kultur.<br />
Ist Musik für Radikale nicht eigentlich „haram“ – also<br />
verboten<br />
Es gibt eine Grauzeit in der Radikalisierung. Das<br />
war etwa auch beim früheren Rapper und heutigen<br />
Jihadisten Deso Dogg so. Dabei gibt es das Paradox,<br />
dass mit einer zutiefst westlichen Musik- und<br />
Lebenskultur antiwestlicher Rap gemacht wird,<br />
der muslimisch oder antisemitisch unterlegt ist.<br />
„Gemeinsam ficken wir die Amerikaner“, singt ein<br />
unter muslimischen Jugendlichen bekannter Rapper<br />
aus Graz etwa. Wenn die Jugendlichen in der Radikalisierung<br />
noch weitergehen, hin zur reinen Lehre,<br />
kippen sie irgendwann. Dann hören sie keine oder<br />
nur mehr religiöse Musik.<br />
Welche Beziehungen haben sie zu ihren Eltern<br />
Diese Jugendlichen sind „Sinnsuchende“ in einer für<br />
sie Sinn und Orientierung entleerten Welt. Sie glauben,<br />
dass sie das absolut Richtige tun, weil sie es im<br />
Namen Allahs tun. Sie suchen nach einer einfachen,<br />
eindeutigen Klärung von Welt. Um diese Ordnung<br />
hineinzubringen, grenzen sie sich ab: Von Eltern,<br />
Freunden, der Gesellschaft und vor allem von den<br />
Anders- und Ungläubigen. Bei einem großen Teil<br />
haben die Eltern keinen streng religiösen Hintergrund.<br />
Oft gibt es problematische Väter-Beziehungen.<br />
Aber selbst wenn dem nicht so ist, verlieren<br />
Eltern oft jeden Kontakt zu ihren Kindern. Das wird<br />
in radikalen Kreisen auch so gelehrt: „Vor dem Wort<br />
Gottes ist das Wort deines Vaters, deiner Eltern<br />
nichts. Gewinne sie – wenn du sie nicht gewinnst,<br />
trenne dich“.<br />
Was passiert in ihren Freundeskreisen<br />
Es gibt einen neuen Trend der Vergemeinschaftung.<br />
Früher waren sie Türken, Kurden, Tschetschenen<br />
oder Bosnier, jetzt stellen sie unter dem Motto „Wir<br />
Muslime“ eine neue Gruppe dar.<br />
Integrationsminister Sebastian Kurz betont gerne, Religion<br />
soll nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung<br />
sein.<br />
Der Islam ist ein Teil der Lösung und auch des Problems.<br />
Natürlich kann man im Koran die humanistischen<br />
Seiten sehen und sogar feministische Aspekte<br />
finden. Aber man kann die immanente Gewalt- und<br />
auch Unterwerfungstheologie nicht wegblenden.<br />
Und man muss sehr viel dafür tun, diese Stellen<br />
umzudeuten und die humanistischen Stellen herauszustreichen.<br />
‣<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 11