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Jahrbuch für Integration in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Ausgabe 2014 / 2015
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der WKO tätig. Ich kann sie daher nicht<br />
mehr fragen, wie mit Interventionen<br />
umgegangen wurde. Ich bitte Sie dahingehend<br />
um Verständnis“, sagt Margit Kreuzhuber<br />
von der WKO. Tatsächlich sind in den<br />
Archiven keine Aufzeichnungen darüber,<br />
wie die Kammer damals auf Briefe und<br />
Ansuchen geantwortet hat.<br />
Keine Macht den Arbeitern<br />
Autonomie und Ungehorsam wurden vom<br />
Arbeitgeber bestraft, die Kammern und<br />
das Arbeitsamt haben ihnen den Rücken<br />
gestärkt. Gächter schildert im Rahmen<br />
seiner Forschung beispielsweise zwei<br />
Streikfälle von jugoslawischen Gastarbeitern<br />
1965 und 1966 in zwei unterschiedlichen<br />
Betrieben, die mit Schubhaft und<br />
Abschiebung niedergeschlagen wurden. Im<br />
ersten Fall haben zehn Arbeiter demonstriert,<br />
weil sie statt der versprochenen 18<br />
Schilling pro Stunde nur 15 bekommen<br />
hatten. Im zweiten Fall hatten Arbeiter<br />
ihre Stimmen erhoben, weil ein Kollege<br />
gekündigt worden war, nachdem er sich<br />
über die Arbeitsbedingungen beschwert<br />
hatte. Die Arbeitgeber hatten Angst, dass<br />
auch andere ausländische Arbeiter auf die<br />
Barrikaden steigen und haben jede Form<br />
des Widerstands drakonisch bestraft.<br />
„Streik oder Aufregen waren purer<br />
Luxus!“, erzählt Akif G. Und so haben viele<br />
einfach nur geschwiegen und gearbeitet.<br />
Sie haben alles gespart, was sie<br />
beiseite legen konnten und ihren Familien<br />
geschickt oder für ihre Kinder hier auf<br />
die Seite gelegt. „Irgendwann wurde es<br />
langsam besser. Zuerst ein besserer Job,<br />
dann eine schönere Wohnung…“ Heute<br />
lebt Akif in einer geräumigen, schönen<br />
Wohnung in Wien. Seine Kinder sind<br />
erwachsen und haben studiert. „Ich habe<br />
meinem Sohn gesagt, ich will dich nicht<br />
im Blaumann sehen!“ Nur sein Rücken ist<br />
von der jahrelangen harten Arbeit kaputt.<br />
Auch Dragica hat Schmerzen, wenn sie sich<br />
bücken muss und ihre Enkelkinder auf den<br />
Arm nimmt. Und erinnern wollen sie sich<br />
nicht so gern an die ersten Jahre in Österreich,<br />
als jeder noch gedacht hat, sie gehen<br />
bald.<br />
<br />
Gastarbeiter in Österreich<br />
1961 wurde das sogenannte Raab-Olah-Abkommen geschlossen,<br />
benannt nach den Präsidenten der Wirtschaftskammer<br />
und des Gewerkschaftsbunds Julius Raab und Franz Olah.<br />
Dieses sollte ausländischen Arbeitskräften den Zugang zum<br />
heimischen Arbeitsmarkt erleichtern und war quasi der<br />
Grundstein für die über 30-jährige Gastarbeitergeschichte<br />
Österreichs. Das erste Abkommen zum Abwerben von ausländischen<br />
Arbeitern wurde 1962 mit Spanien geschlossen.<br />
Da das Lohnniveau in Österreich relativ gering war, kamen<br />
aber kaum spanische Arbeiter ins Land. 1964 schloss Österreich<br />
ein Abwerbeabkommen mit der Türkei. Eine entsprechende<br />
Anwerbestelle war schon 1961 in Istanbul eröffnet<br />
worden. Diese vermittelte türkische Arbeiter an österreichische<br />
Betriebe, die um ausländische Arbeiter angesucht<br />
hatten. Auch mit dem ehemaligen Jugoslawien gab es ein<br />
Abkommen. Offiziell sollen von 1964 bis 1971 40.000 türkische<br />
und jugoslawische Arbeiter über den Amtsweg gekommen<br />
sein. Vermutlich waren es weit mehr, weil viele Arbeiter<br />
über Verwandte und Bekannte eine Stelle in Österreich<br />
bekommen haben. Schätzungsweise kamen bis Mitte der<br />
80er-Jahre 200.000 bis 220.000 Menschen als Gastarbeiter<br />
nach Österreich.<br />
JAHRBUCH FÜR INTEGRATION 21