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PDF (550 KB) - kunst verlassen

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Vom Flaschentrockner zur Imbißbude<br />

Anmerkungen<br />

im Passagenwerk beschreibt, ein urbaner Müßiggänger, der durch<br />

die Passagen schlendert. Die Passagen, schreibt Benjamin, „sind<br />

ein Zentrum des Handels in Luxuswaren. In ihrer Ausstattung<br />

tritt die Kunst in den Dienst des Kaufmanns“ 1 . Die <strong>kunst</strong>haften<br />

Mittel der Präsentation – die Ästhetisierung der Waren und<br />

ihre Inszenierung – beschleunigen und verdeutlichen den Umwertungsprozeß,<br />

den Wechsel vom Gebrauchswert zum Tauschwert,<br />

den Wechsel vom pragmatischen Zweck des Gebrauchs zum<br />

abstrakten Aroma des Tausches und damit der Kompatibilität<br />

innerhalb eines Systems. Noch deutlicher wird das Prinzip in<br />

den Weltausstellungen, den Leistungsschauen der Waren, deren<br />

erste 1798 auf dem Marsfeld stattfindet. Die Weltausstellungen,<br />

so Benjamin, „verklären den Tauschwert der Waren. Sie schaffen<br />

einen Rahmen, in dem ihr Gebrauchswert zurücktritt.“ 2<br />

Diese Inszenierungen der Waren konstruieren den Kontext<br />

und damit auch das Rezeptionsverhalten. An Stelle des<br />

Gebrauchswerts der Waren treten Rezeptionsmodelle, die von<br />

Begriffen wie Mythos, Kult, Fetisch gesteuert werden. Vergleichbar<br />

wird in der Kunst der Kontext konstituierend, nicht nur als<br />

kultureller Hintergrund eines allgemeinen Kunstverständnisses,<br />

sondern, mehr noch, als Teil der Kunst selber. Die eigentümliche<br />

Parallele dieser Frühgeschichte der Waren zur Kunstsituation<br />

heute besteht in eben dieser Konstruktion von Kontext. Wenn im<br />

Rahmen ambitionierter Ausstellungsarchitekturen eine Möbelplastik,<br />

sagen wir, ein Stuhl, seinen Gebrauchswert abstreift und<br />

der erschöpfte Besucher, der sich darauf niederläßt, einem Mißverständnis<br />

aufsitzt, ist das eine sinnfällige Anekdote. Passagen<br />

und Weltausstellungen waren Ahnen heutiger Selbstdarstelllung<br />

von Kunst, die vielleicht am eindringlichsten dort auf Autonomie<br />

beharrt, wo sie mit dem Paradox von Gebrauchswert und Tauschwert<br />

spielt – von der Warholschen Suppendose bis zum simulierten<br />

Reisebüro. Spannend wird es dort, wo der Kontext Kunst<br />

nicht ohne weiteres erkennbar ist, wo also nicht die Gebrauchs-<br />

181<br />

1 Walter Benjamin, GS5, Bd. 1, S. 45<br />

2 ebd., S. 50

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