PDF (550 KB) - kunst verlassen
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Vom Flaschentrockner zur Imbißbude<br />
Anmerkungen<br />
„gemacht“, geplant, konstruiert ist. Strandgut als ästhetisches<br />
Gegenüber – ein geistloses Unterfangen für eine Ästhetik in Platonischer<br />
Tradition, das ist sicher.<br />
Eines jedoch verbindet die Natur, wie sie im rundgeschliffenen<br />
Kieselstein symbolisiert ist, und jene Natur im Sinne einer<br />
technisch-medial vermittelten Umwelt: Wir sehen sie zunächst<br />
nicht als Wahrnehmungsangebot im Sinne der Information.<br />
Wer bei einem Strandspaziergang jeden Kieselstein betrachten<br />
möchte, wird sich nur millimeterweise vorwärtsbewegen können.<br />
Genauso erfordert der Umgang mit der „neuen Natur“<br />
kontinuierlich Entscheidungen. Wohl nie zuvor wurden die Sinneseindrücke<br />
derart intensiv zur Bedrohung. Wer alles unterschiedslos<br />
wahrnimmt, wer auf jeden Reiz reagiert, wer sich um<br />
die Decodierung jeder Information bemüht, der muß an seiner<br />
Wahrnehmung irre werden. Das Vergessen gehört strukturell zur<br />
Überlebensstrategie: Wer nicht vergessen kann oder nicht von<br />
vornherein Reize ignoriert, der ist verloren, für den wird die Umwelt<br />
zur Überforderung, in der er untergeht.<br />
So wird plausibel, warum sich neben der reinen Informations-<br />
Filterung und dem planvollen Vergessen noch eine dritte Rezeptionsart<br />
herausgebildet hat, die auf die der zweckentfremdenden<br />
Decodierung beruht. Wenn die Intentionen, die beispielsweise<br />
hinter einer Leuchtreklame stehen, zurücktreten hinter einem<br />
Spiel ästhetischer Wahrnehmung, das nicht mehr liest, sondern<br />
assoziiert, deutet und umdeutet, so kann man darin einen Impuls<br />
entdecken, eigene Kontexte herzustellen, um nicht Opfer und Objekt<br />
von Intentionen zu werden.<br />
Was unterscheidet eine Neonschrift von Joseph Kossuth von<br />
einer Neonreklame am Times Square Kossuth bemerkt dazu,<br />
daß sich nach Duchamp „das Wesen der Kunst von einer Frage<br />
der Morphologie zu einer Frage der Funktion“ verändert habe. 5<br />
Die ästhetische Wahrnehmung unterläuft den Informationscharakter<br />
der Dinge, ihren Gebrauchswert. Bezeichnend dafür ist<br />
die Gepflogenheit, scheinbar triviale Dinge in den sogenann-<br />
187<br />
foret“, in: Romantik und Gegenwart, Köln 1988, S. 103<br />
5 Zit. n. „Kunstforum“ – Kunst und Philosophie, 1989, S. 187