18 beobachtet <strong>und</strong> als Determinante seiner bzw. ihrer Wirklichkeits-Konstruktionen verstanden werden. Insofern wäre der Staatskonstruktivismus unter Zurückweisung des Anthropomorphismus als Sozialkonstruktivismus auf der Gr<strong>und</strong>lage einer konstruktivistischen Staatstheorie zu reformulieren <strong>und</strong> dann ohne weiteres in eine reflexiv-konstruktivistische Perspektive mit einzubeziehen. 4 Schluss Der Staatskonstruktivismus hat darauf hingewiesen, dass weder Strukturen der internationalen Politik noch die Identitäten der in ihr handelnden Akteure naturgegebene Entitäten sind, sondern Wahrnehmungen, <strong>und</strong> die Erfahrungen außenpolitischer Apparate miteinander jene Vorstellungen <strong>und</strong> Konstruktionen der internationalen Politik hervorbringen, die als handlungsleitend in die außenpolitischen Entscheidungsprozesse eingehen. Der sozialkonstruktivistisch ergänzte Rationalismus in den Internationalen Beziehungen hat insbesondere darauf hingewiesen, dass nichtmaterielle Faktoren (Kultur, Werte, Ideen, Normen etc.) einen wichtigen Beitrag zu den handlungsleitenden Wirklichkeitskonstruktionen internationaler Politik leisten <strong>und</strong> von Bedeutung sind für ein differenziertes Verständnis der Staatsgrenzen überschreitenden Interaktionen <strong>und</strong> Kommunikationen politischer Repräsentantinnen <strong>und</strong> -tanten im Zeitalter der Globalisierung. Die empirische Analyse der Verschiedenheit solcher Wirklichkeitskonstruktionen internationaler Politik – beispielsweise jener von Ronald Reagan, Helmut Kohl, Hans- Dietrich Genscher <strong>und</strong> Michail Gorbatschow im Jahr 1986, die alle vier in ein <strong>und</strong> demselben internationalen System agierten, jedoch auf der Gr<strong>und</strong>lage differierender Einschätzungen sowohl der Struktur dieses Systems als auch der anderen darin agierenden Akteure – verweist darauf, dass nicht die Realität die jeweiligen Wirklichkeitskonstruktionen hervorgebracht haben kann. Entscheidend sind vielmehr die je spezifischen Wahrnehmungs- <strong>und</strong> Konstruktionsprozesse (Beobachtungsprozesse) der Akteure sowie die kommunikativen Kontexte (u.a. auch die Wissenschaft), in die sie eingebettet sind. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> hat sich der Wandel des internationalen Systems am Ende des Ost-West-Konflikts vollzogen <strong>und</strong> die Bedeutung konstruktivistischer Ansätze in der Wissenschaft von den internationalen Beziehungen wachsen lassen (vgl. Weller 2005). An der Konzeptualisierung solcher Wahrnehmungsbzw. Konstruktions- <strong>und</strong> Beobachtungsprozesse wird das Theoriepotential des Reflexiven Konstruktivismus für die Internationalen Beziehungen am deutlichsten erkennbar.
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