Sylvain Cambreling - GLOR Classics
Sylvain Cambreling - GLOR Classics
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Glor ClaSSiCS inTErViEw<br />
Joshard Daus: Ja, das freut mich. Es gibt ja derzeit eine<br />
große Chor-Bewegung in Deutschland. Volksmusik lebt<br />
wieder auf. Seit der Nazi-Zeit ist uns das Chorsingen ja<br />
abhanden gekommen. Wir haben das Singen verloren in<br />
Deutschland durch den Zweiten Weltkrieg. Viele Professoren<br />
in den Sechziger Jahren waren skeptisch gegenüber<br />
unserem Volksliedgut. Der Missbrauch des Singens im<br />
Dritten Reich hat zu dieser radikalen Haltung geführt, die<br />
Adorno auch begründet hat. Wir haben die Fahne verloren,<br />
unsere Volkstümlichkeit, wir haben die Elite verloren.<br />
Es ist ja nachgewiesen, wie die Eliten eingebunden waren,<br />
auch in die KZ-Maschinerie. Daher ist auch und vor<br />
allem der Elite gegenüber so eine skeptische Haltung da.<br />
Die Fahne haben wir durch die Fussballweltmeisterschaft<br />
wiedergewonnen. Und jetzt kommt auch das Singen wieder.<br />
Man traut sich wieder zu singen. Und das ist es, was<br />
mich immer interessiert hat, der menschliche Körper als<br />
direktes Instrument, das viel berührender ist, als Instrumente<br />
selbst.<br />
<strong>GLOR</strong> <strong>Classics</strong> Magazin: Die Stimmen der Europa-<br />
ChorAkademie klingen besonders geschmeidig, samtig<br />
und homogen auch zwischen den Stimmregistern...<br />
Joshard Daus: Daran arbeiten wir ständig. Das ist doch<br />
die eigentliche Arbeit: wann entsteht Klang, wie ordnet<br />
man die Stimmen?<br />
20 <strong>GLOR</strong> CLASSICS MAGAZIN<br />
<strong>GLOR</strong> <strong>Classics</strong> Magazin: Neben Bachs „Messe h-Moll“<br />
haben Sie für <strong>GLOR</strong> <strong>Classics</strong> auch das „Requiem“ von<br />
Mozart eingespielt. Das ist ganz andere Musik, obwohl<br />
man oberflächlich meinen könnte, es wäre eine ähnliche<br />
Stimmung.<br />
Joshard Daus: Grundsätzlich natürlich: der Klassiker,<br />
also Mozart, ist viel klarer, scheinbar viel einfacher in<br />
der Struktur. Aber diese Einfachheit ist geschliffen wie<br />
ein Brillant, und daher in der Umsetzung sehr komplex.<br />
Das ist bei Mozart wie bei Mendelssohn, die Musik wirkt<br />
ganz leicht und durchsichtig. Das ist das Geheimnis: wie<br />
kriegt man dieses weiße Leuchten des Brillanten aussen<br />
hin, und diese unerhört differenzierte Struktur innen. Die<br />
Klassik ist wesentlich offener in ihrer Struktur als Barockmusik,<br />
die eine viel stärkere Kontrapunktik und eine auch<br />
äußerlich wahrnehmbare, viel höhere Eigengesetzlichkeit<br />
der Stimmen hat.<br />
<strong>GLOR</strong> <strong>Classics</strong> Magazin: Bach klingt kryptischer, verschlossener,<br />
mystischer. Dennoch: Mozart ist ebenfalls<br />
jenseitig, düster. Doch wenn man Bach hört, ist es immer<br />
eine überirdische Stimme. Welche Rolle spielt dabei<br />
das Tempo der Aufführung?<br />
Joshard Daus: Ja, das ist richtig. Das Tempo ist die wichtigste<br />
Frage. Ich versuche immer, das Tempo so zu nehmen,<br />
dass Klangdichte entsteht, dass kompositorische<br />
Architektur hörbar bleibt.<br />
Durch rasante Tempi, durch<br />
schnelles Zusammenschließen<br />
der musikalischen Punkte<br />
kann einfach nur eine beglückende<br />
Motorik entstehen,<br />
aber mehr nicht. Klangkultur ist und bleibt das Hauptziel.<br />
<strong>GLOR</strong> <strong>Classics</strong> Magazin: Gehen Sie da nach Aufzeichnungen<br />
vor, oder nach ihrem Gefühl im Gehör?<br />
Joshard Daus: Ich vergleiche das, was ich von anderen<br />
höre. Und ich gehe auch durchaus mit Metronom vor. Ich<br />
suche meinen eigenen Weg und definiere ihn auch mit<br />
einer Metrononomzahl in der Partitur. Bei den Aufführungen<br />
gehe ich jedoch bei der Bestimmung des Tempos von<br />
der jeweiligen Akustik des Raumes aus, um mein Klangziel<br />
zu erreichen. Der Barocksaal im Schloss Tegernsee ist<br />
beispielsweise akustisch sehr gut, hat einen verhältnismäßig<br />
langen Nachhall, man ist also eine Spur langsamer<br />
als beispielsweise in einem trockenen Raum. Das beziehe<br />
ich in meine Tempowahl ein.<br />
Glor ClaSSiCS inTErViEw<br />
<strong>GLOR</strong> <strong>Classics</strong> Magazin: Die Akustik eines Raumes hat<br />
also einen entscheidenden Einfuss auf das Tempo einer<br />
Musik...<br />
Joshard Daus: Ja, es gibt viele Dirigenten, die immer das<br />
gleiche Tempo wählen, egal, in welchem Raum sie musizieren.<br />
Mein Vorbild ist ja in vieler Hinsicht Sergiu Celbidache,<br />
mit dem ich zehn Jahre zusammearbeiten durfte.<br />
Für ihn war die Entstehung des Klanges, die Ordnung der<br />
Musik das allerwichtigste,<br />
das hat mich geprägt.<br />
Auch wenn man<br />
immer das gleiche Tempo<br />
wählt, entsteht Musik,<br />
aber philosophisch<br />
betrachtet ist für mich die immer neue Entstehung des<br />
Werkes im Augenblick wichtig, und nicht, dass ich ein<br />
Stück einfach nur immer wieder zur Aufführung bringe.<br />
Es geht nicht um Reproduktion, sondern immer um die<br />
einmalige Produktion der Musik.<br />
„Das Tempo ist die wichtigste Frage. Ich<br />
versuche immer, das Tempo so zu nehmen,<br />
dass Klangdichte entsteht, dass kompositorische<br />
Architektur hörbar bleibt.“<br />
Interview: Jens Peter Launert<br />
Fotos: Felix Broede<br />
<strong>GLOR</strong> CLASSICS MAGAZIN 21