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Lügen ist menschlich - Marius Leutenegger

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14 | Erotische Literatur Books Nr. 2/2013 Alle Bücher finden Sie auch auf Erotische Literatur | 15<br />

Es muss nicht<br />

immer<br />

« Shades » sein<br />

Der durchschlagende Erfolg von «Shades of Grey» hat ein Genre wieder belebt:<br />

die erotische Literatur, in der es um Dominanz und Unterwerfung geht. Dieses Genre<br />

<strong>ist</strong> alt und bietet unzählige Höhepunkte.<br />

<strong>Marius</strong> <strong>Leutenegger</strong><br />

Zeichnete man einen Stammbaum der Unterwerfungsliteratur,<br />

wäre «Venus im<br />

Pelz» wohl die Grossmutter von «Shades of<br />

Grey» – und vielleicht gar die Stammmutter<br />

des gesamten Genres. Das schmale<br />

Bändchen erschien 1870 und wurde von<br />

Leopold von Sacher-Masoch verfasst. Der<br />

österreichische Autor <strong>ist</strong> als Namensgeber<br />

in die Geschichte eingegangen – nicht der<br />

süssen Sachertorte, sondern des viel pikanteren<br />

Masochismus’. Zu Lebzeiten war<br />

Sacher-Masoch ein international gefeierter<br />

Autor und hochgeachteter Universitätsprofessor;<br />

ihn überlebt hat aber eigentlich<br />

nur «Venus im Pelz». Darin erzählt er die<br />

Geschichte von Severin, der sich leidenschaftlich<br />

in die junge Witwe Wanda verliebt.<br />

Sie kann sich nicht recht dazu durchringen,<br />

ihn zu heiraten, denn sie weiss, wie<br />

unbeständig Gefühle sind. Severin schlägt<br />

Wanda vor, ihn als Sklaven zu akzeptieren,<br />

den sie jederzeit nach Belieben demütigen<br />

darf – denn er meint, dass seine Liebe zu<br />

ihr dann immer grösser werde, frei nach<br />

dem Grundsatz: Was man nicht wirklich<br />

besitzen kann, begehrt man umso stärker.<br />

Wanda zögert; sie weiss, ein solches Arrangement<br />

könnte ihre schlimmsten, bislang<br />

unterdrückten Eigenschaften wecken.<br />

Schliesslich aber willigt sie ein. Sie quält<br />

ihren Sklaven fortan psychisch und physisch,<br />

gibt sich ihm aber auch liebevoll hin.<br />

Dass Wanda andere Liebhaber hat, treibt<br />

Severin schier in den Selbstmord, er kann<br />

sich von seiner Herrin aber nicht lösen –<br />

bis sie bewusst zu weit geht und ihn von<br />

einem ihrer Liebhaber auspeitschen lässt.<br />

Severin <strong>ist</strong> von seiner Obsession geheilt<br />

und nimmt wieder sein früheres Leben an.<br />

Von Peitschen und Stiefeln<br />

Interessant <strong>ist</strong>, dass «Venus im Pelz» nachträglich<br />

fast zur Autobiographie von Sacher-Masoch<br />

wurde: 1873 heiratete der<br />

Autor eine junge Angelika, die sich wegen<br />

des Buchs in Wanda umbenannte. Mit ihr<br />

schloss Sacher-Masoch einen Sklavenvertrag<br />

ab, und wie die fiktive Wanda hielt es<br />

auch die echte am Ende nicht neben ihrem<br />

Sklaven aus. Doch zurück zu «Venus im<br />

Pelz». Das Buch enthält bereits viele Genre-typische<br />

Ingredienzien. Uniformen,<br />

Peitschen, Stiefel, Pelze und nächtliche<br />

Aussschweifungen kommen ebenso vor<br />

wie das Hin und Her zwischen Erniedrigung<br />

und Zärtlichkeit. Doch das Buch erschien<br />

in einer Zeit, in der es Zensur gab,<br />

und es beschränkt sich daher auf Andeutungen.<br />

Wer «gewisse Stellen» sucht, kann<br />

lange blättern – es gibt sie kaum, erregend<br />

<strong>ist</strong> allenfalls der Unterton der Geschichte.<br />

Die Dialoge des Buchs, das derzeit von Ro-<br />

man Polanski verfilmt wird, sind feinsinnig;<br />

Sacher-Masoch bedient sich gern bei<br />

der Hochkultur, um die Vorliebe seines<br />

Helden – und damit auch seine eigene – zu<br />

begründen, er zitiert fortlaufend Goethe<br />

oder antike Autoren. «Venus im Pelz» <strong>ist</strong><br />

daher eher Literatur für den feinsinnigen<br />

Kenner als Pornografie, die bekanntlich<br />

nur auf eines abzielt: die Lesenden sexuell<br />

zu erregen.<br />

«Mein Körper<br />

hatte nicht mit mir<br />

zu tun. Er war ein<br />

Köder, ein Mittel –<br />

so zu benutzen, wie<br />

er es entschied, mit<br />

dem Ziel, uns beide<br />

zu erregen.»<br />

«9 ½ Wochen»<br />

Die Hure mit den Rehaugen<br />

Dass auch die Österreicher der vordergründig<br />

prüden Habsburgerzeit keineswegs<br />

auf solche Werke verzichten mussten,<br />

bewe<strong>ist</strong> der 1906 erschienene Roman<br />

«Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte<br />

einer Wienerischen Dirne. Von ihr selbst<br />

erzählt.» Auf dem Stammbaum jener Literatur,<br />

um die es hier geht, würde dieses<br />

Buch wohl die Position einer etwas verqueren<br />

Tante einnehmen. Der Titel verspricht<br />

Autobiografisches, doch eine Josefine<br />

Mutzenbacher <strong>ist</strong> nicht aktenkundig.<br />

Schon bei der Erstveröffentlichung des<br />

Buchs wurde daher munter über dessen<br />

Urheberschaft spekuliert. Am häufigsten<br />

fiel damals der Name Felix Salten. Der österreichische<br />

Autor gilt generell nicht gerade<br />

als Pornograf, denn er schrieb vor allem<br />

über Häschen und Rehe – sein wichtigstes<br />

Werk <strong>ist</strong> «Bambi», die Vorlage für den berühmten<br />

Disney-Film. Die Tatsache, dass<br />

sich Salten nie gegen die Zuschreibung des<br />

Mutzenbacher-Romans wehrte, macht ihn<br />

allerdings schon sehr verdächtig, denn er<br />

hätte allen Grund gehabt, sich von ihm zu<br />

d<strong>ist</strong>anzieren: Das Buch wurde schnell als<br />

jugendgefährdend und unsittlich verfemt,<br />

und noch 1992 stuften es deutsche Richter<br />

als «Kinderpornografie» ein.

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