Lügen ist menschlich - Marius Leutenegger
Lügen ist menschlich - Marius Leutenegger
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Reisen – aber nicht<br />
nach Plan<br />
Die Engländer sind sozusagen die Erfinder des neuzeitlichen<br />
Tourismus’ – und damit auch des Reiseberichts. Zwei neue<br />
Bücher sind besonders lesenswert, denn sie zeigen, wohin eine<br />
Reise führen kann, wenn sie nicht von Tourismusbüros, Fahrplänen<br />
und Websites in geordnete Bahnen gezwängt wird.<br />
Hanspeter Künzler<br />
Die Expedition auf den höchsten Berg der<br />
Erde, Rum Doodle genannt, beginnt mit<br />
einer Panne: Ausgerechnet Humphrey<br />
Jungle, der Mann, der als Funkexperte und<br />
Navigator ins Team eingeladen wurde,<br />
geht auf dem Weg zur Vorbesprechung im<br />
Londoner Verkehrsdschungel verloren.<br />
Erst viel später gelangt er doch noch zur<br />
Gruppe – nach einer Irrfahrt, die ihn über<br />
Cockfosters, Hounslow, Wales und Buenos<br />
Aires in eine Banditenhöhle in Yog<strong>ist</strong>an<br />
führt. Zu diesem Zeitpunkt <strong>ist</strong> den ur-englischen<br />
Gentlemen, die sich zur Besteigung<br />
aufgemacht haben, bereits ein weiteres<br />
Ungeschick zugestossen. Lancelot Constant,<br />
«eigens wegen seines Taktgefühles<br />
und Kameradschaftsge<strong>ist</strong>es ausgesucht»,<br />
hat wegen seiner lückenhaften Kenntnisse<br />
der Lokalsprache aus Versehen statt 3000<br />
Träger deren 30’000 engagiert. Die desaströse<br />
Besteigung endet – so scheint es zumindest<br />
– mit dem desolaten Ausruf: «Wir<br />
hatten den falschen Berg bestiegen!»<br />
Eine absurdere, tölpelhaftere Expedition<br />
<strong>ist</strong> unmöglich. Und doch: den Zeitgenossen,<br />
die den zum Heulen lustigen Roman<br />
im Jahr 1956 erstmals zu Gesicht bekamen,<br />
war der Inhalt plausibel genug, dass<br />
die Kritikerin der ehrwürdigen Publikation<br />
«Good Housekeeping» zugeben musste,<br />
erst nach der Hälfte des Buches gemerkt zu<br />
haben, dass es sich nicht um einen Dokumentarbericht<br />
handle. «Die Besteigung<br />
des Rum Doodle» <strong>ist</strong> ein Me<strong>ist</strong>erwerk bitterböser<br />
Satire. Denn die Lektüre von den<br />
Berichten, welche die grossen englischen<br />
Bergsteigerpioniere ein paar Jahre früher<br />
aus dem Himalaya oder vom Cresta Run in<br />
St. Moritz zurückgeschickt hatten, zeigt,<br />
dass die Realität von der Fiktion so weit<br />
nicht entfernt war. Da wie dort haben wir<br />
es mit exzentrischen Engländern privilegierter<br />
Abstammung zu tun, lauter Männern,<br />
die sich ins ferne Abenteuer stürzen,<br />
ohne sich dabei viel zu überlegen. Ihre<br />
Ausrüstung <strong>ist</strong> dürftig, dafür ihr Bewusstsein,<br />
heldenhafte Pioniertaten zu unternehmen,<br />
gewaltig. Die Lokalbevölkerung<br />
besteht für sie aus ungehobelten Muskelpaketen,<br />
die selbst dann, wenn es ohne<br />
ihre tatkräftige Mithilfe nicht mehr weiterginge,<br />
mit herablassender Nonchalance<br />
behandelt werden.<br />
«Die Besteigung des Rum Doodle» gilt in<br />
der britischen Bergsteigerszene längst als<br />
Insider-Tipp. Es <strong>ist</strong> sogar ein Flecken Antarktis<br />
offiziell nach ihm benannt worden,<br />
Mount Rumdoodle. Doch der Roman bietet<br />
mehr als amüsanten Lesestoff für Kletterer.<br />
«The Guardian» hat ihn auf seine L<strong>ist</strong>e der<br />
«1000 Bücher, die jeder gelesen haben<br />
muss» gesetzt, denn er kann durchaus als<br />
Kritik an der Überheblichkeit gelesen werden,<br />
die das Verhalten vieler Briten im Imperium<br />
prägte. Vielleicht war die Satire<br />
dem Publikum aber zu bissig: dem Autor<br />
William E. Bowman (1911-1985) brachte<br />
sie jedenfalls nicht allzu viel Glück. Bowman<br />
wuchs in Middlesbrough auf, entwickelte<br />
früh eine Passion fürs Wandern, bestieg<br />
aber nie einen höheren Berg als den<br />
Scafell Pike im Lake D<strong>ist</strong>rict. Er verdiente<br />
sich den Lebensunterhalt als Ingenieur.<br />
Obwohl «Die Besteigung des Rum Doodle»<br />
in mehrere Sprachen übersetzt wurde,<br />
konnte Bowman nur noch ein weiteres<br />
Buch veröffentlichen – eine Parodie auf<br />
Thor Heyerdahls Reisebericht von der<br />
Kon-Tiki. Jetzt liegt sein Me<strong>ist</strong>erwerk endlich<br />
in einer neuen Übersetzung auf<br />
Deutsch vor.<br />
Ein Reisebuch ganz anderer Art <strong>ist</strong> «Slow<br />
Travel – Die Kunst des Reisens». Dan Kieran<br />
gehörte zehn Jahre lang zur Redaktion<br />
von «The Idler», einer englischen Publikation,<br />
die sich dem Müssiggang verschrieben<br />
hat. Kieran nimmt als Anfangspunkt<br />
seiner Reisen ein Zitat des chinesischen<br />
Philosophen Lao Tzu: «Ein guter Reisender<br />
hat keinen festen Plan. Und hat nicht vor, je<br />
an ein Ziel zu gelangen ...» Das moderne<br />
Reisen mit peinlich genau berechneten, auf<br />
Effizienz bedachten Fahr- und Flugplänen<br />
sei gleichermassen ein Anti-Reisen, meint<br />
er: Statt den Reisenden mit dem Unerwarteten<br />
zu konfrontieren und im wahrsten<br />
Sinn des Worts seinen Horizont zu erweitern,<br />
sei die moderne Reiseindustrie darauf<br />
bedacht, ihn nicht mit unerwarteten<br />
Erlebnissen zu stressen. Mit sanfter Eindringlichkeit<br />
und vielen appetitanregenden<br />
Anekdoten aus den eigenen Reisetagebüchern<br />
– ein Wochenende auf der Insel<br />
Mull, eine Zugreise nach Prag und so weiter<br />
– plädiert er für das instinktive Reisen<br />
ganz der Nase nach. «Slow Travel» <strong>ist</strong> ein<br />
Buch wie eine Reise, die alleweil ein lesendes<br />
Hockenbleiben in der Stube wert <strong>ist</strong>.<br />
Die Besteigung des<br />
Rum Doodle<br />
William E. Bowman<br />
180 Seiten<br />
CHF 29.90<br />
Rogner & Bernhard<br />
Slow Travel –<br />
Die Kunst des Reisens<br />
Dan Kieran<br />
250 Seiten<br />
CHF 29.90<br />
Rogner & Bernhard