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Fischli/Weiss - Zeit Kunstverlag

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Ausgabe 78<br />

Heft 9<br />

2. Quartal 2007<br />

B 26079<br />

Eine Edition der<br />

<strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs<br />

GmbH & Co. KG<br />

Künstler<br />

Kritisches Lexikon der<br />

Gegenwartskunst<br />

<strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong><br />

von Thomas Wagner


1 Mick Jagger und Brian Jones befriedigt auf dem Heimweg,<br />

nachdem sie 'I Can't Get No Satisfaction' komponiert haben,<br />

aus der Serie »Plötzlich diese Übersicht«, 1981<br />

Ungebrannter Ton<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

»Hallo, ist jemand da? – Ich bin das gepflegte Leben, die Eleganz. –<br />

Du kennst mich gut. – Ich bin der Tanz und die Ekstase. – Aber auch<br />

das Ausschlafen und Liegenbleiben. – Ich bin die Schönheit und der<br />

Stil. – Ich bin die nicht enden wollende Gartenparty. Ich bin der Champagner<br />

aus dem Damenschuh. – Der Napf, aus dem du frisst. – Ich bin<br />

die Freiheit, mit der du spielst. – Ich bin das Vergnügen ohne Grund. –<br />

Ich bin die <strong>Zeit</strong>, die zur Verfügung steht. – Ich bin der geringste Widerstand.«<br />

(aus <strong>Fischli</strong> / <strong>Weiss</strong> Der geringste Widerstand, zitiert nach: Patrick Frey Das Geheimnis der Arbeit,<br />

Texte zum Werk von Peter <strong>Fischli</strong> und David <strong>Weiss</strong>, München, Düsseldorf 1990)<br />

Cover Filmstill aus »Der geringste Widerstand«, 1980/81<br />

Kamera: Jürg V. Walther<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David


Thomas Wagner<br />

über Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

»Wie einfach im Grunde alles ist«, brummt der Bär. Worauf die<br />

Ratte entgegnet: »Keine verbreitete Ansicht.« Also verkündet<br />

der Bär: »Die armen Verwirrten haben keine Ahnung!« – »Die<br />

Reichen auch nicht«, kontert die Ratte. Die ersten Worte gebühren,<br />

wie könnte es anders sein, Ratte und Bär, den beiden<br />

Alter Egos der Künstler in dem Film Der geringste Widerstand.<br />

Und was folgt aus der allgemeinen Ahnungslosigkeit? Keine Ahnung!<br />

Einstweilen wissen wir nur soviel: Ohne Ratte und Bär, die<br />

beiden Kunst-Detektive, lässt sich nur schwer etwas herausfinden.<br />

Aber warum eigentlich waren die beiden aufgebrochen zu<br />

ihrer Informations- und Bildungsreise in die Welt der Kunst?<br />

Als beim Bären das Telefon klingelt und ihn in seinem Zimmer<br />

mitten in der kleinen-großen kalifornischen Modellstadt aus<br />

Karton, Draht, Spielkarten und Batterien aus dem Schlaf holt,<br />

erklärt es ihm die Ratte am anderen Ende der Leitung: »Jetzt<br />

hör mal, was hier steht: Zunehmende Gewalt in der Kunstwelt!<br />

... Bandenkrieg, Prügeleien. ... Enormer Sachschaden in der<br />

Höhe von... Besonders wird verdächtigt N.G. aus R., dessen<br />

Werke zu astronomischen Summen gehandelt werden ... und<br />

dessen aufwendiger Lebensstil schon viele arme Leute geärgert<br />

hat ...Verschiedene Quellen vermuten, dass die herrschende<br />

Langeweile in der Kunstwelt die Ursache der Gewalttätigkeiten<br />

ist.«<br />

Was soll dieser Unsinn? fragt der Bär. Und die Ratte entgegnet<br />

ihm: »Aber verstehst du nicht? Dem Zielreichen gehört die Welt.<br />

Wir gehen in die Kunstwelt, da scheint was los zu sein: – Action<br />

– Kultur – Geld.«<br />

Also macht sich der Bär, noch etwas widerwillig, auf den Weg.<br />

Als sich die beiden dann auf einer Brücke über einen Freeway<br />

treffen, fragt er: »Gibt es Arbeit?« »Nein«, sagt die Ratte, »Geld!«<br />

– »Interessant. Wie denn?« will der Bär wissen. Also erklärt es<br />

ihm die Ratte: »Verschiedene Quellen schieben die Schuld der<br />

schlechten Stimmung zwischen Maler und Betrachter zu. Und<br />

daraus machen wir einen Riesenwirbel und kassieren grausam,<br />

wie die anderen. Wir steigen ganz groß ein.«<br />

Erhöhung des Widerstands<br />

Als sich die beiden Schnüffler danach bei den Reichen am Pool<br />

umsehen, wo Kunstbücher und Kunstzeitschriften herumliegen,<br />

spricht – mit verführerischer Frauenstimme – plötzlich die Kunst<br />

selbst zu ihnen – oder ist es der Geist des Kunstbetriebs? »Hallo,<br />

ist jemand da? – Ich bin das gepflegte Leben, die Eleganz. –<br />

Du kennst mich gut. – Ich bin der Tanz und die Ekstase. – Aber<br />

auch das Ausschlafen und Liegenbleiben. – Ich bin die Schönheit<br />

und der Stil. – Ich bin die nicht enden wollende Gartenparty.<br />

Ich bin der Champagner aus dem Damenschuh. – Der Napf,<br />

aus dem du frisst. – Ich bin die Freiheit, mit der du spielst. – Ich<br />

bin das Vergnügen ohne Grund. – Ich bin die <strong>Zeit</strong>, die zur Verfügung<br />

steht. – Ich bin der geringste Widerstand.«1<br />

Der Freiraum der Kunst<br />

Von einer schlechten Stimmung zwischen Maler und Betrachter<br />

kann bei <strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong> kaum die Rede sein. Aber der geringste<br />

Widerstand, der will überwunden sein. Dieser ganz besonders.<br />

Vieles im Werk der beiden Künstler scheint dafür zu<br />

sprechen, dass sie alles daran setzen, diesen geringsten Widerstand<br />

zu überwinden. Und wie macht man das? Ganz einfach:<br />

Indem man den Widerstand erhöht. Den Widerstand der Kunst.<br />

Doch wogegen leistet die Kunst Widerstand? Oder, anders gefragt:<br />

Wem oder was widersteht die Kunst der beiden Schweizer?<br />

»Ich bin die Freiheit, mit der du spielst«, spricht die schöne, elegante,<br />

ekstatische Stimme der Kunst im Film. Die Kunst, ein<br />

Spielraum – das leuchtet ein. Aber mit der Freiheit spielen?<br />

Überhaupt, wie ist es um die Freiheit der Kunst bestellt, wenn<br />

sie es ist, mit der Künstler und womöglich auch Rezipienten<br />

spielen?<br />

Ist die Kunst heute nicht so frei wie nie zuvor? – Frei von einem<br />

Auftraggeber, frei vom Zwang des Repräsentationsbedürfnisses<br />

eines Fürsten, Kardinals oder Papstes. Frei von einengenden<br />

Vorgaben des Geschmacks, frei von allen Ismen und<br />

Schulen. Frei von den Einschränkungen bestimmter Medien<br />

oder Gattungen und frei von den Regeln einer kanonisierten<br />

Ästhetik. Von all dem ist die Kunst frei. Doch reicht das? Eine<br />

Freiheit von etwas – von Aufträgen, Ismen, Gattungen und Regelästhetik?<br />

Wofür die ganze Freiheit der Kunst? Nur für den<br />

Markt, der heutzutage alles zu beherrschen scheint? Ist die<br />

Kunst nur frei, um dann doch nur geringsten Widerstand zu leisten<br />

und nach dem Applaus einer Gesellschaft zu schielen, deren<br />

Probleme sich immer häufiger aus ihrem Reichtum ergeben?<br />

Wozu ist die Kunst eigentlich frei? Die Frage beginnt<br />

lästig zu werden.<br />

»Der Freiraum der Kunst ist ein Kaninchenstall« stellte Joseph<br />

Beuys einst kategorisch fest. Und <strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong> fügen hinzu:<br />

Der Freiraum der Kunst ist auch eine Bärenhöhle, und er ist die<br />

im Untergrund verlaufende Kanalisation, das Terrain der Ratte.<br />

Und im Lauf der <strong>Zeit</strong> fügen sie hinzu: Der Freiraum der Kunst ist<br />

eine Welt, in der die Tiere aus Wurzeln geschaffen werden, er ist<br />

die Arbeit im Dunkeln, und er ist ein Garten, voll mit Kohlköpfen<br />

und Astern. Er ist ein Raum voller Fragen, eine Palette voller<br />

Dinge, die ihre eigenen Doppelgänger sind, und er ist eines langen<br />

Tages Reise ins Alltägliche. Und glauben wir der Figur<br />

Nr. 18 aus dem Buch Ordnung und Reinlichkeit der Autoren<br />

Ratte und Bär, dann ist der Freiraum der Kunst auch ein großer,<br />

auf vier Säulenfüßen ruhender Tisch, getragen von Religion und<br />

Angeberei, von Psychologie und Geschmack, Unterhaltung und<br />

Blödsinn und von Filosofie und Langeweile, eine höhere Ebene,<br />

auf die Kritiker, Sammler, Suchende, Galeristen, blöde Mitläufer<br />

und Kulturanhänger mit Hilfe von Leitern zu gelangen suchen.<br />

3


2<br />

3<br />

4<br />

4


5<br />

2 Airports, 1987-2006<br />

C-Print<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

3 Büsi, 2001<br />

Auf Grossbildschirm vorgeführt, im Rahmen von »The 59th Minute:<br />

Video Art on the Time Square Astrovision«, Creative Time, New York<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

<strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong><br />

4 Ohne Titel (Blume), 1997<br />

Fotografie<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

5 Animal (aus der Serie »Sculptures grises«), 1986<br />

Polyurethan, Farbe<br />

© Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

5


Und schließlich ist der Freiraum der Kunst ein Geheimnis, das<br />

überall offen vor uns liegt, und das wir doch zumeist übersehen.<br />

Und plötzlich sind wir wieder bei Ratte und Bär und den armen<br />

und reichen Verwirrten, die keine Ahnung haben. Und dem Verdacht<br />

der beiden Detektive, die Kunst fordere Opfer – nicht nur<br />

in Hollywood.<br />

Wunderbare Verwirrung<br />

Was also braucht man, um das Terrain der Kunst zu erkunden<br />

wie zwei Detektive auf Bildungsreise? Was ist nötig, um nicht<br />

den Weg des geringsten Widerstands zu gehen? Ordnung und<br />

Reinlichkeit? Fragen und Geheimnisse? Die Verwirrung will nicht<br />

enden. Und doch hat sie längst begonnen, produktiv zu wirken<br />

– wie im Werk von <strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong>, das uns Betrachter auf so<br />

wunderbare Weise verwirrt, um uns Augen einzusetzen, damit<br />

wir sehen lernen.<br />

Wenn es im Kunstbetrieb um Geld geht, nicht um Arbeit, so<br />

könnte eine Möglichkeit, den Widerstand zu erhöhen, darin bestehen,<br />

sich ans Arbeiten zu halten. Vielleicht haben <strong>Fischli</strong> und<br />

<strong>Weiss</strong> deshalb 1991 zehn Regeln zum besseren Arbeiten2 aufgestellt,<br />

die folgendermaßen lauten:<br />

1. Do one Thing at a Time<br />

2. Know the Problem<br />

3. Learn to listen<br />

4. Learn to ask Questions<br />

5. Distinguish Sense from Nonsense<br />

6. Accept Change as inevitable<br />

7. Admit Mistakes<br />

8. Say it simple<br />

9. Be calm<br />

10. Smile<br />

Nun gut, versuchen wir’s. Halten wir uns an die Regeln und<br />

konzentrieren wir uns auf nichts anderes als das Leben die Dinge.<br />

Das Problem liegt sodann darin, dass die Dinge ihr eigenes<br />

Wesen offensichtlich verbergen. Vielleicht wären die Dinge ja<br />

frei, wenn sie ganz bei sich selbst wären? Also lauschen wir, um<br />

etwas über das Leben der Dinge herausfinden zu können, ihren<br />

vielen Stimmen im Werk von <strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong>. Fragen ergeben<br />

sich dabei nicht nur von selbst, sie sind sogar Teil ihres Werks.<br />

Erst haben Ratte und Bär unbequeme Fragen gestellt, dann haben<br />

die Künstler Fragen in einen großen Topf hineingeschrieben,<br />

und später geisterten sie dann durch den dunklen Raum<br />

des Nichtwissens. Lauter Fragen wie diese:<br />

– »Ist meine Dummheit ein warmer Mantel?<br />

– Warum geschieht nie nichts?<br />

– Hätte aus mir etwas anderes werden können?<br />

– Sind dem Unmöglichen keine Grenzen gesetzt?<br />

– Wird der Bereich des Möglichen immer kleiner?<br />

– Lebt die Freiheit?«3<br />

6<br />

Lauter unentscheidbare Fragen, hätte Heinz von Foerster gesagt.<br />

Doch gerade solche Fragen sind die wichtigsten. Denn<br />

gerade weil ihre Beantwortung uns in der Sache nicht entscheidend<br />

voranbringt, haben sie den Vorteil, dass sie uns zu Antworten<br />

veranlassen, die etwas über uns selbst und unsere Einstellungen<br />

zum Leben verraten.<br />

Ob wir auch die restlichen Regeln zum besseren Arbeiten befolgen<br />

können, mithin Sinn von Unsinn zu unterscheiden wissen,<br />

wird sich zeigen. Dass sich andauernd alles ändert, liegt auf der<br />

Hand. Und Fehler willkommen zu heißen, wird sich kaum vermeiden<br />

lassen. Nur ob wir das, was gesagt werden muss, auch<br />

einfach werden sagen können, lässt sich nicht garantieren.<br />

Trotzdem sind wir ruhig – und lächeln.<br />

Mehr Ausnahmen als Regeln<br />

Keine noch so leise Trauer über die Unvollkommenheit der Welt<br />

ist in den Werken von <strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong> zu spüren. Vielmehr beseelt<br />

eine große Freude all die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten,<br />

auf die wir während unseres Streifzugs stoßen, ob wir nun<br />

durch prähistorische Landschaften, durch Gärten, Städte, Flughäfen<br />

oder Vorstädte wandern. Freude am Ausprobieren, an<br />

Humor und Witz liegen über all den Experimenten und Versuchen,<br />

die sich daraus ergeben, dass es in den Werken der beiden<br />

mehr Ausnahmen als Regeln gibt, etwa so wie in der »Pataphysik«,<br />

der Wissenschaft von den imaginären Lösungen. Und<br />

was auch geschieht, was wir auch miterleben, es ist ein Paarlauf,<br />

dem wir folgen, und ein Duett, dem wir lauschen. Denn wo<br />

<strong>Fischli</strong> sich tummelt im heilig nüchternen Wasser, freut sich<br />

<strong>Weiss</strong>. Und wo David um die Macht der Gewohnheit weiss, wirft<br />

sie <strong>Fischli</strong> über den Haufen. Ganz wie in der Jarry`schen Welt<br />

des Ubu Roi, wo alles von der Pfuisik und der Pfuinanz und der<br />

Schreisse abhängt, so gilt auch für <strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong>, was Siegfried<br />

Kracauer – welch ein Name in diesem Zusammenhang –<br />

von der »Pataphysik« sagt: »Eine Scheibe Humor genügt nicht -<br />

›Pataphysik‹ ist die ganze Wurst.«4<br />

Mortadella & Cervelat<br />

Womit wir das Thema plötzlich an einem anderen Zipfel zu fassen<br />

bekommen. Bei den beiden geht es nämlich von Anfang an<br />

um die Wurst. Ja, im Anfang war die Wurst und die Wurst war<br />

bei der Kunst. Es ist Wurst, was aus uns wird, sagen die Dinge.<br />

Denn sie sind verzweifelt. Also wird erst recht Wurst aus ihnen,<br />

buchstäblich, Scheibe für Scheibe. Wir schreiben das Jahr<br />

1979, als die gemeinsame Arbeit von Peter <strong>Fischli</strong> und David<br />

<strong>Weiss</strong> mit der während einer Klausur entstandenen Wurstserie,<br />

einer Sequenz aus Fotografien, beginnt.<br />

Aus gemusterter Mortadella, gestapelten Wurstscheiben, Keksen<br />

und Cornichons wird flugs ein Teppichladen. Zwei Cervelatwürste<br />

bauen einen Autounfall, und Zigarettenstummeln stehen<br />

gaffend drum herum. Doch Wurst allein ist nicht genug. Auch im


Kühlschrank lagern phantastische Möglichkeiten. Hier wartet<br />

Moonraker auf den Start, im Tiefkühlfach wird der Nordpol konserviert,<br />

und aus Federbett und Kissen wird eine veritable Berglandschaft,<br />

mit einer Schüssel voll Wasser als Bergsee und hier<br />

und da einem Chalet aus Käsestücken; und vom Kissenzipfel<br />

fährt die Seilbahn hinab ins Tal.<br />

Wenn das keine Möglichkeiten sind! Was sonst als solch heiteres<br />

Fabulieren vermag den Dingen ihre Ursprünglichkeit und<br />

Freiheit zurückzugeben. Wo, wenn nicht in der Kunst, haben sie<br />

die Freiheit, dem alltäglichen Sklaventum ihrer Funktion zu entrinnen<br />

und mehr zu sein als nur Schüssel, Käse oder Wurst, Eisfach<br />

oder Zigarettenstummel. Indes, kein Ding vermag all das allein.<br />

Doch tun sie sich erst zusammen, so schlummern allerlei<br />

Geschichten und Kombinationen in ihnen. Bis aus allerlei Kleinigkeiten<br />

bedeutende Nichtigkeiten geworden sind. Bis die Dinge<br />

sogar das Laufen lernen, so wie einst die Bilder laufen lernten.<br />

Und schon laufen die Dinge und die Bilder gemeinsam, und<br />

wollen gar nicht mehr aufhören, ihren Lauf der Dinge.<br />

Was den Anstoß gegeben, das Ganze in Gang gebracht hat, ist<br />

vergessen. Jetzt geht es voran, jetzt wird beschleunigt. Eine einzige<br />

Stafette, von einem zum anderen: Es rollt ein Reifen, es fällt<br />

ein Stuhl, dann zündet eine Lunte, sprüht ein Funke und brennt<br />

ein Eimer. – Dann fällt die Leiter, füllt sich die Flasche, kippt die<br />

Ebene, rollt der Zylinder, zündet die Lunte, zischt die Rakete –<br />

auf dass ein Wagen fahre, ein Brett kippe, sich Stoffe mischen<br />

und brodeln – damit alles fließe und sich der Impuls fortzeuge<br />

von Ding zu Ding.<br />

So muss Fortschritt wohl aussehen. Nichts und niemand scheint<br />

sich für ein Resultat erwärmen zu können. Was zählt, sind Aktion<br />

und Reaktion. Das Ausgebrannte und Verzehrte, das Tote<br />

und Verbrauchte, aber bleibt zurück. Unbekümmert stürmt alles<br />

weiter und stolpert voran. Es ist ein großer Spaß, aber auch ein<br />

chaotisches Fortzeugen durch Verausgabung und Zusammenbrechen,<br />

Verglühen und Verschütten, samt Gurgeln und Zischen,<br />

Rumpeln und Pfeifen.<br />

Feierstunde der Entropie<br />

Was wir beobachten, ist ein System, das sich stabilisiert, weil<br />

seine Elemente andauernd kollabieren. Eine Feierstunde der Entropie.<br />

Aber auch wenn das System lustig anzusehen ist, so ist<br />

es doch ein Zwangssystem, eine Kette aus nichts als Systemzwang,<br />

weshalb der Betrachter schon bald wie gebannt darauf<br />

wartet, dass irgend etwas schiefgeht, die Kette endlich unterbrochen<br />

wird, dass es aufhört – endlich. Hat nicht Walter Benjamin<br />

davon gesprochen, die Katastrophe bestehe nicht darin, dass<br />

sich etwas ändere, sondern darin, dass es immer so weitergeht?<br />

Hier geht es immer weiter, in dieser Kette aus Katastrophen.<br />

Nur manchmal verlangsamt sich das Geschehen, verhüllt der<br />

Nebel das Unaufhaltsame, füllt sich ein Blech mit dämpfendem<br />

<strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong><br />

Schaum. Dann ruht der Blick für einen Moment und die endlose<br />

Verkettung, der nimmer endende Impuls, der von einem zum anderen<br />

weitergereicht wird, geht auf in einem Schaumteppich,<br />

der eine Verlangsamung, ein Innehalten bewirkt, bevor sich die<br />

Aktion von neuem spannt und die Dinge sich nach Gesetzen der<br />

Physik und der chemischer Reaktionen weiter anstößig fortbewegen.<br />

Bis es doch endet, im Schaum, jenem Stoff aus beinahe<br />

nichts.<br />

Ein »Gespinst aus Hohlräumen«5 nennt der Philosoph Peter Sloterdijk<br />

den Schaum, ein »heiteres Denkbild«6 und eine »Scharlatanerie<br />

aus Luft und Irgendetwas«7, dazu angetan, die »Subversion<br />

der Substanz mit eigenen Augen zu beobachten«8. Und so<br />

bleibt, wo die großen Übertreibungen ausgedient haben, Überraschung<br />

und Enttäuschung sich die Waage halten, nichts als<br />

Schaum.<br />

Doch wer geglaubt hat, damit wäre alles zu Ende, der sieht sich<br />

getäuscht. Denn der Schaum des Fortschritts gebiert die Dinge<br />

noch einmal. Aus nichts als erstarrter Luft, Arbeit und Farbe ist<br />

die handwerkliche Rückübersetzung der Dinge ins Imperfekt, in<br />

die <strong>Zeit</strong> vor ihrer maschinellen Produktion. Ob Stichsäge oder<br />

Dachlatte, Lampenkarton oder Zigarettenpackung, ob Tisch,<br />

Stuhl, Telefon oder Aschenbecher, Farbtube oder Messer – in<br />

dieser Handwerkerwelt aus Polyurethanschaum ist alles Teil einer<br />

großen Werkstatt, ja die Welt selbst ist zur Werkstatt und<br />

zum Atelier geworden.<br />

Hier leben die Dinge ihr zweites Leben. Von der »Simulation des<br />

Ready-made-Verfahrens mit handwerklichen Mitteln« spricht<br />

Boris Groys9. Doch kehrt sich in dieser Schnitzkunst nicht nur<br />

das Verfahren maschineller Produktion um, diese schafft den<br />

Dingen auch ein zweites Leben in Raum und <strong>Zeit</strong>. Wenn ein<br />

Tisch mit 750 geschäumten und bemalten Doppelgängern der<br />

Dinge gefüllt ist, so sind die Dinge plötzlich langsam geworden,<br />

verspätet. Und daraus entsteht ein Lager mit Baumaterial für eine<br />

andere Welt, eine Welt der Schaumgeburten, in der nichts<br />

funktionieren muss.<br />

Überschuss der Wirkungen<br />

So wird der Schaum zum Medium eines Freiraums, der im unaufhaltsamen<br />

Geschehen eine Lücke markiert. So wie im Lauf<br />

der Dinge das Hantieren mit Feuer eine Tätigkeit ist, die auf der<br />

»Grenze zwischen Zauber und Arbeit«10 liegt, und wie der wahrhaft<br />

zauberhafte Lauf der Dinge auf den verblüffenden Überschuss<br />

der Wirkungen über die Handlungen angewiesen ist.11<br />

Und wird nicht ein weiterer, ein anderer Freiraum erobert, wenn<br />

sich in dem Film Der rechte Weg eine Wurzel am Himmel abzeichnet<br />

wie ein Blitz? Es sei, hören wir, ein Wurzelblitz, aus<br />

dem die Tiere entstehen. Und wie die Blitze im Lightning Field<br />

von Walter de Maria in der Weite New Mexicos, so misst auch<br />

die Wurzel den Abstand zwischen Himmel und Erde aus und<br />

7


6<br />

7<br />

8


8<br />

9<br />

6 Filmstill aus »Der geringste Widerstand«, 1980/81<br />

Kamera: Jürg V. Walther<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

7 Kanalreiniger, 1987<br />

Gummiabguss<br />

Kunsthaus Zürich<br />

Vereinigung Zürcher Kunstfreunde<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

8 Filmstill aus »Der Lauf der Dinge« 1986/87<br />

Kamera: Pio Corradi<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

10<br />

<strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong><br />

9 Gegenstände vom Floss, 1982<br />

Geschnitzte und bemalte Polyurethan-Objekte<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

10 Still aus Patrick Freys Video »Lauf der Dinge: In der Werkstatt«,<br />

1985/2006<br />

(aufgenommen während der Dreharbeiten zur Skizze zu<br />

»Der Lauf der Dinge«, 1985)<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

9


verbindet beide in einem Spannungsbogen. Ein Spannungsbogen<br />

ist auch der Wurzelblitz, und was aus ihm entsteht, ist geschaffen<br />

von einem Wurzelgeist, einer Geisteswurzel entsprossen.<br />

So haben auch Ratte und Bär, Stephan Zweifel hat es<br />

gezeigt, einen »Freiraum zwischen den Begriffen gefunden, zwischen<br />

den Gegensätzen« – und deshalb »tauchen sie ein in die<br />

Zone der Kindheit, ins Hochmoor der prägenitalen Freuden vor<br />

der sexuellen Differenz, die als Kluft alles trennt.« Wie »der Terror<br />

der Avantgarde« durch »die Subversion des Neutralen« abgelöst<br />

wird, schreibt Zweifel, so »erledigen Ratte und Bär ihren<br />

seltsamen ›Auftrag‹, uns neue Augen zu erwürfeln. Als Nomaden<br />

des Neutralen.«12<br />

Aber wo liegt das Reich des Schaums und der Freiheit? Und<br />

wie gelangt man dorthin? Wo ist der neutrale Boden zu finden,<br />

auf dem noch alles offen, nichts entschieden und festgelegt ist?<br />

Eines steht fest: Wer sich auf die Reise dorthin begibt, der<br />

braucht einen Gefährten. Denn allein würde er irre werden, an<br />

dem, was es dort zu sehen gibt – zwischen den Alternativen,<br />

mitten in der Indifferenz und der Fülle ihrer Sensationen. »Überleben«,<br />

stellt Stefan Zweifel fest, »kann der Idiot nur mit einem<br />

Gefährten: wie Dick und Doof, Don Quichotte und Sancho Pansa,<br />

Bouvard und Pécuchet, Ratte und Bär.« Oder, so ließe sich<br />

ergänzen, wie die aneinander geketteten metaphysischen<br />

Nomaden in den Theaterstücken und Romanen von Samuel<br />

Beckett, wie Gogo und Didi, Lucky und Pozzo, Ham und Clov,<br />

Mercier und Camier. Auch ihre Reise geht im Kreis, damit sie<br />

ankommen können in der Gegenwart, bei dem, was schon immer<br />

da war. »Da wären wir, sagte Mercier. Hier? sagte Camier.<br />

Es ist schnell gegangen, schließlich, sagte Mecier. Und deine<br />

Aussicht? sagte Camier. Mach deine Auge auf, sagte Mercier.<br />

Camier betrachtete prüfend die verschiedenen Horizonte. Dräng<br />

nicht so, sagte er, ich werde mir alles noch einmal anschauen.<br />

Von der Uferböschung aus sieht man besser, sagte Mercier.«13<br />

Müssen wir also nur lange genug gehen, zwischen den Gegensätzen<br />

hindurch, um eine bessere Übersicht zu gewinnen?<br />

Plötzlich und unverhofft. Plötzlich diese Übersicht heißt eines<br />

der bekanntesten Werke von <strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong>. Ratte und Bär<br />

haben es angekündigt. Wir erinnern uns: Die beiden waren bei<br />

ihrer Reise in die Kunst bei der Philosophie gelandet, dem Versuch,<br />

das Ganze zu erkennen. »Ein Genuss, diese Klarheit«,<br />

hatte der Bär gesagt. Und die Ratte hatte geantwortet: »Plötzlich<br />

diese Übersicht!«<br />

Die Welt als Modell<br />

Aber wie kann die Welt plötzlich klar und deutlich erscheinen?<br />

Verbirgt sich bei den Herren <strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong> am Ende doch<br />

so etwas wie Optimismus? Das würde uns dann doch wundern,<br />

selbst wenn der Optimismus sicher einer der ganz besonderen<br />

Art und nicht auf den ersten Blick zu entdecken wäre.<br />

10<br />

In der Welt als Modell und Exempel ist die Nahrung des Optimismus<br />

das Selbermachen. Alles noch einmal tun, alles noch<br />

einmal machen, so lautet das Rezept. Denn das Selbermachen<br />

ist eine nachgeholfene Schöpfung – wie ein nachgeholfenes<br />

Ready-made bei Marcel Duchamp. Das hieße hier freilich: Eine<br />

Übersicht gibt es nicht, es sei denn, wir stellen sie selbst her,<br />

wir machen sie, indem wir so tun, als ob es sie gäbe. Denn die<br />

Übersicht ist ja nicht Teil unserer alltäglichen Welt. Hier, im Alltag,<br />

mit all seinen Gewohnheiten, wo wir uns auszukennen glauben,<br />

stecken wir beständig zwischen den Dingen fest, schwanken<br />

zwischen allen möglichen Alternativen. Selbst wenn wir uns<br />

Mühe geben und uns anstrengen, alle erreichbaren Informationen<br />

auszuwerten und möglichst viele Konsequenzen abzuwägen,<br />

wir entscheiden doch immer auf der Grundlage einer begrenzten<br />

Einsicht. Niemals überblicken wir das Ganze. Niemals<br />

haben wir den Überblick und können alle Vorraussetzungen erkennen<br />

und alle Folgen abschätzen. Unser Tun ist immer riskant.<br />

Das nennen wir unser Leben unter den Konditionen der<br />

Moderne.<br />

Aber was tun <strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong>? Sie fangen einfach an. Irgendwo.<br />

Wie der Schöpfer kneten sie aus ungebranntem Ton eine<br />

Welt, voll Begeisterung, und angefüllt mit diesem und jenem:<br />

Mit Pythagoras, der zufrieden seinen Lehrsatz bestaunt, mit Dr.<br />

Hoffmann auf dem ersten LSD-Tripp, der mit seinem Hut auf<br />

seinem Fahrrad aussieht wie der Rad fahrende Alfred Jarry, mit<br />

Rumpelstilzchens Wutanfall und Ende, mit Galilei, der zwei<br />

Mönchen die Erde als Kugel präsentiert, mit einem Gefäß und<br />

einem schreienden Säugling, mit beliebten Gegensätzen wie gut<br />

und böse, lustig und blöd, echt und falsch, mit Phöniziern und<br />

dem gestiefelten Kater, mit Neuschwanstein und einem Schrottplatz,<br />

mit Minimum und Maximum, mit dem ersten Fisch, der<br />

beschließt, an Land zu gehen, mit einem Sturmgewehr und mit<br />

Mick Jagger und Brian Jones befriedigt auf dem Heimweg,<br />

nachdem sie I can get no satisfaction komponiert haben – und<br />

mit vielem anderen mehr. Bis es in diesem enzyklopädischen<br />

Sammelsurium alles nur Erdenkliche gibt, nur eines nicht: Übersicht.<br />

Denn je mehr Dinge und Szenen wir entdecken, desto mehr<br />

sind wir verstrickt ins Dickicht der Welt und all ihre Dinge und<br />

Geschichten. Eines aber haben wir dabei gelernt: das Staunen<br />

darüber, was es doch alles gibt. Wir genießen die einzelnen<br />

Szenen, doch was wir erkennen, ist immer nur ein Teil, immer<br />

nur ein Ausschnitt aus dem großen Ganzen. Und da fällt es uns<br />

plötzlich ein: Wir könnten doch immer so weitermachen, die<br />

Übersicht fortsetzen, mit anderen, neuen Szenen und Geschichten,<br />

bis die ganze Welt noch einmal da und die Übersicht erreicht<br />

wäre. Fast erreicht wäre, bliebe doch als letzte Szene jene<br />

übrig, in der wir unsere Modellübersicht erschaffen. Also


finge alles von vorne an und wir müssten alles noch einmal machen,<br />

bis wir abermals daran scheitern würden, dass unser Modell<br />

immer das ganze Universum enthalten müsste, was offenkundig<br />

unmöglich ist.<br />

Die Sache aber ist damit keineswegs verloren. Denn nun betrachten<br />

wir die Welt mit anderen Augen. Mit zufriedenen Kinderaugen.<br />

Denn Kinder brauchen keine Übersicht. Sie schlüpfen<br />

in Kostüme und sind Ratte und Bär, sie bauen aus Wurst eine<br />

Welt, auch wenn die Erwachsenen sagen, mit Essen spielt man<br />

nicht. Für ihre Augen ist das Kleine plötzlich groß und das Große<br />

mit einem Mal klein. Staunend schaffen sie sich eine eigene<br />

Welt, und staunend begreifen sie die Welt. Und so lernen auch<br />

wir, die wir mit unseren Modellen immer zu spät kommen, wieder<br />

verstehen, wie reich und übervoll an Sinn unsere Welt ist. So<br />

reich, dass sie nicht zu übersehen und schon gar nicht zu<br />

überblicken ist.<br />

Anleitung zum Staunen<br />

Ist das der Freiraum der Kunst, den wir gesucht haben? Ein<br />

Raum, in dem wir das Staunen wieder lernen können? Mitten in<br />

der Welt mit all ihren Ablenkungen und Reizen, und doch jenseits<br />

von ihr, in Modell und Experiment? Vielleicht ist es ja hier<br />

zu finden, das Einmalige der heiter-katastrophischen Kunst von<br />

<strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong>, in jenen Gegenden, in denen nicht die Effizienz,<br />

sondern das Subtile regiert. Dort, wo nichts mehr demonstriert<br />

werden muss, sondern wo es genügt, wenn etwas<br />

anklingt, wenn die Fülle des Lebens aufscheint – und die Dinge<br />

sich frei fühlen.<br />

Wo die klebrige Allgegenwart der Nachrichten dafür gesorgt hat,<br />

dass zahllose Menschen die vormals weite Welt wie eine<br />

schmutzige kleine Kugel erleben14, machen <strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong><br />

den Blick wieder frei und weit, indem sie eine kleine, überschaubare<br />

Welt schaffen, die ist wie einen Garten mit all seinen stillen,<br />

alltäglichen Sensationen. Hier hat alles seinen Raum, auch wenn<br />

dieser klein ist und im Abseits liegt wie jener unter der Treppe im<br />

Frankfurter Museum für Moderne Kunst, der aussieht wie eine<br />

verlassene Werkstatt mit Ausguss, Telefon und Aschenbecher.<br />

Erst in einem solchen Residuum können die Dinge als ihre eigenen<br />

Doubles einfach da sein. Aller Dienlichkeit und allem Zuhandensein<br />

entbunden, blühen sie auf in ihrer Präsenz und eigentümlichen<br />

Poesie.<br />

<strong>Fischli</strong> und <strong>Weiss</strong> haben all das hinweggefegt, was auf einen Stil<br />

hinweisen könnte. Sie haben akkumuliert, überrascht und enttäuscht,<br />

die Dinge beschleunigt und verlangsamt, um in der modellhaften<br />

Rückkehr ins Verkörperbare15 den Widerspruch des<br />

Lebendigen zu stärken. Nicht weil sie gerade hip ist oder Erfolge<br />

auf Messen und bei Auktionen feiert, ist die aktuelle Kunst wichtig,<br />

sondern weil sie Widerstand leistet gegen den geringsten<br />

Widerstand. Kann man Ehrenvolleres von zwei Künstlern sagen<br />

<strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong><br />

als dies: Sie haben den Freiraum der Kunst vergrößert. Das aber<br />

heißt nichts anderes als: Plötzlich diese Einsicht!<br />

Anmerkungen<br />

1 <strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong> Der geringste Widerstand, zitiert<br />

nach: Patrick Frey Der geringste Widerstand in:<br />

ders., Das Geheimnis der Arbeit, Texte zum<br />

Werk von Peter <strong>Fischli</strong> und David <strong>Weiss</strong>, München,<br />

Düsseldorf 1990, S. 16/17 und DVD, T&C<br />

Edition, Zürich.<br />

2 <strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong>, zitiert nach: Renate Goldmann,<br />

Peter <strong>Fischli</strong>, David <strong>Weiss</strong>, Ausflüge, Arbeiten,<br />

Ausstellungen. Ein offener Index, Köln 2006,<br />

S. 11.<br />

3 Peter <strong>Fischli</strong>, David <strong>Weiss</strong> Findet mich das<br />

Glück?, Köln o.J.<br />

4 zitiert nach: Klaus Ferentschik Pataphysik, Versuchung<br />

des Geistes, Berlin 2006, S. 77.<br />

5 Peter Sloterdijk Sphären III, Frankfurt am Main,<br />

2004, S. 27.<br />

6 a.a.O., S. 26.<br />

7 a.a,O., S. 29.<br />

8 a.a.O., S. 28.<br />

9 Boris Groys, Geschwindigkeit der Kunst, in: Bice<br />

Curiger, Patrick Frey, Boris Groys, Peter <strong>Fischli</strong>.<br />

David <strong>Weiss</strong>, XLVI Biennale di Venezia 1995,<br />

S. 26/27.<br />

10 Sloterdijk Sphären III, S. 398.<br />

11 vgl. ibid.<br />

12 Stefan Zweifel Summsummm – Dummdumm,<br />

Ratte und Bär in: Der geringste Widerstand<br />

(1981), Der rechte Weg (1983), Salz und Pfeffer<br />

(1980), Ordnung und Reinlichkeit (1981), in:<br />

ders., Ausstellungskatalog Tate Modern, London<br />

2006.<br />

13 Samuel Beckett Mercier und Camier, Frankfurt<br />

am Main, S. 187.<br />

14 vgl. Peter Sloterdijk Sphären I - II, Frankfurt am<br />

Main, 1999 und 2004.<br />

15 vgl. Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals,<br />

Frankfurt am Main 2005, Kapitel 40. Das<br />

Unkomprimierbare oder Die Wiederentdeckung<br />

des Ausgedehnten, S. 391 ff..<br />

Fotonachweis<br />

Für die Bereitschaft, uns das Abbildungsmaterial<br />

zur Verfügung zu stellen, bedanken wir uns bei<br />

Peter <strong>Fischli</strong> und David <strong>Weiss</strong>, beim Kunsthaus<br />

Zürich, bei der Galerie Eva Presenhuber in Zürich<br />

und der Galerie Sprüth Magers in Köln/München/<br />

London.<br />

Thomas Wagner, geboren 1955<br />

in Mannheim. Studium der Germanistik<br />

und Philosophie in Heidelberg<br />

und Brighton (Sussex).<br />

Seit 1979 als freier Journalist<br />

tätig. Seit 1991 Redakteur für Bildende<br />

Kunst im Feuilleton der<br />

»Frankfurter Allgemeinen <strong>Zeit</strong>ung«,<br />

seit 1999 auch zuständig<br />

für Design. Von 1995 bis 1997<br />

Gastprofessor für Kunstwissenschaft<br />

an der Akademie der Bildenden<br />

Künste Nürnberg. Im<br />

Sommersemester 1998 Vertretung<br />

einer Professur für Kunstgeschichte<br />

an der Akademie der Bildenden<br />

Künste in München. Seit<br />

1999 Honorarprofessor für Kunstkritik<br />

und Kunstwissenschaft an<br />

der Akademie der Bildenden Künste<br />

Nürnberg. 2006 ist im Verlag<br />

Hatje Cantz unter dem Titel<br />

Freihändig – Wahrnehmungen der<br />

Kunst ein Band mit ausgewählten<br />

Texten zu Künstlern und Ausstellungen<br />

erschienen.<br />

11


11<br />

12<br />

13<br />

12


14<br />

11 Ohne Titel, aus der Serie »Tate«, 1992-2000<br />

Stillleben im Atelier<br />

Geschnitzte und bemalte Polyurethan-Objekte<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

12 Siedlungen, Agglomeration, 1993<br />

Fotografie<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

13 Surrli, 1989<br />

Dia-Projektion<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

14 In den Bergen, 1979<br />

Fotografie<br />

Kunsthaus Zürich<br />

Vereinigung Zürcher Kunstfreunde<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

15 Natürliche Grazie (Equilibre), 1984<br />

Fotografie<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

15<br />

<strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong><br />

13


17 Fragen, 1981-2003<br />

Dia-Projektion, gross<br />

Installationsansicht, Biennale Venedig, 2003<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

Fragen<br />

Bei der Installation Fragen aus dem Jahr 2002-2003 werden im verdunkelten Raum von 15 Projektoren 1215 Dias projiziert. Die wellig<br />

geschnittenen, mehrsprachigen Fragen überschneiden sich teils an den Wänden. Im Katalogbuch der <strong>Fischli</strong> / <strong>Weiss</strong>-Retrospektive<br />

(London, Paris, Zürich, 2006/2007, S.53 ff) versucht Francesco Bonami, auf die Künstler-Fragen entsprechende Antworten zu geben<br />

(»Des Gärtners Fragestunde. Kleine Antworten, grosse Fragen«).<br />

Findet mich das Glück?<br />

Warum ist alles so weit weg?<br />

Warum dreht sich die Erde einmal pro Tag?<br />

Was denkt mein Hund?<br />

Wer bezahlt mein Bier?<br />

Wie heisst dieser Wald?<br />

Wo ist mein Bett?<br />

Ist dieser braune Knollen essbar?<br />

Soll ich ein Loch graben?<br />

Sind Tiere Menschen?<br />

Fährt noch ein Bus?<br />

Wann kommt das Geld?<br />

Warum ruft sie nicht an?<br />

Wer regiert die Stadt?<br />

Was geschah vor 4,56 Milliarden Jahren?<br />

Wie lang ist der Nil?<br />

Was macht 42 x 87?<br />

Wem nützt der Mond?<br />

Ist mein Dasein erfüllt mit Heiterkeit?<br />

Soll ich mich betrinken? Noch ein Gläschen?<br />

Darf man beim Musikhören die Augen schliessen und farbige<br />

Bilder sehen?<br />

Muss ich mir den Kosmos wie Schaum vorstellen?<br />

14<br />

Geht man beim Einschlafen durch eine Wand?<br />

War ich ein gutes Kind?<br />

Schlummert in der Familie ein letzter Rest von<br />

Landwirtschaft?<br />

Wer knuspert an meinem Häuschen?<br />

Bin ich zu fein um zu arbeiten?<br />

Ist die Erde eine Mutter?<br />

Liegt meine Seele auf Stroh?<br />

Ist mein Körper eine Herberge?<br />

Soll ich mir ein Süppchen kochen?<br />

Findet mich das Glück?<br />

War es falsch, von zuhause wegzulaufen?<br />

Bin ich ein Esel?<br />

Führt ein unterirdischer Gang direkt in die Küche?<br />

Soll ich meine Mutter heiraten?<br />

Bin ich mein Auto?<br />

Ist mein Hirn eine armselig eingerichtete Wohnung?<br />

Warum falle ich nachts immer aus dem Bett?<br />

Wandern die Seelen?<br />

Soll ich im Wald als Räuber leben?<br />

Bellt der Hund die ganze Nacht?<br />

Ist alles halb so schlimm?<br />

Wäre ich ein guter Polizist?


Ist Hunger ein Gefühl?<br />

Bin ich musikalisch heimatlos?<br />

Soll ich der Welt gegenüber mehr Interesse zeigen?<br />

Dove sono i bambini?<br />

Warum ist es plötzlich so still?<br />

Überholen uns die Insekten?<br />

Warum klebe ich am Boden?<br />

Wohin steuert die Galaxis?<br />

Wem gehört Paris?<br />

Ist der Teufel eine fröhliche Person?<br />

Kennt mich mein Auto?<br />

Soll ich mein Schwein schlachten?<br />

Wo werde ich heute landen?<br />

Kann man mich mit Musik beruhigen?<br />

Ist alles was ich schon vergessen habe so gross wie ein Haus?<br />

Soll ich mich der Forschung zur Verfügung stellen?<br />

<strong>Weiss</strong> ich fast alles über mich?<br />

Verbummle ich mein Leben?<br />

Ist mein Unwissen eine geräumige Höhle?<br />

Wie wirke ich?<br />

Kommen Meinungen von selbst?<br />

Liebt man mich?<br />

Warum lässt man mich nicht in Ruhe?<br />

Gibt es die Welt auch ohne mich?<br />

Soll ich in Lumpen gehen?<br />

Bin ich auserwählt?<br />

Warum gibt es schlechte Menschen?<br />

Hätte aus mir etwas anderes werden können?<br />

Künstler<br />

Kritisches Lexikon der<br />

Gegenwartskunst<br />

erscheint viermal jährlich mit insgesamt<br />

28 Künstlermonografien auf über 500 Text- und<br />

Bild-Seiten und kostet im Jahresabonnement<br />

einschl. Sammelordner und Schuber € 148,–,<br />

im Ausland € 158,–, frei Haus.<br />

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›Künstler‹ erscheint in der<br />

<strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs GmbH & Co. KG<br />

Gründungsherausgeber<br />

Dr. Detlef Bluemler<br />

Prof. Lothar Romain †<br />

Redaktion<br />

Hans-Joachim Müller<br />

Dokumentation<br />

Andreas Gröner<br />

Geschäftsführer<br />

Dr. Rainer Esser<br />

Verlagsleiter<br />

Boris Alexander Kühnle<br />

Lebt die Freiheit?<br />

Ist Widerstand zwecklos?<br />

Bin ich ein Sonderling?<br />

Sind Moden eine Plage?<br />

<strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong><br />

Kann man alles falsch machen?<br />

Soll ich mich gehen lassen?<br />

Warum sind plötzlich alle so nett?<br />

Warum geschieht nie nichts?<br />

Können mich Gespenster sehen?<br />

War ich noch nie ganz wach?<br />

Kann man Müdigkeit nur mit Schlaf bekämpfen?<br />

Bin ich gefangen in einem Geflecht?<br />

Werde ich von einer Hexe geritten?<br />

Soll ich Opium rauchen?<br />

Sieht man nachts am Fernseher die dunkle Seite der Welt?<br />

Warum braucht die Erde für um die Sonne genau ein Jahr?<br />

Soll ich mit meinem Raumschiff fremde Galaxien besuchen?<br />

Muss ich mir den Tod vorstellen wie eine Landschaft mit<br />

einem Haus, in das man hineingehen kann und wo ein Bett<br />

steht, in dem man schlafen kann?<br />

Soll ich im Wald eine Hütte bauen und dort allein und in Armut<br />

leben?<br />

Wessen Müdigkeit spüre ich?<br />

Ist es wichtiger, dass es der Welt gut geht oder mir?<br />

Was im Hund geniesst, an der Sonne zu liegen?<br />

Herrscht tiefer Friede in meiner Wohnung, wenn ich nicht da bin?<br />

Macht 2x2 wahrscheinlich 4?<br />

Soll ich die Wirklichkeit in Ruhe lassen?<br />

Verlieren wir die Kontrolle?<br />

Grafik<br />

Michael Müller<br />

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© <strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs GmbH & Co. KG,<br />

München 2007<br />

ISSN 0934-1730<br />

15


<strong>Fischli</strong>/<strong>Weiss</strong><br />

16 Modeschau (Die Wurstserie), 1979<br />

Fotografie<br />

© 2007 Peter <strong>Fischli</strong> / David <strong>Weiss</strong><br />

16

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