Wer macht, macht Macht? Der Präsident, die UdK und wir - eigenart
Wer macht, macht Macht? Der Präsident, die UdK und wir - eigenart
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Die Enquete-Kommission vollzog eine<br />
Bestandsaufnahme des Kunst- <strong>und</strong> Kultursektors in<br />
Deutschland <strong>und</strong> veröffentlichte am 11. Dezember 2007<br />
ihren Bericht. Das darin verwendete Künstlerverständnis<br />
entspricht dem theoretischen Konzept von Prof. Dr.<br />
Wolfgang Ruppert. Die <strong>eigenart</strong> interviewte Prof.<br />
Ruppert zu <strong>die</strong>sem Konzept, sowie zum „Scheitern“ in<br />
<strong>und</strong> mit der Kunst.<br />
Unsere aktuelle <strong>eigenart</strong>-Ausgabe thematisiert<br />
<strong>die</strong> „Kunst des Scheiterns“. Das Scheitern kann bei<br />
Künstlern als eine bestimmte Geste wahrgenommen<br />
werden. Was bedeutet es in Ihren Augen?<br />
Das Scheitern ist nicht nur eine bestimmte Geste<br />
bei Künstlern, sondern traurige Realität. Man geht<br />
davon aus, dass sich lediglich drei bis fünf Prozent der<br />
Absolventen von Kunsthochschulen aus dem Bereich<br />
der „freien“ Kunst mit ihrer Kunst finanzieren können.<br />
Alle anderen müssen Jobs annehmen, um in Form<br />
einer Randexistenz ihr Leben <strong>und</strong> weiteres Schaffen<br />
finanzieren zu können. Das Scheitern bezieht sich<br />
auf einen Misserfolg in den institutionellen Ebenen<br />
des Kunstbetriebs, den Ausstellungsinstitutionen, der<br />
Kunstkritik <strong>und</strong> dem Kunstmarkt, in dem der Verkauf der<br />
eigenen <strong>Wer</strong>ke auch über <strong>die</strong> Anerkennung entscheidet.<br />
Die Enquete-Kommission hat Ihr theoretisches Konzept<br />
zur Beschreibung <strong>und</strong> Erklärung des „Künstlers“<br />
übernommen. Wie sieht der moderne Künstler in Ihrem<br />
Konzept aus?<br />
Die Institutionen des Kunstbetriebs sind als normative<br />
Me<strong>die</strong>n zu verstehen, in <strong>die</strong> man reinkommen muss, um<br />
längerfristig als Künstler zu bestehen. Wenn man <strong>die</strong>sen<br />
Sprung geschafft hat <strong>und</strong> mit der eigenen Kunst Geld<br />
ver<strong>die</strong>nen kann, <strong>wir</strong>d man als erwerbstätiger Künstler<br />
in den Statistiken geführt. Den modernen Künstler<br />
zeichnet aus, dass er zum eigenschöpferischen Ausdruck<br />
befähigt ist. Das war ja nicht immer so, sondern ganz<br />
im Gegensatz dazu konnte <strong>die</strong> Arbeit des Künstlers bis<br />
Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts auch in der Imitation von<br />
anderen Kunstwerken bestehen. Doch beim modernen<br />
Künstler geht es um das, was ich als Kompetenz zum<br />
eigenschöpferischen Ausdruck bezeichnet habe, also<br />
nicht um ein Wiederholen von Vorhandenem, sondern<br />
um <strong>die</strong> Originalität des <strong>Wer</strong>kes. Das Künstlerindividuum<br />
<strong>wir</strong>d zum zentralen Repräsentanten der schöpferischen<br />
Individualität.<br />
Die Kommission empfiehlt, <strong>die</strong> Förderung von Kunst <strong>und</strong><br />
Kultur im Gr<strong>und</strong>gesetz zu verankern. Finden Sie eine<br />
staatliche Unterstützung sinnvoll?<br />
Eine staatliche Förderung eröffnet dem Künstler<br />
<strong>die</strong> Möglichkeit, sich ästhetisch, unabhängig vom<br />
marktgängigen Geschmack, zu individualisieren.<br />
Mehr Van Goghs fördern<br />
Das Konzept des<br />
Künstlers im<br />
Enquete-Bericht<br />
zur „Kultur in<br />
Deutschland“<br />
// Interview <strong>und</strong> Foto: Anna Grieben<br />
In Deutschland gibt es im Gegensatz zu den USA<br />
traditionell eine gute Gr<strong>und</strong>finanzierung. Insbesondere<br />
seit dem 20. Jahrh<strong>und</strong>ert gibt es staatliche Mittel mit<br />
dem Ziel, <strong>die</strong> Arbeit an Kunst möglich zu machen.<br />
Vor allem ist es wichtig, denjenigen Künstler, der<br />
unkonventionell <strong>und</strong> kritisch arbeitet, zu fördern.<br />
<strong>Der</strong> staatlich finanzierte Rahmen muss in erster Linie<br />
<strong>die</strong>sem Zweck <strong>die</strong>nen, um <strong>die</strong> Unabhängigkeit vom<br />
Zeitgeist <strong>und</strong> vom Markt zu stärken.<br />
In der Diskussion um öffentliche <strong>und</strong> private Förderung<br />
scheint es, dass private Kunstsammler künftig den<br />
Markt stark mitbestimmen. Bleibt es dabei?<br />
Den selbstlosen Kunstsammler als eine allgemeinere<br />
Erscheinung kann man als Mythos ansehen. Er schaut<br />
nicht nach dem eigenschöpferisch Neuen, sondern<br />
nach dem, was finanziell attraktiv ist. Er ist nicht<br />
unbedingt ein „Liebhaber“ der Kunst im idealistischen<br />
Sinn. Seine Kaufentscheidung kann von den jeweiligen<br />
Trends <strong>und</strong> Moden abhängen, <strong>die</strong> auch seinen<br />
Geschmack beeinflussen. Daher ist es notwendig,<br />
einen staatlich finanzierten Rahmen von Kunst- <strong>und</strong><br />
Kulturprogrammen zu finden, um innerhalb <strong>die</strong>ses<br />
Rahmens eine bestimmte Pluralität künstlerischer<br />
Arbeitsrichtungen zu garantieren. Ich bin für <strong>die</strong><br />
Künstler, <strong>die</strong> „gegen den Strom schwimmen“, <strong>die</strong><br />
der konventionellen Auffassung widersprechen, <strong>die</strong><br />
unbequem sind.<br />
Gibt es einen Künstler, der in Ihren Augen gescheitert<br />
ist?<br />
Selbstverständlich gibt es viele Künstler, <strong>die</strong> man als<br />
gescheitert – auch an sich selbst – betrachten kann.<br />
Doch liegt es oftmals nicht an dem Künstler selbst,<br />
sondern daran, dass zu dem Zeitpunkt, in dem er<br />
etwas Wichtiges, etwas Innovatives <strong>macht</strong>, <strong>die</strong>ses von<br />
den Zeitgenossen nicht wahrgenommen, erkannt <strong>und</strong><br />
entschlüsselt <strong>wir</strong>d. Ein bekanntes Beispiel ist Van Gogh.<br />
Die Förderung der ästhetischen Darstellungen, der<br />
variierenden Wahrnehmungen <strong>und</strong> unterschiedlichen<br />
Erfahrungen der menschlichen Existenz muss durch eine<br />
demokratische Kultur in ihren Widersprüchlichkeiten<br />
gewährleistet werden.<br />
Prof. Dr. Wolfgang Ruppert lehrt seit 1988<br />
Kulturgeschichte an der <strong>UdK</strong> Berlin. Das für den im<br />
Enquete-Bericht verwendete Konzept des Künstlers<br />
geht auf sein zentrales <strong>Wer</strong>k <strong>Der</strong> moderne Künstler.<br />
Zur Sozial- <strong>und</strong> Kulturgeschichte der kreativen<br />
Individualität in der kulturellen Moderne im 19. <strong>und</strong><br />
frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, Frankfurt 2000<br />
9 | HAUPTSACHE