ARCHIVNACHRICHTEN - Landesarchiv Baden Württemberg
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Begegnungen mit der höfischen Musik<br />
Herzog Friedrich I. von <strong>Württemberg</strong> und seine Reiseberichte<br />
Höfische Musik wird in den archivalischen<br />
Zeugnissen des deutschen Südwestens<br />
erst seit der frühen Neuzeit breiter<br />
dokumentiert. Dabei geht es zunächst<br />
vor allem um die höfische Verwaltung,<br />
die natürlich auch die jeweilige Hofkapelle<br />
und das Musikwesen umfasste. Als<br />
besondere Quellengruppe zur Musikgeschichte<br />
treten dann ab dem späten<br />
16. Jahrhundert Reiseberichte hervor, die<br />
meist Unternehmungen hochrangiger<br />
Persönlichkeiten darstellen. Im Besonderen<br />
sind es adlige Herrschaften, Fürsten<br />
und andere Regenten, die nun ihre Reiseerfahrungen<br />
festhalten lassen und damit<br />
auch ein spezielles Stück höfischer<br />
Repräsentation entfalten.<br />
Im Herzogtum <strong>Württemberg</strong> ist es insbesondere<br />
Herzog Friedrich I. (1557–<br />
1608), den seine weiten Reisen an die<br />
prunkvollsten und vornehmsten Höfe<br />
Europas führten: Neugier und Aufgeschlossenheit<br />
für die Erfahrung des<br />
Fremden, Interesse vor allem für die höfische<br />
Welt des hohen Adels führten ihn<br />
zunächst bis nach Dänemark, Böhmen<br />
und Ungarn, dann über die Niederlande<br />
nach England und schließlich über die<br />
Alpen nach Italien bis Rom. Seine Reiseerlebnisse<br />
ließ er im Druck publizieren<br />
und persönlich verbreiten. Aus diesen<br />
Reiseberichten ragen die Begegnungen<br />
mit der höfischen Musik heraus, die den<br />
Fürsten und manche seiner Begleiter<br />
als große Verehrer und Kenner der zeitgenössischen<br />
Musikszene ausweisen.<br />
Archivnachrichten 39 / 2009<br />
Bereits für seine erste weite Reise, die den<br />
jungen Friedrich – damals noch als Graf<br />
von Mömpelgard/Montbéliard – im Jahr<br />
1580 auf Brautschau nach Böhmen,<br />
Dänemark und Ungarn führte, spielte die<br />
Musik eine zentrale Rolle, etwa bei Besuchen<br />
in Eger/Cheb oder Breslau/Wrocław.<br />
Während die Informationen zum musikalischen<br />
Programm und zur Instrumentierung<br />
hier nur dürftig fließen, bietet<br />
schon seine nächste große Reise nach England<br />
1592 weit dichtere, detaillierte Beschreibungen.<br />
Von Friedrichs Kammersekretär<br />
Jakob Rathgeb verfasst und unter<br />
dem Titel <strong>Baden</strong>fahrt gedruckt – man<br />
war bei einem Schiffbruch im Ärmelkanal<br />
tatsächlich „baden gegangen“ –, wird hier<br />
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nicht nur die besondere „anglikanische“<br />
Kirchenmusik vorgestellt, sondern sogar<br />
die englische Königin Elisabeth I. beim<br />
Lautenspiel bewundernd beschrieben.<br />
Am bekanntesten ist Friedrichs Reise<br />
nach Italien geworden, die er 1599/1600 –<br />
mittlerweile als regierender Herzog von<br />
<strong>Württemberg</strong> – gemeinsam mit seinem<br />
Baumeister Heinrich Schickhardt unternahm,<br />
der auch den Reisebericht vorlegte.<br />
Daneben gehörte sein Organist Wolf<br />
Gans zur Reisegesellschaft, der sicher besonders<br />
an der neuen vielstimmigen italienischen<br />
Kirchenmusik interessiert war.<br />
Als Gast am Hof Vincenzos I. Gonzaga<br />
in Mantua/Mantova begeisterte den Grafen<br />
die großartige Vokal- und Instrumentalmusik<br />
dort sehr; damals war gerade<br />
der berühmte Komponist Claudio Mon-<br />
teverdi in den Dienst der Gonzaga getreten.<br />
Auch beim Abschied aus Venedig/<br />
Venezia kommt Friedrichs Verehrung für<br />
die italienische Musik zum Ausdruck:<br />
Hier überreichte er dem Venedischen<br />
Componisten Giovanni Gabrieli zur anerkennenden<br />
Bewunderung sein in Gold<br />
gefasstes Porträt – der damalige Organist<br />
am Markusdom gilt heute als einer der<br />
Begründer des sogenannten „Konzertanten<br />
Stils“.<br />
Friedrichs Begegnungen mit der höfischen<br />
Musik, mit Komponisten, Künstlern<br />
und Musikern in Italien, England<br />
und anderen europäischen Ländern<br />
haben nicht nur Niederschlag in seinen<br />
Reiseberichten gefunden, sondern sollten<br />
auch zur weiteren Rezeption anregen:<br />
Im Herzogtum <strong>Württemberg</strong> und darüber<br />
hinaus wird bald ein musikalischer<br />
Kulturtransfer deutlich. Zentraler Ort<br />
dafür war zunächst der Herzogshof in<br />
Stuttgart, wo Friedrich unter anderem mit<br />
Gioseffo Biffi einen italienischen Komponisten<br />
beschäftigte und sich sogar einen<br />
Musiktisch mit dessen Kompositionen<br />
bestellte. Die Reiseberichte des Herzogs<br />
lassen die historischen Kontexte der kulturellen<br />
Kontakte und musikalischen<br />
Anregungen in der höfischen Welt um<br />
1600 beispielhaft und in bislang kaum<br />
bekannten Dimensionen beleuchten,<br />
ebenso wie seine persönlichen leidenschaftlichen<br />
Begegnungen mit der Musik.<br />
Peter Rückert<br />
1 | Porträt Herzog Friedrichs I. von <strong>Württemberg</strong><br />
von Jacob ab Heyden, um 1600.<br />
Vorlage: William Brenchley Rye, England as Seen by<br />
Foreigners in the Days of Elizabeth and James the<br />
First, 1865<br />
2 | Titel des Berichts über die „<strong>Baden</strong>fahrt“, die<br />
Reise Herzog Friedrichs I. von <strong>Württemberg</strong> 1592<br />
nach England, 1602.<br />
Vorlage: <strong>Landesarchiv</strong> HStAS