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sowieso! - Rudolf Liedl Psychotherapie

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Selbstbeherrschung ohne Verlust des Selbstgefühls entsteht ein dauerndes Gefühl von Autonomie<br />

und Stolz; aus einer Empfindung muskulären und analen Unvermögens, aus dem Verlust<br />

der Selbstkontrolle und dem übermäßigen Eingreifen der Eltern entsteht ein dauerndes<br />

Gefühl von Zweifel und Scham«.<br />

INITIATIVE GEGEN SCHULDGEFÜHL<br />

Kennzeichnend für diese Stufe ist ein neues und gefestigtes Ich-Bewusstsein. Das Kind muss<br />

nun »herausfinden, was für eine Art von Person es werden will«. Antwortmöglichkeiten liegen<br />

zunächst in der Identifikation mit den Eltern (so werden wie der Vater oder die Mutter), später<br />

auch mit anderen Erwachsenen (Feuerwehrmännern, Polizisten, Gärtnern, Lehrern usw.). In<br />

diese Zeit der Suche nach Identifikationen fällt nach Erikson dann auch der ödipale Konflikt,<br />

wie er von S. Freud beschrieben wurde: Die Rivalität mit dem Vater oder der Mutter sowie das<br />

Schuldgefühl, das sich daraus ergibt. Das Gewissen bzw. das Über-Ich, das sich ebenfalls in<br />

dieser Zeit bildet, ist für Erikson (wie für Freud) eng mit den ödipalen Schuldgefühlen verbunden,<br />

geht aber darüber hinaus: Das Gewissen bedeute auch eine »große Errungenschaft«,<br />

weil Verantwortlichkeit nun nicht mehr - wie bei der zweiten Entwicklungsstufe - vom beschämenden<br />

Blick anderer, sondern von einem selbst abhängt. Das Kind beginnt, »sich automatisch<br />

für bloße Gedanken und für Taten schuldig zu fühlen, die niemand gesehen hat. Dies ist<br />

der Grundstein für die Moralität im individuellen Sinne«. Allerdings weist Erikson nachdrücklich<br />

daraufhin, dass diese Selbstkontrolle und Selbstbeschuldigung auch eine erhebliche Gefahr<br />

für die gesunde Entwicklung darstellen kann.<br />

WERKSINN GEGEN MINDERWERTIGKEITSGEFÜHL<br />

Als »Werksinn« bezeichnet Erikson das Gefühl, »auch nützlich zu sein, etwas machen zu<br />

können und es sogar gut und vollkommen zu machen«. Dieses Gefühl gewinne etwa zu Beginn<br />

des Grundschulalters an Bedeutung. Ob sich ein solches Gefühl einstellen kann oder<br />

statt dessen das Minderwertigkeitsgefühl, das hänge vor allem von den Möglichkeiten ab, die<br />

die Umwelt für das Tun des Kindes bietet. Das Angebot muss über das rein Spielerische hinausgehen,<br />

darf aber nicht nur Arbeit im Sinne der Erwachsenentätigkeit sein. Es muss das<br />

Kind ernsthaft fordern, darf es aber nicht ständig scheitern lassen. - Insgesamt ist diese Stufe<br />

bei Erikson am wenigsten plastisch beschrieben. Zwar geht Erikson mit der Beschreibung des<br />

Werksinns über die von Freud für diese Zeit beschriebene »Latenz« der Triebe hinaus, aber<br />

es ist doch deutlich, dass die psychoanalytische Theorie über das Grundschulalter erheblich<br />

weniger zu sagen weiß als über die frühe Kindheit.<br />

IDENTITÄT GEGEN IDENTITÄTSKONFUSION<br />

Dieser Stufe hat Erikson bei weitem die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Sie hat zwei seiner<br />

Bücher den Titel gegeben: »Identität und Lebenszyklus« und »Identität - Jugend und Krise«.<br />

Eine klare Definition von »Identität« jedoch hat Erikson nie gegeben. Am deutlichsten ist<br />

vielleicht noch der folgende Definitionsversuch, der in Lehrbüchern häufig zitiert wird: »Der<br />

Begriff „Identität“ drückt also insofern eine wechselseitige Beziehung aus, als er sowohl ein<br />

dauerndes inneres Sich-Selbst-Gleichsein wie ein dauerndes Teilhaben an bestimmten gruppenspezifischen<br />

Charakterzügen umfasst«.<br />

Mit dieser Formulierung bringt Erikson zum Ausdruck, dass »Identität« für ihn sowohl einen<br />

inneren (psychischen) wie einen äußeren (sozialen) Aspekt einschließt. Das wird noch deutlicher<br />

an der Unterscheidung zwischen »persönlicher Identität« und »Ich-Identität«: »Das bewusste<br />

Gefühl, eine persönliche Identität zu besitzen, beruht auf zwei gleichzeitigen Beobachtungen:<br />

der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit,<br />

und der damit verbundenen Wahrnehmung, dass auch andere diese Gleichheit und Kontinuität<br />

erkennen. Was wir hier Ich-Identität nennen wollen, meint also mehr als die bloße Tatsache<br />

des Existierens, vermittelt durch persönliche Identität; es ist die Ich-Qualität dieser Existenz«.<br />

Die »Ich-Identität« stellt demnach eine Integrationsleistung des Ich dar.<br />

Wichtig ist nun, diese Integrationsleistung nicht nur - wie es leider allzu häufig geschieht - als<br />

Antwort auf die Frage: »Wer bin ich?« zu verstehen. Ein solches Identitätsverständnis geht an<br />

den unbewussten Aspekten vorbei, die an der Identitätsbildung stets beteiligt sind.<br />

Für die Identitätsbildung kommt es nach Erikson auf eine Neubewertung und Umformung der<br />

in der Kindheit vollzogenen Identifikationen an: Die in der Adoleszenz entstehende Identität<br />

sei allen früheren Identifikationen (mit Eltern, Lehrern usw.) übergeordnet. Sie schließe diese<br />

Identifikationen ein, verändere sie aber und mache daraus ein neues zusammenhängendes<br />

Ganzes. So gesehen schließt die Identitätsbildung die kindliche Entwicklung ab und eröffnet<br />

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