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Im Fokus<br />
Politik und Kunst sind zwei Paar Schuhe<br />
Regionaler Digitalismus und Globaler Digitalismus.<br />
Ex Libris<br />
Medium Bücher<br />
200 Mal Neuauflegen, 1991<br />
Künstler der Ruine entwarfen<br />
neue Buchcover:<br />
LaMonte Young, Michael Snow,<br />
Milan Knizak<br />
Juris Boiko, Max Neuhaus,<br />
Bernhard Leitner<br />
Geoff Hendricks, Kurt Buchwald,<br />
<strong>Wolf</strong> <strong>Kahlen</strong><br />
(jeweils v. l. n. r.)<br />
112<br />
Politik und Kunst sind diametral, von vereinbar keine Spur, sehen wir davon<br />
ab, wenn Kunst versucht politische, oder umgekehrt Politik versucht, künstlerische<br />
Inhalte zu vereinnahmen und zu transportieren. Sprechen wir nicht<br />
über diesen Dilettantismus.<br />
Politik ›zielt‹, Kunst ist ›schon hingestellt präsent‹.<br />
Präsenz ist sinnlich stärker, weil nichts einfordernd, ein ›starkes‹ Zielen. Jede<br />
der beiden wirkt auf anderen, ihren speziellen Ebenen.<br />
Das Auf-mich-Zielen oder auf Mehrheiten ist Machtausübung.<br />
Das weiß der Politiker genau.<br />
Das präsente Da-Sein der Kunst ist Ohn-Macht. Ein Ohne-Macht-Auskommen,<br />
nicht Hilflosigkeit. Die weder den Künstler noch seine Kunst schwächt.<br />
Im Gegenteil: Sie präsentiert wie die Natur sich präsentiert.<br />
Sie ist da und gleichzeitig nicht da. Ein faires Angebot.<br />
(Es ist eher dem Nicht-Tun des Zen, dem wu wei oder Gandhi<br />
oder dem Buddha näher als den Feldzügen Friedrichs des ›Grossen‹ (Kleinen).<br />
Auch kleine Künstler sind in Gefahr mit Macht zu spielen.)<br />
Regionaler/Globaler Digitalismus<br />
Wir sind die Moderne der Moderne der Moderne ...<br />
Kunstgeschichtlich gesehen.<br />
Das kann nicht so weitergehen. Zeitgenössisch möchte ich als Künstler nicht<br />
genannt werden, das klingt zu konnotativ enorm politisch.<br />
Was in der Kunst zur Zeit, seit längerem geschieht, ist ein Spiegel der sich<br />
selbst geistesgeschichtlich gesehen reduzierenden Welteinstellungen (s. Die<br />
digitalen Medien haben den größten Rückschritt in der Geistesgeschichte<br />
des Menschen zur Folge: Wir waren schon weiter als Gut-Böse, Ja-Nein ...-<br />
Entscheidungen. Wir kannten das Vielleicht-Oder doch nicht ..., für das der<br />
Computer keine Tasten hat).<br />
Mir scheint, was sich heute abspielt, sind zwei Formen der Kunst:<br />
(Beide basieren auf dem – leider – digitalen Denken.)<br />
Der regionale Digitalismus sieht nur die eine Region der Medaille, die eine<br />
Seite oder die andere, wertet wie ›der indische Blinde‹, der den Elefanten<br />
aufgrund seiner Einzelteile als einen Rüssel, als Fußsäulen oder Ohrlappen,<br />
eben regional wahrnimmt. Er bringt die Welt nicht mehr zusammen. Auseinandernehmen<br />
ist leicht, logisch, funktionsgetreu, ein Schritt für Schritt-Unternehmen.<br />
Der globale Digitalismus sieht zwar das Ganze, den Globus, ›befindet sich<br />
aber so hoch im All‹, dass er oberflächlich sehen muss, nicht anders kann:<br />
Vereinfacht, pauschalisiert, dilettiert, klischiert, alles bereit ist zu sehen, nur<br />
nicht die subtilen Unterschiede. Er kommt dadurch zu schnellen Entschlüssen,<br />
zu spontanem Handeln oder zu übersehendem Zögern-und-Linksliegenlassen,<br />
weil da zuviel auf ihn zukommt. Die Klischees werden zunehmen.<br />
Beide Digitalismen sind in der heutigen (2014) Kunstszene schon längst virulent<br />
und klar abzulesen.<br />
Der utopische, erwünschte Digitalismus müsste einer sein, der in der Lage ist,<br />
›die beiden Seiten der Medaille‹ wieder als eine Einheit in Disparität zu sehen<br />
UND das als tatsächliches, umumgängliches UND WUNDERBAR KOMPLE-<br />
XES zu begreifen und die Komplexität als solche zu lieben, so wie wir die<br />
Natur lieben, obwohl/weil sie hochkomplex ist. Die Vielfalt als Positivum, das<br />
zur Bewunderung, Freude und zu vielseitig bedachtem Handeln auffordert.<br />
Der normale Intellektuelle sieht Komplexität meist nur als Ingredienzien zum<br />
Hin- und Herdenken und zu einer Ohnmacht des Denkens, die letztlich nicht<br />
mehr zum Handeln und zur Entscheidung auffordert, weil sie ungewollt schleichend<br />
ihre Kraft auf dem Weg, im Prozess, verbraucht hat.<br />
<strong>Wolf</strong> <strong>Kahlen</strong> 2014