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den Polen Ja und Nein, die Stufen zwischen Leben und Sterben philosophisch und im Alltag<br />
schon mal besser, feiner im Griff gehabt. Vorbei, grob ist angesagt. Erst mal, bis zum<br />
nächsten (positiven) Rückschlag des Mediums (den gibt es ja auch), der schon heranrollt.<br />
Noch mittelalterlicher, ›gemeiner‹ von mir ist, jedes ›Blatt‹ instant im Augenblick des Clicks<br />
zu nummerieren und zu signieren. Als Angebot. Weil wir, wenn wir ehrlich sind, alle wissen,<br />
dass die Dualität von Körper und Geist, also das Materielle und das Immaterielle, nicht nur<br />
nicht aufzuheben möglich, sondern auch nicht wünschenswert sind. Die, die mit wirklichen<br />
Avataren Umgang haben, sitzen kaum hier unten im Publikum, sondern aus guten Gründen<br />
in selbstgewählter Einsamkeit. Die anderen kokettieren damit.<br />
Was ich meine:<br />
Es gibt die Erfahrung des Selbst-Los,<br />
das ist ein ambivalentes: einerseits Sich-Selbst-Los-Werdens,<br />
das Aufgelöst- oder Von-Sich-Selbst-Getrennt-Werden durch jemand Anderen,<br />
andererseits das des Selbst Freiwillig-Aufgeben, es gibt also natürlich einen passiven und<br />
einen aktiven Weg:<br />
Und dafür gibt es auch zwei Wege der entsprechenden Erfahrung:<br />
Entweder Festhalten-am-Sein, an der Materie, am Fixieren, am Sammeln, das heisst, die<br />
drei Blätter ausdrucken und deren Einzigartigkeit und Wert bewiesen sehen in der Nummerierung<br />
und Signatur, und sinnlich, und das geniessen.<br />
Oder Den-Wandel-lieben und geniessen, den ephemeren in der Zeit und den ätherischen<br />
im Raum, den ohne äussere Spuren.<br />
Glauben Sie nicht, der zweite Weg wäre besser als der erste oder umgekehrt, er ist nur ein<br />
anderer, er gehört zu unserer anderen Seite, die niemals abheben kann.<br />
Sie sehen, ich nehme den Eikonisch-Perzipierenden, den Bildliche-Codes-Liebenden<br />
genauso ernst wie den, der wie ein Textleser eines guten Buches in der Lage ist, in der<br />
Zeit des Lesens sich vorherige Seiten oder Sätze im Geist transparent über oder unter<br />
den gerade gelesenen Text zu legen, wie Matrizen, wie Netze, die übereinandergeschoben<br />
interferieren oder oszillieren. So lassen sich Raum und noch weitere Dimensionen durchwandern.<br />
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Wenn Sie meine drei Blätter transparent übereinanderlegen würden, hätte jeder Besitzer<br />
letztlich wieder hundert Prozent der Ausgangsbotschaft, des allerersten vollständigen<br />
Bildes von mir, keiner weniger oder mehr, keiner einen aufregenderen oder langweiligeren<br />
Zustand, alle eine gleiche ikonische Erfahrung, aber jeder ein unikates Triptychon. So, wie<br />
jeder von uns die Welt erfährt, unikat.<br />
Das Triptychon SelbstLos/SelfLess hat aber noch eine ziemliche Revolution in sich: Jeder,<br />
der es sich ausdruckt, hat einen unikaten Zustand, auf Sekunde genau, datiert, nummeriert,<br />
im Netz signiert. Fühlt sich als Besitzer. Aber das Stück an sich, das Konzept besitzt<br />
keiner. Erst alle jemals ausgedruckten Triptychen würden das Gesamtkunstwerk sein. Alle<br />
partizipieren nur, auch, wenn sie einzeln glauben, ›es‹ zu besitzen. Da die ›Sammler‹ weltumspannend<br />
verteilt sind und weiter sein werden, ist das Stück im globalen Raum ›public<br />
access‹.<br />
Es darf nicht erstaunen, wenn sog. Orale Gesellschaften, aus der Vorzeit ins Jetzt katapultiert,<br />
sich wie selbstverständlich im Netz zurechtfinden: Weil sie das bildhafte Denken und<br />
Sprechen für ihren Kontext perfektioniert hatten, den Blitz des Zeus oder das Orakel von<br />
Delphi, einen hinduistischen Baumgott oder die Nagas der Gewässer in Tibet, alle wesenhaften<br />
Bilder, mit denen sie alle Vielfalt auf einmal und instant überbrücken und erklären<br />
konnten.<br />
Das Merkwürdige ist nur, dass heutzutage wir ›Westler‹ uns die Welt mit Mäusen, weicher<br />
und harter Ware erklären. Wir können schon (oder noch) Bilder handhaben. Wir hattenen<br />
von Jahrhundert zu Jahrhundert zunehmend Probleme damit, haben mit der Entwicklung<br />
jedes neuen Mediums Schritt für Schritt geglaubt, uns auf dem Wege der Desillusionierung<br />
der Realität zu nähern. Und sind dabei nur in höchste Konflikte mit unserer Psyche<br />
geraten, die ›in Bildern denkt‹. Die Kunstgeschichte der letzten Jahrzehnte, an der ich als<br />
Medienbildhauer nicht unbeteiligt bin, zeigt dieses Drama sehr deutlich: die besten Arbeiten<br />
beschäftigen sich genau mit dem den Anderen verborgenen Prozess der spezifischen<br />
Wechselwirkungen von Medium als Träger, aber auch als Material des Bewusstseins von<br />
Welt, die Erkenntnis, dass jedes neue und alte Medium, ob Video, Spiegel, Hammer oder<br />
Geld, aber auch der eigene Körper, die Pflanze und der Traum nur ein neuer Baustein zur