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Wolf Kahlen Museum Bernau

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Geräusche – Väter der Musik<br />

Am Anfang waren die Geräusche, das Rauschen des Flusses, das Säuseln des Windes, das Sisseln des Sandes, das Raunen der<br />

Wälder. Sie waren einfach da: Darin äusserten sich die Wesen, Geister oder Götter des Wassers, der Winde, der Sande und der<br />

Bäume. Es waren sie, die agierten, beruhigten oder beunruhigten, mahnten, ermunterten, befahlen. Die Geräusche sprachen nicht,<br />

klangen nicht eindeutig, sie waren einfach mysteriös. Das Klatschen der Hand auf dem Pferderücken oder mit der eigenen zweiten<br />

Hand hattest Du in der Hand, geschah auf eigenen Wunsch, hatte Gründe.<br />

Dann kam die gespannte Tierhaut, sie klang plötzlich, noch eindeutiger und auf Wunsch. Und löste andere Gefühle im Körper aus<br />

als die unkontrollierbaren der anderen Seiten der Natur. Schwingungen, gute und heftig erschütternde, selbst aggressive. Und<br />

irgendwann lösten sich harmonische Klänge wie Glocken aus dem Metall, das erst erfunden sein wollte. Immer mehr Wille und<br />

Kontrolle kamen ins Spiel. Während die undurchhörbaren Geräusche langsam hören ließen, dass in ihnen die anderen Klänge auch<br />

immanent waren: Sie offenbarten ihre Komplexität. Sie waren die Urlaute, die starken Stämme, wie Baumstämme, die Strukturen<br />

tragen, Äste, selektivere Klänge, Ästchen wie Violinen, die in deutliche Höhen und Tiefen leiten, Blüten wie einen ›reinen‹ Glockenklang.<br />

Geräusche sind die Väter aller Klänge, aus ihnen lösen sich wie das Kind aus dem Mutterleib die individuellen Töne, die noch<br />

komplex genug sind, ja immer ›voller‹ werden in der Reife. Und noch etwas: Geräusche können meisterhaft mit der Zeit umgehen,<br />

während Töne wie Blüten es schwer haben länger zu leben oder endlos zu werden. Geräusche tragen die Ewigkeit in sich, die Endlosigkeit,<br />

das Bleibende, das, wenn es immer bleibt, zur Leere wird, denn dann hört man sie nicht mehr, sie sind die Grundklänge,<br />

die wie Körpergeräusche aus dem Inneren, vom eigenen Ohr als selbst-verständlich ignoriert werden können oder goutiert.<br />

Eigentlich gibt es keine größere Musik als diese permanente, eine der Fülle der Geräusche, Ragas, Cage, Stockhausen, die durch<br />

ihr Fließen erst die Endlichkeit allen Seins, hörbar macht. Das Abbrechen eines Trompetenstosses, das Verklingen des Klaviertones<br />

sind Tod oder Verlöschen, das unhörbare ›Luftholen‹ zweier sich überschneidender Tablaspieler oder tibetischen Hörner ahmt Natur<br />

nach, spielt wie sie, grenzenlos von Geburt über Leben in den Tod, und in eine neue Geburt.<br />

Wenn ich doch so auch mit laufenden Bildern arbeiten könnte, einen Fluss der Bilder erzeugen könnte, der nichts Artifizielles an sich<br />

hat. Bis dir nichts mehr einfällt, du wunschlos wirst, weil nichts anderes zu denken, wünschen, sinnen nötig ist, alles ›stimmt‹. (Die<br />

Kamera auf ein Kreuzung in Kalkutta stellen und rundherum kreisen lassen)<br />

<strong>Wolf</strong> <strong>Kahlen</strong> 1973<br />

44<br />

45<br />

Kyoto – Raw Material On Sublime Beauty, 1999<br />

Sound Installation mit verdecktem Lautsprecher

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