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PERSPEKTIVWECHSEL

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Vor dem Hintergrund eines offenen, dynamischen Kulturbegriffs lassen sich die interindividuellen Unterschiede<br />

zwischen Menschen und Gruppen nicht mehr ausschließlich im Rahmen starrer und voneinander abgegrenzter<br />

nationaler, kultureller und sozialer Kategorien betrachten. Aus dieser Perspektive gesehen, schreibt nicht länger<br />

die Mehrheitsgesellschaft die normativen kulturellen Bewertungsmuster vor; sie ist vielmehr „verpflichtet“, die<br />

Identität des Einzelnen zu würdigen und anzuerkennen, und zwar ausgehend von seiner Biografie, mit oder ohne<br />

erkennbare Zugehörigkeit zu seiner Gruppe.<br />

Über die ethnisch-kulturellen Diversitätskategorien hinaus spricht der Anti-Bias-Ansatz verschiedene andere<br />

Aspekte der Vielfalt und Differenz an. Dazu gehören – neben den „zentralen“ Unterscheidungsmerkmalen<br />

wie Herkunft, Religion und Kultur, Geschlecht und sozialer Status – soziale Kategorien wie Alter, Behinderung,<br />

sexuelle Orientierung und Identität. Das Ziel ist es, die Einsicht in die multiple Klassifikation der Ich- und<br />

Bezugsgruppenidentität sowie eine systemische Wahrnehmung von Anderen auch außerhalb ihrer vermeintlichen<br />

oder tatsächlichen Gruppenzugehörigkeiten zu fördern.<br />

„Individuen in der multikulturellen Gesellschaft haben Anspruch auf Respekt und Anerkennung unabhängig<br />

von den kulturellen Zuschreibungen, aber sie erwarten diese Anerkennung ebenfalls als Anhänger eigener<br />

kultureller Interessen“ (Eppenstein / Kiesel, 2009, S. 182). Ein weiteres Anliegen der Anti-Bias-Arbeit ist daher<br />

die selbstkritische Reflexion der vereinnahmenden Ethnisierungsstrategien und Kulturalisierungstendenzen<br />

sowie das Hinterfragen der eigenen kulturellen Eingebundenheit bei der (Be)Wertung Anderer. Dazu kommt als<br />

wichtiges Element in Anti-Bias-Seminaren die kritische Analyse bestimmender sowie sozialer und kultureller<br />

Vorurteile.<br />

• Ausgrenzung und Diskriminierung<br />

Diskriminieren bedeutet zunächst einmal Unterscheiden. Unter sozialer Diskriminierung wird jedoch nicht<br />

mehr die neutrale Unterscheidung, sondern die Ausgrenzung und Benachteiligung von Menschen aufgrund<br />

gruppenspezifischer Merkmale wie ethnische oder nationale Herkunft, Hautfarbe, Sprache, politische Orientierung,<br />

religiöse Ausrichtung, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Alter oder Behinderung verstanden. Der Ursprung jeder<br />

Diskriminierung ist die Konstruktion von Differenz, die in Verbindung mit (Definitions)Macht eine Bewertung durch<br />

herrschende Normen und Regeln hervorbringt.<br />

15<br />

Beim Anti-Bias-Ansatz handelt es sich um einen horizontalen Diskriminierungsansatz. Sein Potenzial liegt in seiner<br />

Wirkung auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von Ausgrenzung und Diskriminierung. Der Anti-Bias-Ansatz<br />

thematisiert alle Formen und Ebenen der Diskriminierung in horizontaler Form, d.h. zielgruppenübergreifend<br />

und hierarchiefrei. Dieses Vorgehen ebnet den Weg zum Perspektivwechsel mit Blick auf die von Diskriminierung<br />

Betroffenen und macht auf die Mehrfachdiskriminierung aufmerksam.<br />

Es lenkt die Aufmerksamkeit auf Ursachen und Faktoren ähnlicher Diskriminierungspraktiken und macht<br />

deutlich, dass der Grund für Herabsetzung und Diskriminierung nicht in der betreffenden Person, sondern in<br />

Gedanken, Taten und Strukturen zu suchen ist, die zur Diskriminierung führen. Jeder Mensch trägt potenzielle<br />

Diskriminierungsmerkmale in sich und kann je nach Situation und Kontext von Diskriminierung betroffen sein.<br />

Bias beschreibt „schiefe“ abwertende Einstellungen, aber auch die eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten<br />

einiger Mitglieder der Gesellschaft. Demzufolge setzt sich der Anti-Bias-Ansatz mit allen Diskriminierungsformen<br />

und -ebenen kritisch auseinander. Er verfolgt das Ziel, Ressentiments und diskriminierende Verhaltensweisen<br />

sowohl im interpersonellen Bereich als auch im strukturellen und gesamtgesellschaftlichen Kontext aufzudecken<br />

und zu bearbeiten.

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