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PERSPEKTIVWECHSEL

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Die antisemitischen Denk- und Argumentationsmuster sind also nicht zwangsläufig ein Bestandteil konsistenter<br />

politischer und antisemitischer Ideologien. Manchmal sind sie schlicht ein bequemes Mittel zum Erhalt eigener<br />

Identitätskonstruktionen oder aber ein Ausdruck der Differenz, dem die Vorstellung einer inneren Homogenität<br />

von Juden als Kollektiv zugrunde liegt.<br />

Ausgehend von der Annahme, dass „der Schlüsselbegriff für die Selbstdefinition von Gruppen ... die Grenze“<br />

ist (Schneider, 2001, S. 213), setzt die Differenzierung zwischen dem „Deutschen“ und dem „Jüdischen“ nicht<br />

überbrückbare Unterschiede voraus. Wer als Jude definiert wird, wird folglich nicht mehr als Individuum<br />

wahrgenommen, sondern nur noch als Zugehöriger seines Kollektivs (vgl. Schneider, 2001).<br />

„Antisemitismen lassen sich (…) als Konstruktionen fassen, in denen Juden als eigenständige, in sich homogene<br />

Gruppe vorgestellt werden, die sich von der Wir-Gruppe grundlegend unterscheidet und deren Mitglieder primär<br />

dadurch bestimmt sind, dass sie dem Kollektiv der Juden angehören. Verbunden wird diese Differenzkonstruktion<br />

regelmäßig mit den Annahmen über Eigenschaften und mit Bewertungen, die eine Höher- bzw. Minderwertigkeit<br />

von Juden begründen und die in der Regel mit Feindseligkeit und Ablehnung einhergehen.“ (Scherr / Schäuble,<br />

2007, S. 11)<br />

Diese Differenzkonstruktion markiert also die Unterschiede zwischen den beiden „Gruppen“ und sucht nach<br />

Bestätigung und Legitimation im „tatsächlichen“ Verhalten ihrer Mitglieder. Auch wenn die Annahme der<br />

Differenz womöglich nicht an sich als ideologischer Antisemitismus gelten kann, ist sie doch Ausdruck einer<br />

starren, historisch überlieferten Abgrenzung zwischen Juden und Nichtjuden, die nicht wertfrei, sondern eindeutig<br />

vorurteilsbehaftet ist. Insbesondere dadurch, dass ‚Juden‘ eine der zentralen Rollen im „Othering“-Diskurs zufällt,<br />

finden hier affektbeladene und auf Selbstentlastung ausgerichtete Zuschreibungen statt.<br />

Hinzu kommt der Umstand der nahezu vollständig fehlenden persönlichen Kontakte, dem eine übermäßige<br />

mediale Präsenz sowohl im historischen als auch im politischen Kontext gegenübersteht. Entsprechend<br />

fallen die in diesen Diskursen verwendeten Bilder aus: Sie beschränken sich vornehmlich auf die Shoah und<br />

den Nahostkonflikt. Vor diesem Hintergrund werden zwangsläufig „alte“ Bilder von Juden aktiviert und neue<br />

Vorurteile entwickelt, die diesen Abgrenzungsprozess zu verfestigen scheinen.<br />

29<br />

In einer groß angelegten Studie von Schneider (2001) zu der Frage „Was ist Deutsch?“ werden die oben<br />

beschriebenen Differenzannahmen durch spezifische Konstruktionen von Anderen kenntlich gemacht. Einige<br />

dieser so genannten Fremdheitskriterien sind gruppenspezifisch, andere lassen sich nahezu auf alle Gruppen<br />

übertragen. Die folgenden Dimensionen sind nur analytisch zu trennen, da sie zum großen Teil voneinander<br />

abhängig und ineinander verschränkt sind.<br />

Gleichsetzung<br />

Die Neigung zur Gleichsetzung der Juden mit den anderen ganz „gewöhnlichen Deutschen“ oder mit anderen<br />

Nationalitäten weist auf eine auffällige Strategie hin, mit der viele der Befragten dieser Studie auf die Frage „Was<br />

ist dein Verhältnis zu Juden“? zunächst mit einer besonders akzentuierten Gleichsetzung reagiert haben. Ähnliche<br />

Tendenzen zeigen sich auch in den Seminaren zu diesem Themenmodul – zunächst in Aussagen wie „die Herkunft<br />

der Jüdischen Mitbürger spielt für mich keine besondere Rolle“, „Juden sind doch genauso wie wir; sie sind für<br />

mich fast wie Deutsche.“ Zugespitzt formuliert: Die subjektive Distanz zu Juden ist zwar vorhanden, wird jedoch<br />

vehement verneint oder zumindest relativiert. Im Phänomen der Andersartigkeit spielt also die ‚Gleichsetzung’<br />

besonders dann eine Rolle, wenn das korrekte, vorurteilsfreie und sozial erwünschte Verhalten demonstriert<br />

werden soll.

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