PERSPEKTIVWECHSEL
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Je nach theoretischem Deutungsansatz gibt es unterschiedliche Erklärungen zu der Frage nach den Ursachen,<br />
Mechanismen und Funktionen der Diskriminierung. Ausgrenzendes und diskriminierendes Verhalten kann aus<br />
Vorurteilen resultieren; allerdings steht dieses Verhalten in keinerlei unmittelbarem Zusammenhang mit „schiefen“<br />
Einstellungen, da Diskriminierung auch aus gesetzlichen Regelungen oder allgemeinen gesellschaftlichen Normen<br />
hervorgehen kann.<br />
Trotz der öffentlichen Diskurse über Zuwanderung, Multikulturalität und Integration gibt es in Deutschland bisher<br />
nur wenige Studien, die das Ausmaß alltäglicher und institutioneller Diskriminierung umfassend darstellen. Die<br />
Perspektive der Betroffenen darauf wird vorwiegend in fallbezogenen Erfahrungsberichten dokumentiert und ist<br />
für das öffentliche Bewusstsein kaum zugänglich. Das Ziel des Anti-Bias-Ansatzes besteht darin, die verschiedenen<br />
Dimensionen der Diskriminierung in ihrer Relevanz deutlich zu machen und die Einsicht in die Notwendigkeit einer<br />
aktiven Haltung und Handlung zu stärken.<br />
Der Anti-Bias-Ansatz arbeitet systemisch und eröffnet ein breites Spektrum für die mehrdimensionale Analyse<br />
des Ineinandergreifens unterschiedlicher Diskriminierungsformen. Ein Grundprinzip der Anti-Bias-Arbeit besteht<br />
darin, alle Ausgrenzungs- und Diskriminierungsformen ohne Hierarchisierung zueinander in Beziehung zu setzen,<br />
wohlwissend, dass jede Diskriminierungs- und Unterdrückungskategorie eine eigene „Handschrift“ aufweist.<br />
Es gilt, neben den Überschneidungen verschiedener Erscheinungsformen und Ebenen der Diskriminierung<br />
die besonderen Motive, Hintergründe und Wirkungsfaktoren von Diskriminierungsformen im Einzelnen zu<br />
erörtern und zu benennen. So ist es beispielsweise wichtig, die spezifischen Unterschiede in der Diskriminierung<br />
verschiedener Gruppen, insbesondere bei mehrfacher Benachteiligung, wahrzunehmen und zu würdigen. In den<br />
Anti-Bias-Seminaren werden zudem die Ursachen, Mechanismen und Wirkfaktoren, die der Diskriminierung<br />
zugrunde liegen, ausgelotet und bearbeitet.<br />
Themenbaustein: Macht und Internalisierung<br />
Der komplexe Zusammenhang zwischen den verschiedenen Dimensionen der Diskriminierung reicht in vielen<br />
Fällen tief hinein in die institutionellen, rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Alltags und<br />
des (pädagogischen) Handelns. Die verinnerlichten Vorstellungen von Über- und Unterlegenheit legitimieren die<br />
bestehenden Ungleichheitsverhältnisse und halten sie aufrecht. Dabei werden diese Vorstellungen insofern als<br />
selbstverständlich, natürlich und unveränderbar angesehen, als von einer Verinnerlichung von Dominanz einerseits<br />
und Unterdrückung andererseits gesprochen werden kann. Einige Diskriminierungspraktiken sind offensichtlich<br />
und werden durch Normen und Gesetze für unrechtmäßig erklärt. Andere Phänomene hingegen sind historisch so<br />
stark verankert, dass sie kaum noch als solche wahrgenommen werden (vgl. Anti-Bias-Werkstatt).<br />
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Ausgehend von dieser Beobachtung gewinnt die Auseinandersetzung mit Macht und Internalisierung im Anti-<br />
Bias-Ansatz einen zentralen Stellenwert. „Demzufolge ist die Reflexion der je eigenen (Ohn-)Machtposition …<br />
in Verbindung mit dem gesellschaftlichen Kontext sowie die Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung<br />
in und Beteiligung an der Reproduktion dieser Machtstrukturen in Form von internalisierter Dominanz und<br />
Unterdrückung eine grundlegende Voraussetzung für Veränderungsprozesse“ (vgl. Schmidt / Trisch, 2007).<br />
Themenbaustein: Umgang mit Widerständen<br />
Durch den Einsatz der Anti-Bias-Methoden wird die Motivation der Zielgruppe verstärkt, sich auch mit<br />
tabuisierten und negativ besetzten Themen zu befassen. Es kommt jedoch häufig vor, dass die AdressatInnen<br />
diese Form der Seminararbeit ablehnen. Die aufkommenden Widerstände sind willkommen; sie sind zentrale<br />
Aspekte und Wirkungsfaktoren jeden Lernprozesses und stellen darüber hinaus eine natürliche Reaktion auf<br />
unangenehme und erdrückende Gefühle dar. Unter dieser Prämisse verdienen die Widerstände der Einzelnen<br />
oder Gruppe genauso viel Aufmerksamkeit wie die Seminarinhalte selbst; schließlich sind sie ein Resultat<br />
gelungener Sensibilisierung für „unbequeme“ Themen und der damit aufgekommenen Irritation, die in den<br />
Seminaren aufgefangen und aufgearbeitet werden kann.