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PERSPEKTIVWECHSEL

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Das Konzept des „Perspektivwechsels“<br />

„Da für viele Nichtjuden ‚Jüdischsein‘ immer noch ‚das Fremde‘ ist, kann antisemitischen Stereotypen nur<br />

entgegengewirkt werden, wenn man sich mit der Vielfältigkeit jüdischer Identitäten unter Einbezug der eigenen<br />

Identität auseinandersetzt“ (MultiplikatorInnen, Fachaustausch im Anne-Frank-Zentrum, Berlin).<br />

Im letzten Jahrzehnt hat der biografische Ansatz zunehmend an Bedeutung gewonnen. Es wurden Konzepte<br />

entwickelt, die über den historischen Antisemitismus hinaus individuell-biografische Prozesse anregen und<br />

dadurch einen Zugang zu verinnerlichten kollektiven Auslegungen der Geschichte und deren Auswirkung auf<br />

die Gegenwart eröffnen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass nur oberflächliche Einstellungsveränderungen<br />

vorgenommen und die grundsätzlichen Dispositionen nicht verändert werden.<br />

Die methodische Konzeption des „Perspektivwechsels“ greift die oben aufgeführten Überlegungen auf und schließt<br />

Methoden ein, die eine selbstreflexive Annäherung der AdressatInnen an identitätsstiftende historisch-politische<br />

Prozesse der Vergangenheit und Gegenwart gewähren können. Das Projekt ist emanzipatorisch ausgerichtet und<br />

erfordert insofern – jenseits der sachanalytischen Auseinandersetzung – das Ansprechen und die Förderung der<br />

affektiven und sozialen Ebene. Dabei erschließen sich in den Seminaren subjektive und kollektive Weltbilder, die<br />

erfahrungsgemäß nur mit Hilfe individuumszentrierter und sensibilisierender Methoden erhoben werden können.<br />

33<br />

Mit Hilfe der Anti-Bias-Methoden streben wir die Herstellung konkreter persönlicher Bezüge zum je eigenen Verhältnis<br />

zur Geschichte an, indem wir dazu beitragen, dass die eigenen Rezeptionen der Geschichte erkannt, reflektiert<br />

und bearbeitet werden. Ziel ist es, die Kontinuität des „verdeckten“ und unterschwelligen Antisemitismus<br />

aufzuspüren und zu thematisieren. Zu diesem Zweck wird eine Auseinandersetzung mit dem so genannten „Abwehrantisemitismus“<br />

(sekundären Antisemitismus) im individuellen, gesellschaftlichen und politischen Kontext<br />

angeregt und gefördert. Im Blickpunkt steht stets die Analyse tief verankerter Differenzmarkierungen zwischen<br />

jüdischen und nicht-jüdischen Deutschen vor dem Hintergrund historischer Tradierung und der bis heute bestehenden<br />

Ressentiments, die das Repertoire der Wahrnehmung von Juden bestimmen und das Machtgefüge zwischen<br />

der Mehrheits- und Minderheitsperspektive aufrechterhalten.<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die pädagogische Arbeit mit Blick auf antisemitische Einstellungen im<br />

Anti-Bias-Konzept auf mehreren Ebenen stattfindet: Zunächst geht es um die Reflexion der eigenen Bezüge zum<br />

Thema ‚Juden‘ und ‚Juden in Deutschland‘ mittels eines langsamen, wertschätzenden Einstiegs in das „heikle“<br />

Thema und um die Reflexion eigener Bilder und Vorannahmen. Darauf aufbauend handelt es sich beim zweiten<br />

Schritt um die interaktive, übungsbasierte Vermittlung von Kenntnissen über das deutsch-jüdische Verhältnis<br />

sowie den historischen und aktuellen Antisemitismus. Schließlich werden unter Einbeziehung wissenschaftlicher<br />

Erkenntnisse und empirischer Einsichten die eigenen pädagogischen Ziele und Methoden reflektiert und<br />

neu sortiert. Anschließend wird durch einen bedachten Perspektivwechsel nicht nur die Bereitschaft zur<br />

Wahrnehmung des Anderen und die Fähigkeit zu Teilnahme gefördert, sondern auch das routinierte pädagogische<br />

Selbstverständnis kritisch überprüft (vgl. Fechler / Kößler / Lieberz-Groß, 2001).

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