PERSPEKTIVWECHSEL
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Persönliche Reflexionen // Nadine Fügner<br />
44<br />
Umgang mit Widerständen<br />
Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus<br />
sind emotional hoch besetzte und schwierige<br />
Themen. Im Seminar sind die Teilnehmenden mit ihren<br />
Vorurteilen, Mustern und Erfahrungen konfrontiert.<br />
Das berührt und wühlt auf. Manche mehr bei der<br />
einen, andere intensiver bei einer späteren Übung.<br />
Die Widerstände, die sie in den Seminaren aufbauen,<br />
äußern sich vielfach in klar formulierten vehementen<br />
Vorbehalten, aber auch nonverbal. Dann verschränken<br />
die Teilnehmenden beispielsweise die Arme vor der<br />
Brust, lehnen sich im Stuhl zurück und schauen mich<br />
schweigsam, skeptisch oder provozierend an. Ich<br />
kann ihre Abwehr absolut nachvollziehen, und es<br />
entspricht meinem Selbstverständnis als Trainerin,<br />
auch diesen Einblicken, die mir die TeilnehmerInnen in<br />
ihre inneren Prozesse gewähren, konstruktiv und mit<br />
Wertschätzung zu begegnen und damit zu arbeiten.<br />
D.h. ich versuche zum Beispiel die Widerstände<br />
aufzugreifen, zu thematisieren und der Gruppe<br />
zu spiegeln. Vor allem geht es um Wertschätzung,<br />
indem ich zeige, dass ich wahrnehme, dass in ihnen<br />
etwas vorgeht, was für sie nicht angenehm ist. Ich<br />
versuche ihnen zu vermitteln, dass das Seminar unser<br />
Schutz- und Vertrauensraum ist und dass ich sie<br />
keinesfalls kompromittieren will, sondern dass ich<br />
abwehrende Reaktionen aufgrund der Problematik<br />
und Schwierigkeit der Thematik durchaus verstehe.<br />
Um dies zu verdeutlichen, gebe ich mitunter Einblicke<br />
in meine eigenen Erfahrungen, die ich während<br />
meiner Anti-Bias-Trainerausbildung erlebt habe. Es<br />
ist mir sehr wichtig, zu versuchen, Wege und Brücken<br />
zu den TeilnehmerInnen zu bauen, um sie dabei zu<br />
unterstützen, ihre Abwehr zu verstehen und dann<br />
einen Weg aus dem Widerstand heraus zu finden, um<br />
sich erneut für den Seminarprozess öffnen zu können<br />
und diesen weiter mitzugestalten.<br />
Persönliche Eindrücke<br />
Meine Arbeit als Anti-Bias-Trainerin im Projekt<br />
Perspektivwechsel hat mich sehr verändert.<br />
Während meiner Trainertätigkeit bin ich in meiner<br />
ganzen Persönlichkeit gewachsen und gereift.<br />
In der Interaktion mit Seminargruppen bin ich<br />
stets mit meinen Vorurteilen und Bildern, meiner<br />
Wahrnehmung, Deutung und meinem Agieren<br />
konfrontiert und gefordert. Mir ist eine kontinuierliche<br />
Selbstreflexion wichtig. Ich habe erkannt, dass ich als<br />
Trainerin souverän und klar auftreten muss, um für<br />
die TeilnehmerInnen erfassbar zu sein, und dennoch<br />
auch darauf zu achten, mich abgrenzen zu können. Ich<br />
werde in jedem Workshop und Seminar auf ein Neues<br />
gefordert. Dadurch wachse ich innerlich und entfalte<br />
mich äußerlich. Zudem wächst meine Empathie, da<br />
ich selbst weiß, wie anspruchsvoll der selbstreflexive<br />
Arbeits- und Lernprozess im Perspektivwechsel sein<br />
kann. Es geht nicht immer mit guter Laune und Spaß<br />
einher, sondern erfordert von allen Beteiligten viel<br />
Vertrauen, Kommunikation und Mut sowie immer<br />
wieder die Bereitschaft, sich auf den gemeinsamen<br />
Prozess einzulassen.<br />
Ich vertraue darauf, dass jede/r TeilnehmerIn in den<br />
Seminarprozess involviert ist. Manche sind es mehr,<br />
andere weniger – aber alle sind dabei. Wir gehen<br />
möglicherweise erschöpft aus einem Seminar, doch<br />
unsere Feedbacks zeigen, dass jede/r für sich neue<br />
Impulse und Erkenntnisse ins persönliche Repertoire<br />
aufgenommen hat und diese mitnimmt. Das stimmt<br />
mich zuversichtlich und motiviert mich.