3 Die Rechtsidee - FernUniversität in Hagen
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E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Praktische Philosophie anhand von ausgewählten Problemfeldern<br />
Pflicht ist, e<strong>in</strong> Gesetz für gerecht (!) zu halten, wenn es möglich gewesen<br />
wäre, dass das Volk im zugestimmt haben könnte. „Was e<strong>in</strong> Volk über sich<br />
selbst nicht beschließen kann, das kann der Gesetzgeber auch nicht über<br />
das Volk beschließen.“ 35 Der e<strong>in</strong>zig mögliche E<strong>in</strong>wand im S<strong>in</strong>ne des Hiatus<br />
von Theorien, den Kant sieht, ist nun anzunehmen, dass die Obrigkeit<br />
ihre Rechtspflichten zwar der Idee nach e<strong>in</strong>sieht, aber bei den Untertanen<br />
e<strong>in</strong>e solche E<strong>in</strong>sicht nicht unterstellt und sie daher für unfähig und unwürdig<br />
ansieht, gerecht behandelt zu werden und die Regierung also nicht<br />
nach Gerechtigkeitsgrundsätzen, sondern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er nach „Klugheitsregeln<br />
verfahrenden Gewalt“ verfährt. Wenn das aber so wäre, dann träfe das<br />
gleiche auch auf das Volk gegenüber der Regierung zu und alle bürgerliche<br />
Ordnung, die auf das Recht gegründet ist, stünde <strong>in</strong>frage: „Wenn<br />
nicht etwas ist, was durch Vernunft unmittelbar Achtung abnötigt (wie das<br />
Menschenrecht) so s<strong>in</strong>d alle E<strong>in</strong>flüsse auf die Willkür der Menschen unvermögend,<br />
die Freiheit derselben zu bändigen; aber wenn neben dem<br />
Wohlwollen das Recht laut spricht, dann zeigt sich die menschliche Natur<br />
nicht so verunartet, dass se<strong>in</strong>e Stimme von derselben nicht mit Ehrerbietung<br />
angehört werde.“ 36<br />
Noch deutlicher spricht Kant diese Gesichtpunkte <strong>in</strong> den zwei Anhängen<br />
se<strong>in</strong>er Schrift „Zum ewigen Frieden“ aus.<br />
„<strong>Die</strong> Moral ist schon an sich selbst e<strong>in</strong>e Praxis <strong>in</strong> objectiver Bedeutung, als Inbegriff<br />
von unbed<strong>in</strong>gt gebietenden Gesetzen, nach denen wir handeln sollen, und es ist offenbare<br />
Ungereimtheit, nachdem man diesem Pflichtbegriff se<strong>in</strong>e Autorität zugestanden<br />
hat, noch sagen zu wollen, daß man es doch nicht könne. Denn alsdann<br />
fällt dieser Begriff aus der Moral von selbst weg (ultra posse nemo obligatur); mith<strong>in</strong><br />
kann es ke<strong>in</strong>en Streit der Politik als ausübender Rechtslehre mit der Moral als e<strong>in</strong>er<br />
solchen, aber theoretischen (mith<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>en Streit der Praxis mit der Theorie) geben:<br />
man müßte denn unter der letzteren e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Klugheitslehre, d.i. e<strong>in</strong>e Theorie<br />
der Maximen verstehen, zu se<strong>in</strong>en auf Vortheil berechneten Absichten die tauglichsten<br />
Mittel zu wählen, d.i. läugnen, daß es überhaupt e<strong>in</strong>e Moral gebe.<br />
<strong>Die</strong> Politik sagt: »Seid klug wie die Schlangen«; die Moral setzt (als e<strong>in</strong>schränkende<br />
Bed<strong>in</strong>gung) h<strong>in</strong>zu: »und ohne Falsch wie die Tauben.« Wenn beides nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Gebote zusammen bestehen kann, so ist wirklich e<strong>in</strong> Streit der Politik mit der Moral;<br />
soll aber doch durchaus beides vere<strong>in</strong>igt se<strong>in</strong>, so ist der Begriff vom Gegentheil absurd,<br />
und die Frage, wie jener Streit auszugleichen sei, läßt sich gar nicht e<strong>in</strong>mal als<br />
Aufgabe h<strong>in</strong>stellen. Obgleich der Satz: Ehrlichkeit ist die beste Politik, e<strong>in</strong>e Theorie<br />
enthält, der die Praxis, leider! sehr häufig widerspricht: so ist doch der gleichfalls<br />
theoretische: Ehrlichkeit ist besser denn alle Politik, über allen E<strong>in</strong>wurf unendlich erhaben,<br />
ja die unumgängliche Bed<strong>in</strong>gung der letzteren. Der Grenzgott der Moral<br />
weicht nicht dem Jupiter (dem Grenzgott der Gewalt); denn dieser steht noch unter<br />
dem Schicksal, d.i. die Vernunft ist nicht erleuchtet genug, die Reihe der vorherbestimmenden<br />
Ursachen zu übersehen, die den glücklichen oder schlimmen Erfolg aus<br />
dem Thun und Lassen der Menschen nach dem Mechanism der Natur mit Sicherheit<br />
vorher verkündigen (obgleich ihn dem Wunsche gemäß hoffen) lassen. Was man<br />
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35 A. a. O., S. 304.<br />
36 A. a. O., S. 306.