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3 Die Rechtsidee - FernUniversität in Hagen

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E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Praktische Philosophie anhand von ausgewählten Problemfeldern<br />

Individualismus der<br />

Menschenrechte<br />

Quellen des<br />

Individualismus<br />

Kann man (vernünftigerweise) die Menschenrechte nicht akzeptieren?<br />

<strong>Die</strong>se Frage sollten wir ernst nehmen, Philosophen s<strong>in</strong>d nicht auf political<br />

correctness verpflichtet und dürfen daher auch solche radikalen Fragen<br />

stellen. Um der Nichtselbstverständlichkeit e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en geteilten<br />

Überzeugung auf die Spur zu kommen, ist es nötig, nach den Voraussetzungen<br />

dieser Normen zu fragen und zu prüfen, ob diese absolut zw<strong>in</strong>gend<br />

s<strong>in</strong>d oder vielleicht Alternativen haben. E<strong>in</strong>e der unh<strong>in</strong>terfragten Voraussetzungen<br />

der Menschenrechte ist ihr dezidierter Individualismus.<br />

Individuum ist die late<strong>in</strong>ische Übersetzung von Griechisch atomon, das<br />

kle<strong>in</strong>ste, unteilbare Teilchen, aus dem Welt zusammengesetzt ist. Der Individualismus<br />

der Neuzeit ist e<strong>in</strong> Gesellschaftsatomismus. Und da s<strong>in</strong>d wir<br />

an e<strong>in</strong>er Voraussetzung, die ke<strong>in</strong>eswegs selbstverständlich ist. Es könnte<br />

se<strong>in</strong>, und viele zeitgenössische Theorien seit mehr als 100 Jahren sprechen<br />

dafür, dass nicht das Atom, sondern die Beziehung dasjenige ist,<br />

von dem wir analytisch auszugehen hätten. Natürlich ist das nur e<strong>in</strong>e methodische<br />

Entscheidung, denn ke<strong>in</strong> Individualist wird behaupten, dass Gesellschaftsatome,<br />

Individuen, ohne Beziehung vorkommen, und ke<strong>in</strong> Relationist<br />

wird behaupten, das Relationen ohne Relata vorkommen. Aber<br />

wenn wir das zugeben, dass es sich um e<strong>in</strong>e methodische Entscheidung<br />

handelt, durch wir dieses oder jenes zuerst <strong>in</strong> den Blick nehmen, e<strong>in</strong>e Entscheidung,<br />

die uns nicht durch die Sache selbst, um die es geht, abgenommen<br />

wird, dann bleibt der Individualismus der Menschenrechte nicht<br />

unh<strong>in</strong>terfragbar, weil er sich nicht methodisch sondern metaphysisch fundiert.<br />

Wenn wir aber Relationen zum Ausgangspunkt wählen, dann ersche<strong>in</strong>en<br />

plötzlich ganz andere „E<strong>in</strong>heiten“ des Sozialen als primär durch<br />

Grundrechte schützenswert als es Individuen/Atome s<strong>in</strong>d, z. B. Familien<br />

(so <strong>in</strong> vielen anderen Kulturen), das zoon politikon (d. h. das Geme<strong>in</strong>schaftslebewesen),<br />

das Verhältnis e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de zu Gott usw. Artikel<br />

6 GG bildet e<strong>in</strong>en Rest solcher Orientierungen.<br />

<strong>Die</strong> Individualisierung der Menschenrechte verdankt sich zwei unterschiedlichen<br />

Quellen:<br />

1. Seit Auftreten des Protestantismus ist die Forderung nach Religionsfreiheit<br />

stets <strong>in</strong>dividualistisch formuliert worden, als Gewissensfreiheit<br />

nämlich. Das war nicht selbstverständlich. Und besonders <strong>in</strong> England<br />

trat das krass auf als Diskrim<strong>in</strong>ierung der Katholiken; ihnen warf man<br />

vor, weil sie sonst nicht von dem <strong>in</strong>dividuellen Gewissen her dachten,<br />

sondern von der Heils<strong>in</strong>stitution der Kirche her, dass sie nicht den König<br />

als Souverän anerkannten, sondern e<strong>in</strong> ausländisches Staatsoberhaupt,<br />

den Papst, und damit Landesverräter seien, so ausdrücklich<br />

John Locke.<br />

2. Das sich emanzipierende Bürgertum und der damit entstehende Kapitalismus<br />

brauchte zur ungeh<strong>in</strong>derten Entwicklung e<strong>in</strong>en sehr starken

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