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Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland - Konrad ...

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50 51Erziehung zur türkischen bzw. arabischen IdentitätDie Erziehung zum Nationalstolz wird <strong>in</strong> der Türkei sowie <strong>in</strong> den arabischenNationen vom Staat – <strong>in</strong>sbesondere von der Schule – übernommen.Je nach politischem Standpunkt wird dieses Erziehungsziel vonder jeweiligen Familie direkt unterstützt oder latent abgelehnt. In denkurdischen Familien werden z.B. die <strong>K<strong>in</strong>der</strong> zu diesem Erziehungszielnicht ermutigt. In der Schule sollen h<strong>in</strong>gegen alle <strong>K<strong>in</strong>der</strong> bereits <strong>in</strong> derPrimarstufe zu guten <strong>und</strong> stolzen Patrioten erzogen werden. Bis aufwenige Ausnahmen ist die Unterrichtssprache <strong>in</strong> der Türkei Türkisch,den <strong>K<strong>in</strong>der</strong>n der ethnischen M<strong>in</strong>derheiten, <strong>in</strong>sbesondere den Kurden,ist es untersagt, ihre Muttersprache zu sprechen. Auf das ErziehungszielNationalstolz (also türkische bzw. arabische Identität) wird <strong>in</strong> denCurricula explizit verwiesen: Für den Bereich Gesellschaft <strong>und</strong> Staatdom<strong>in</strong>iert das ‚Richtziel’ Patriotismus, verb<strong>und</strong>en mit dem ‚Stolz, Sohne<strong>in</strong>es großen Volkes <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er ehrenvollen Geschichte’ zu se<strong>in</strong>. Da dieErziehung zur herkunftsspezifischen Identität <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> nicht vonder Schule forciert wird, übernehmen die Eltern diesen Auftrag selbst –auch hier also e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der Herkunftsgesellschaft unübliche Funktionder Familie. Der Motivation zu diesem Erziehungsziel liegt die Angst derEltern zugr<strong>und</strong>e, ihre <strong>K<strong>in</strong>der</strong> würden sich von den türkischen Wert- <strong>und</strong>Normvorstellung entfernen: „Die <strong>K<strong>in</strong>der</strong> dürfen nicht vergessen, wohersie kommen”. Um die eigene Identität zu untermauern, sprechen dieEltern mit ihren <strong>K<strong>in</strong>der</strong>n die Herkunftssprache <strong>und</strong> verherrlichen die eigeneNation teilweise dramatisch. Heimaturlaube, verb<strong>und</strong>en mit Verwandtschaftsbesuchen,gehören zum jährlichen Sommerprogramm <strong>und</strong> derTürkischunterricht <strong>in</strong> den Schulen wird rege besucht, obwohl er auf freiwilligerBasis angeboten wird. Allerd<strong>in</strong>gs berichten <strong>Jugendliche</strong> häufig,dass die Erwartungen an die „Heimat”, die durch das <strong>in</strong> den Familiengezeichnete Bild der Herkunftsgesellschaft entstanden s<strong>in</strong>d, enttäuschtwerden. Die Idealisierung der Herkunft ist e<strong>in</strong>e typische Form des Umgangsmit der Migrationsgeschichte, führt bei dem Nachwuchs aber nichtselten zu Irritationen.Die Eltern <strong>und</strong> ihre <strong>K<strong>in</strong>der</strong> fühlen sich durch den Zuzug von Spätaussiedlernbenachteiligt. Aus Sicht der Eltern bekommen die Spätaussiedlermehr Rechte, obwohl sie – im Gegensatz zu ihren <strong>K<strong>in</strong>der</strong>n – kaumDeutsch können. Als weiteren Gr<strong>und</strong> für den Rückzug <strong>in</strong> die türkischeIdentität kann das Scheitern der beruflichen <strong>und</strong> sozialen Integration<strong>in</strong> die hiesige Gesellschaft genannt werden. Und es s<strong>in</strong>d die Erfolgetürkischer Sportler, zum Beispiel im Fußball, mit denen sich die türkischen<strong>Jugendliche</strong>n <strong>in</strong>tensiv identifizieren (hierzu Kapitel 5).Erziehung zur religiösen IdentitätDie fünf Säulen des Islam – die zentralen religiösen Pflichten – haben <strong>in</strong>der arabischen <strong>und</strong> türkischen Bevölkerung e<strong>in</strong>en sehr unterschiedlichenStellenwert. Die offizielle türkische Statistik weist über 98 Prozent derBevölkerung als Muslime aus. Da seitens der türkischen Regierung ke<strong>in</strong>esystematischen Erhebungen vorliegen, wird <strong>in</strong> der Literatur die Zahl derAleviten geschätzt. Man muss davon ausgehen, dass e<strong>in</strong> Fünftel bis e<strong>in</strong>Viertel der türkischen Bevölkerung alevitischen Glaubens ist, d.h. dasssie den Islam anders <strong>in</strong>terpretieren als die Mehrheit der Muslime <strong>und</strong>viele Regeln des Islams nicht befolgen.Der Erhalt der religiösen Identität ist religiösen türkischen Eltern <strong>in</strong><strong>Deutschland</strong> besonders wichtig. Auch hier fällt die Schule als Erziehungs<strong>in</strong>stanzweg <strong>und</strong> die Angst, dass die <strong>K<strong>in</strong>der</strong> ihrer Religion entfremdetwürden, ist groß. E<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>er Religionsunterricht, wie er <strong>in</strong> deutschenSchulen angeboten wird, reicht türkischen Eltern nicht aus. Für die sunnitischenEltern geht es <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie um das Vermitteln der islamischenPflichten. Weil diese Unterweisung <strong>in</strong> der Schule nicht gewährleistet wird,erfahren die Koranschulen, die meistens auch unter Kulturvere<strong>in</strong>en geführtwerden <strong>und</strong> oft <strong>in</strong> dunklen H<strong>in</strong>terhöfen untergebracht s<strong>in</strong>d, starkenZulauf.3.4. Religiöse PflichtenSeit Mitte der 1990er Jahre ist deutlich zu beobachten, dass die türkischen<strong>Jugendliche</strong>n, die <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> geboren <strong>und</strong> aufgewachsen s<strong>in</strong>d,ihre türkische Identität selbstbewusster <strong>und</strong> selbstverständlicher nachaußen präsentieren. Die Gründe für das verstärkte Betonen der türkischenIdentität können <strong>in</strong> vier Punkten konkretisiert werden: Die ausländerfe<strong>in</strong>dlichenÜbergriffe auf türkische Migranten <strong>in</strong> den 1990er Jahrenhaben das Gefühl des Zusammenhalts <strong>in</strong>nerhalb der Geme<strong>in</strong>de verstärkt.Die religiösen Pflichten der sunnitischen Muslime s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>haltungder fünf Säulen des Islam; diese s<strong>in</strong>d sahada (die Annahme des Islamals Religion), salat (das täglich fünfmal zu verrichtende Ritualgebet),zakat (Almosensteuer), saum (das Fasten im Monat Ramadan) sowiehaddsch (die Wallfahrt nach Mekka). Im Folgenden werden die fünfSäulen skizziert.

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