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2006 - BDVR

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gilt es, durch Maßnahmen der<br />

Beschleunigung und Straffung<br />

des gerichtlichen Verfahrens,<br />

durch Rationalisierung der Arbeitsabläufe<br />

und durch Entlastung<br />

der Gerichte mehr Rechtsstreitigkeiten<br />

zu erledigen; andererseits<br />

darf die Qualität der richterlichen<br />

Tätigkeit unter solchen<br />

Kapazitätssteigerungen nicht leiden.“<br />

Zu Grunde lag den Worten des damaligen<br />

deutschen Justizministers die<br />

Einschätzung, dass die Dauer der gerichtlichen<br />

Verfahren in absehbarer<br />

Zeit so zunehmen könnte, dass ein<br />

effektiver Rechtsschutz kaum noch<br />

gewährleistet wäre, weil die seinerzeitigen<br />

Eingänge bei den Verwaltungsgerichten<br />

in den Jahren von<br />

1970 bis 1976 um 135 % und bei den<br />

Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen<br />

während des<br />

gleichen Zeitraums um 110 % gestiegen<br />

waren. Demgegenüber war<br />

die Richterzahl nur um 30 % erhöht<br />

worden. Bei den Verwaltungsgerichten<br />

waren seinerzeit die Rückstände<br />

um 90 %, bei den Oberverwaltungsgerichten<br />

und Verwaltungsgerichtshöfen<br />

um 70 % gestiegen.<br />

Seither sind lange und überlange Verfahrenslaufzeiten<br />

und hohe Altbestände<br />

das alles beherrschende Dauerthema<br />

in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit.<br />

Alle Bemühungen<br />

in den letzten knapp 30 Jahren,<br />

zahlreiche Novellierungen der VwGO,<br />

sämtliche seither durchgeführte Verwaltungsrichtertage,<br />

zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen<br />

auf allen<br />

Ebenen sowie vielfältige Bemühungen<br />

der Justizverwaltungen und der<br />

Gerichte, Abhilfe zu schaffen, haben<br />

nur teilweise zu Erfolgen geführt. So<br />

sind die Verhältnisse in den deutschen<br />

Bundesländern heute krass<br />

unterschiedlich. Während es auf der<br />

einen Seite erstinstanzliche Hauptsacheverfahren<br />

mit einer Verfahrenslaufzeit<br />

von knapp über 4 Monaten<br />

gibt, dauern diese Verfahren in einem<br />

anderen Bundesland zur Zeit durchschnittlich<br />

mehr als 27 Monate, im<br />

gesamten Schnitt aller Bundesländer<br />

etwa 13,3 Monate (Stand: 2004).<br />

Die Folge dieser im Verhältnis zur Zivil-<br />

und Strafjustiz langen Verfahrensdauer<br />

ist u. a., dass der deutsche<br />

Gesetzgeber mehr und mehr Sachgebiete<br />

nicht mehr in die Verwaltungsgerichtsbarkeit,<br />

sondern in die<br />

Zivilgerichtsbarkeit gibt (z. B. im Bereich<br />

des Vergaberechts, des Tele-<br />

<strong>BDVR</strong>-Rundschreiben 03/<strong>2006</strong><br />

kommunikationsrechts, des Verbraucherschutzdurchführungsgesetzes<br />

usw.). Diesen Prozess zu stoppen, ist<br />

gegenwärtig das vordringlichste Bemühen<br />

der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit,<br />

zumal es der gegenwärtige<br />

Rückgang der Eingänge in<br />

fast allen Bundesländern, insbesondere<br />

im Asylrecht, den Verwaltungsrichtern<br />

ermöglicht, die Altbestände<br />

kontinuierlich abzubauen und die Verfahrensdauer<br />

mehr und mehr zu verkürzen.<br />

Ziel muss es sein, die Laufzeit<br />

der Hauptsachen in der ersten<br />

Instanz auf etwa 6 Monate, der Verfahren<br />

auf Gewährung von einstweiligem<br />

Rechtsschutz auf ein bis 3 Monate<br />

und in der zweiten Instanz bei<br />

Berufungsverfahren auf ein Jahr, in<br />

Berufungszulassungsverfahren auf<br />

ein halbes Jahr sowie auf 3 Monate<br />

für Beschwerden im einstweiligen<br />

Rechtsschutz zu verkürzen.<br />

Welche Beschleunigungsmöglichkeiten<br />

hat nun der deutsche Gesetzgeber<br />

de lege lata geschaffen (II.), welche<br />

plant er noch (III.), welche könnte<br />

er noch ins Auge fassen (IV.) und<br />

welche Möglichkeiten der Beschleunigung<br />

bieten sich sonst noch in verfahrensrechtlicher,gerichtsorganisatorischer<br />

und gerichtsinterner Hinsicht,<br />

also im Bereich der Gerichtsverwaltung,<br />

der Präsidien und der<br />

richterlichen Tätigkeit als solcher (V.).<br />

II. Bisherige Änderungen der<br />

VwGO und anderer Gesetze<br />

mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung<br />

1. Gesetz zur Entlastung der Gerichte<br />

in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit<br />

(1978)<br />

• Institut des Gerichtsbescheides<br />

(d. h. keine mündliche Verhandlung,<br />

keine Mitwirkung der ehrenamtlichen<br />

Richter in Fällen,<br />

die keine besonderen Schwierigkeiten<br />

rechtlicher oder tatsächlicher<br />

Art aufweisen und deren<br />

Sachverhalt geklärt ist);<br />

• reduzierte Begründungspflichten<br />

für bestimmte gerichtliche Entscheidungen<br />

(Tatbestand, Beschlüsse,<br />

Bezugnahme auf vorinstanzliche<br />

Entscheidung oder<br />

der Verwaltungsbehörde);<br />

• streitwertabhängige Berufungsbeschränkung.<br />

Das Entlastungsgesetz war ein Zeitgesetz<br />

ohne Änderung der VwGO,<br />

weil seinerzeit eine gemeinsame<br />

Gastbeitrag<br />

Prozessordnung für die Verwaltungs-,<br />

Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit geplant<br />

war. Je mehr dieses Projekt in<br />

denn Hintergrund trat, wurde das<br />

Entlastungsgesetz verlängert, zuletzt<br />

1985 bis zum Jahr 1990. Im letzten<br />

Beschleunigungsgesetz wurde die<br />

erstinstanzliche Zuständigkeit des<br />

Oberverwaltungsgerichts/Verwaltungsgerichtshofs<br />

(OVG/VGH) für bestimmte<br />

Großverfahren eingeführt.<br />

2. Das Gesetz zur Neuregelung des<br />

verwaltungsgerichtlichen Verfahrens<br />

führte im Jahr 1990 im Zeichen weiterer<br />

Beschleunigungs- und Entlastungsbemühungen<br />

zu einer ersten<br />

umfangreichen textlichen Änderung<br />

der VwGO. Ziel war die Beendigung<br />

des unübersichtlichen Nebeneinanders<br />

von prozessualem Dauerrecht<br />

und zeitlich befristeten Bestimmungen,<br />

d. h. die Regelungen des Entlastungsgesetzes<br />

wurden in das Standardprozessrecht<br />

der VwGO überführt.<br />

Außerdem brachte das Änderungsgesetz<br />

u. a. eine Erleichterung<br />

der Abwicklung von sog. Massenverfahren,<br />

eine Stärkung der Stellung<br />

des Berichterstatters im vorbereitenden<br />

Verfahren, die Einführung von<br />

Präklusionsvorschriften und die Möglichkeit<br />

der Zurückverweisung der<br />

Streitsache an die Verwaltungsbehörde<br />

sowie eine Vereinheitlichung<br />

und Vereinfachung der Rechtswegverweisung.<br />

3. Als sich der Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />

im Zuge der deutschen Wiedervereinigung<br />

die mit dieser historischen<br />

Aufgabe verbundene Herausforderung<br />

stellte, nunmehr für ganz<br />

Deutschland entsprechende Strukturen<br />

zu schaffen, stieß man schnell<br />

auf das Problem einer möglichst<br />

rasch durchzuführenden Verbesserung<br />

der Verkehrsinfrastruktur in den<br />

neuen Bundesländern. Es entstand<br />

das Bedürfnis, die Gesamtdauer der<br />

Planungsverfahren für zentrale Verkehrsprojekte<br />

Deutsche Einheit im<br />

Beitrittsgebiet noch weiter zu verkürzen,<br />

wobei die erstinstanzliche Zuständigkeit<br />

der Oberverwaltungsgerichte<br />

nicht mehr als ausreichend angesehen<br />

wurde. 1991 wurde deshalb<br />

das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz<br />

mit erst- und letztinstanzlicher<br />

Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts<br />

geschaffen.<br />

Ferner wurde - ebenfalls aus Beschleunigungsgründen<br />

- die aufschiebende<br />

Wirkung der Klage ausge-<br />

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