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gilt es, durch Maßnahmen der<br />
Beschleunigung und Straffung<br />
des gerichtlichen Verfahrens,<br />
durch Rationalisierung der Arbeitsabläufe<br />
und durch Entlastung<br />
der Gerichte mehr Rechtsstreitigkeiten<br />
zu erledigen; andererseits<br />
darf die Qualität der richterlichen<br />
Tätigkeit unter solchen<br />
Kapazitätssteigerungen nicht leiden.“<br />
Zu Grunde lag den Worten des damaligen<br />
deutschen Justizministers die<br />
Einschätzung, dass die Dauer der gerichtlichen<br />
Verfahren in absehbarer<br />
Zeit so zunehmen könnte, dass ein<br />
effektiver Rechtsschutz kaum noch<br />
gewährleistet wäre, weil die seinerzeitigen<br />
Eingänge bei den Verwaltungsgerichten<br />
in den Jahren von<br />
1970 bis 1976 um 135 % und bei den<br />
Oberverwaltungsgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen<br />
während des<br />
gleichen Zeitraums um 110 % gestiegen<br />
waren. Demgegenüber war<br />
die Richterzahl nur um 30 % erhöht<br />
worden. Bei den Verwaltungsgerichten<br />
waren seinerzeit die Rückstände<br />
um 90 %, bei den Oberverwaltungsgerichten<br />
und Verwaltungsgerichtshöfen<br />
um 70 % gestiegen.<br />
Seither sind lange und überlange Verfahrenslaufzeiten<br />
und hohe Altbestände<br />
das alles beherrschende Dauerthema<br />
in der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit.<br />
Alle Bemühungen<br />
in den letzten knapp 30 Jahren,<br />
zahlreiche Novellierungen der VwGO,<br />
sämtliche seither durchgeführte Verwaltungsrichtertage,<br />
zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen<br />
auf allen<br />
Ebenen sowie vielfältige Bemühungen<br />
der Justizverwaltungen und der<br />
Gerichte, Abhilfe zu schaffen, haben<br />
nur teilweise zu Erfolgen geführt. So<br />
sind die Verhältnisse in den deutschen<br />
Bundesländern heute krass<br />
unterschiedlich. Während es auf der<br />
einen Seite erstinstanzliche Hauptsacheverfahren<br />
mit einer Verfahrenslaufzeit<br />
von knapp über 4 Monaten<br />
gibt, dauern diese Verfahren in einem<br />
anderen Bundesland zur Zeit durchschnittlich<br />
mehr als 27 Monate, im<br />
gesamten Schnitt aller Bundesländer<br />
etwa 13,3 Monate (Stand: 2004).<br />
Die Folge dieser im Verhältnis zur Zivil-<br />
und Strafjustiz langen Verfahrensdauer<br />
ist u. a., dass der deutsche<br />
Gesetzgeber mehr und mehr Sachgebiete<br />
nicht mehr in die Verwaltungsgerichtsbarkeit,<br />
sondern in die<br />
Zivilgerichtsbarkeit gibt (z. B. im Bereich<br />
des Vergaberechts, des Tele-<br />
<strong>BDVR</strong>-Rundschreiben 03/<strong>2006</strong><br />
kommunikationsrechts, des Verbraucherschutzdurchführungsgesetzes<br />
usw.). Diesen Prozess zu stoppen, ist<br />
gegenwärtig das vordringlichste Bemühen<br />
der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit,<br />
zumal es der gegenwärtige<br />
Rückgang der Eingänge in<br />
fast allen Bundesländern, insbesondere<br />
im Asylrecht, den Verwaltungsrichtern<br />
ermöglicht, die Altbestände<br />
kontinuierlich abzubauen und die Verfahrensdauer<br />
mehr und mehr zu verkürzen.<br />
Ziel muss es sein, die Laufzeit<br />
der Hauptsachen in der ersten<br />
Instanz auf etwa 6 Monate, der Verfahren<br />
auf Gewährung von einstweiligem<br />
Rechtsschutz auf ein bis 3 Monate<br />
und in der zweiten Instanz bei<br />
Berufungsverfahren auf ein Jahr, in<br />
Berufungszulassungsverfahren auf<br />
ein halbes Jahr sowie auf 3 Monate<br />
für Beschwerden im einstweiligen<br />
Rechtsschutz zu verkürzen.<br />
Welche Beschleunigungsmöglichkeiten<br />
hat nun der deutsche Gesetzgeber<br />
de lege lata geschaffen (II.), welche<br />
plant er noch (III.), welche könnte<br />
er noch ins Auge fassen (IV.) und<br />
welche Möglichkeiten der Beschleunigung<br />
bieten sich sonst noch in verfahrensrechtlicher,gerichtsorganisatorischer<br />
und gerichtsinterner Hinsicht,<br />
also im Bereich der Gerichtsverwaltung,<br />
der Präsidien und der<br />
richterlichen Tätigkeit als solcher (V.).<br />
II. Bisherige Änderungen der<br />
VwGO und anderer Gesetze<br />
mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung<br />
1. Gesetz zur Entlastung der Gerichte<br />
in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit<br />
(1978)<br />
• Institut des Gerichtsbescheides<br />
(d. h. keine mündliche Verhandlung,<br />
keine Mitwirkung der ehrenamtlichen<br />
Richter in Fällen,<br />
die keine besonderen Schwierigkeiten<br />
rechtlicher oder tatsächlicher<br />
Art aufweisen und deren<br />
Sachverhalt geklärt ist);<br />
• reduzierte Begründungspflichten<br />
für bestimmte gerichtliche Entscheidungen<br />
(Tatbestand, Beschlüsse,<br />
Bezugnahme auf vorinstanzliche<br />
Entscheidung oder<br />
der Verwaltungsbehörde);<br />
• streitwertabhängige Berufungsbeschränkung.<br />
Das Entlastungsgesetz war ein Zeitgesetz<br />
ohne Änderung der VwGO,<br />
weil seinerzeit eine gemeinsame<br />
Gastbeitrag<br />
Prozessordnung für die Verwaltungs-,<br />
Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit geplant<br />
war. Je mehr dieses Projekt in<br />
denn Hintergrund trat, wurde das<br />
Entlastungsgesetz verlängert, zuletzt<br />
1985 bis zum Jahr 1990. Im letzten<br />
Beschleunigungsgesetz wurde die<br />
erstinstanzliche Zuständigkeit des<br />
Oberverwaltungsgerichts/Verwaltungsgerichtshofs<br />
(OVG/VGH) für bestimmte<br />
Großverfahren eingeführt.<br />
2. Das Gesetz zur Neuregelung des<br />
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens<br />
führte im Jahr 1990 im Zeichen weiterer<br />
Beschleunigungs- und Entlastungsbemühungen<br />
zu einer ersten<br />
umfangreichen textlichen Änderung<br />
der VwGO. Ziel war die Beendigung<br />
des unübersichtlichen Nebeneinanders<br />
von prozessualem Dauerrecht<br />
und zeitlich befristeten Bestimmungen,<br />
d. h. die Regelungen des Entlastungsgesetzes<br />
wurden in das Standardprozessrecht<br />
der VwGO überführt.<br />
Außerdem brachte das Änderungsgesetz<br />
u. a. eine Erleichterung<br />
der Abwicklung von sog. Massenverfahren,<br />
eine Stärkung der Stellung<br />
des Berichterstatters im vorbereitenden<br />
Verfahren, die Einführung von<br />
Präklusionsvorschriften und die Möglichkeit<br />
der Zurückverweisung der<br />
Streitsache an die Verwaltungsbehörde<br />
sowie eine Vereinheitlichung<br />
und Vereinfachung der Rechtswegverweisung.<br />
3. Als sich der Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
im Zuge der deutschen Wiedervereinigung<br />
die mit dieser historischen<br />
Aufgabe verbundene Herausforderung<br />
stellte, nunmehr für ganz<br />
Deutschland entsprechende Strukturen<br />
zu schaffen, stieß man schnell<br />
auf das Problem einer möglichst<br />
rasch durchzuführenden Verbesserung<br />
der Verkehrsinfrastruktur in den<br />
neuen Bundesländern. Es entstand<br />
das Bedürfnis, die Gesamtdauer der<br />
Planungsverfahren für zentrale Verkehrsprojekte<br />
Deutsche Einheit im<br />
Beitrittsgebiet noch weiter zu verkürzen,<br />
wobei die erstinstanzliche Zuständigkeit<br />
der Oberverwaltungsgerichte<br />
nicht mehr als ausreichend angesehen<br />
wurde. 1991 wurde deshalb<br />
das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz<br />
mit erst- und letztinstanzlicher<br />
Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts<br />
geschaffen.<br />
Ferner wurde - ebenfalls aus Beschleunigungsgründen<br />
- die aufschiebende<br />
Wirkung der Klage ausge-<br />
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