gleis eins ausgabe 02
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SPRACHTHERAPIE<br />
AKADEMISCHE PRAXIS FÜR SPRACHTHERAPIE<br />
Was ist eine Sprechapraxie?<br />
Eine Sprechapraxie ist eine Sprechstörung.<br />
Sie tritt infolge einer zerebrovaskulären<br />
Erkrankung auf, bei der es zu<br />
einer Verletzung in der sprachdominanten<br />
Hemisphäre des Gehirns kommt. Die<br />
Schädigung (Läsion) betrifft das Ver -<br />
sorgungsgebiet der mittleren Hirnarterie<br />
(Arteria cerebri media). Eher selten tritt<br />
eine Sprechapraxie nach einem Schädel-<br />
Hirn-Trauma, nach Tumoren oder nach<br />
degenerativen Erkrankungen auf. Welche<br />
Hirnregionen speziell für die Entstehung<br />
einer Sprechapraxie verantwortlich<br />
sind, ist in der Forschung noch nicht end -<br />
gültig geklärt. Folgende Regionen scheinen<br />
eine Rolle zu spielen: Das Broca-<br />
Areal, der motorische Gesichtskortex,<br />
die Inselrinde und das darunter liegende<br />
Marklager (siehe Abbildung 1).<br />
Bei einer reinen Sprechapraxie, das heißt<br />
ohne dass andere begleitende sprachliche<br />
Störungen wie zum Beispiel eine Aphasie<br />
auftreten, ist das Sprachsystem (Bedeutung<br />
der Wörter, Satzbau, Grammatik,<br />
Akademische Praxis für Sprachtherapie<br />
Sprechapraxie – eine<br />
Störung der Planung<br />
von Sprechbewegungen<br />
Sabine Büdel (akademische Sprachtherapeutin M.A.)<br />
Lesen, Schreiben,…) nicht beeinträchtigt.<br />
Die Person versteht, was andere zu ihr<br />
sagen, sie kennt die Bedeutungen von<br />
Wörtern, sie kann lesen und schreiben.<br />
Was Patienten mit einer Sprechapraxie<br />
nicht können, ist das, was sie sagen wollen<br />
auch so auszusprechen, wie sie es<br />
vorher in ihrem Kopf geplant hatten. Bei<br />
diesen Patienten liegt eine Störung im<br />
sprechmotorischen System vor (siehe Abbildung<br />
2). Nach der aktuellen Forschung<br />
wird angenommen, dass Menschen in<br />
ihrem Kopf eine Art „Wörterbuch“ haben,<br />
in denen verschiedene Einträge abgespeichert<br />
sind. Diese Einträge sind aber keine<br />
ganzen Wörter oder einzelne Buchstaben,<br />
sondern Silben. Bei der Planung von<br />
einem Wort werden sozusagen aus diesem<br />
Wörterbuch die passenden Einträge<br />
herausgesucht (wenn man z. B. „Hose“ sagen<br />
möchte, braucht man dazu die Silben<br />
„ho“ und „se“, die dann in der weiteren<br />
Verarbeitung aneinandergefügt werden).<br />
Bei Patienten mit Sprechapraxie sind die<br />
Einträge in diesem Wörterbuch beschädigt.<br />
Die Patienten können zwar noch den<br />
Eintrag auswählen, der Eintrag selbst ist<br />
aber zerstört. So möchte der Patient zum<br />
Beispiel „Hose“ sagen, produziert wird<br />
aber möglicherweise „Hosche“, weil der<br />
Eintrag der Silbe „se“ beschädigt ist (vgl.<br />
Aichert & Ziegler, 2004).<br />
Eine reine Sprechapraxie kommt jedoch<br />
nur sehr selten vor. Meistens haben die<br />
Patienten noch zusätzliche Sprach- und/<br />
oder Sprechstörungen.<br />
Wie sprechen Personen mit<br />
einer Sprechapraxie?<br />
Um die typischen Fehler von Patienten<br />
mit einer Sprechapraxie zu beschreiben,<br />
kann man drei Störungsbereiche unterscheiden:<br />
Störungen der Lautbildung,<br />
Störungen der Prosodie und Auffälligkeiten<br />
im Sprechverhalten. Sind die<br />
Symptome in ihrer schwersten Form ausgeprägt,<br />
kann es dem Patienten unmöglich<br />
sein, auch nur ein Wort, eine Silbe<br />
oder gar einen Laut willentlich zu produzieren.<br />
Weniger schwer betroffene Patienten<br />
sind meist in der Lage, isolierte Silben<br />
Abb. 1<br />
Sobotta (1993, S. 280)<br />
Sprachproduktionsmodell (aus Huber & Ziegler, 2000) Abb. 2<br />
oder Wörter, teilweise sogar kurze Phrasen,<br />
zu realisieren (vgl. Ziegler, 2008).<br />
Störungen der Lautbildung<br />
Ist bei einem Patienten die Lautbildung gestört,<br />
kommt es zum Beispiel zu Entstellungen<br />
der Laute. Die produzierten Laute<br />
klingen dann nicht mehr wie deutsche<br />
Laute (phonetische Entstellungen). Häufig<br />
werden in einem Wort auch Laute vertauscht,<br />
weggelassen oder hinzugefügt<br />
(phonematische Fehler). Der Patient möchte<br />
beispielsweise Telefon sagen, produziert<br />
wird aber durch eine Störung der<br />
Lautbildung Letefon oder aus Sturm wird<br />
Turm. Auch eine Kombination der Entstellungen<br />
und der phonematischen Fehler<br />
kann vorkommen.<br />
Störungen der Prosodie<br />
Im Bereich der Prosodie (= Wortakzent,<br />
Sprechmelodie) zeigt sich bei Patienten oftmals<br />
ein silbisches Sprechen. Die Patienten<br />
sprechen dann Silbe für Silbe mit der<br />
gleichen Betonung, was zu einem monotonen<br />
Sprechklang führt. Außerdem kann<br />
die Sprechgeschwindigkeit reduziert und<br />
ein flüssiges Sprechen durch Fehlversuche<br />
von Äußerungen und nachfolgende Selbstkorrekturen,<br />
Sprechpausen und Laut- oder<br />
Silbenwiederholungen unterbrochen sein.<br />
Auffälligkeiten im Sprechverhalten<br />
Patienten mit einer Sprechapraxie suchen<br />
sehr oft vor allem am Anfang einer Äußerung<br />
nach der richtigen Stellung von<br />
Lippen und Zunge, um ein Wort korrekt<br />
auszusprechen (artikulatorisches Such-<br />
verhalten). Man kann das Suchen nach<br />
der passenden Position richtiggehend im<br />
Gesicht beobachten. Meistens ist auch<br />
eine große Sprechanstrengung sicht- und<br />
hörbar. Es kann zur Anspannung der<br />
Gesichts- und Halsmuskulatur kommen,<br />
was zu einer erhöhten Sprechstimmlage,<br />
Sprechlautstärke und einer gepressten<br />
Phonation führt.<br />
Diese Merkmale im Sprechverhalten zeigen,<br />
dass die Patienten mit einer Sprech a praxie<br />
ihre Fehler meist bewusst wahrnehmen.<br />
Durch dieses bewusste Wahrnehmen sind<br />
die Patienten häufig erkennbar unzufrieden<br />
mit ihrer eigenen Leistung und<br />
frustriert, weil etwas anderes produziert<br />
wird, als vorher geplant war.<br />
Typisch für Patienten mit einer Sprechapraxie<br />
ist in allen drei Bereichen, dass die<br />
Fehler nicht immer vorkommen, und falls<br />
Fehler vorkommen, dass es nicht immer die<br />
gleichen Fehler sind. Zudem treten sogenannte<br />
„Inseln störungsfreier Produktion“<br />
auf. Hier kann der Patient komplett fehlerfreie<br />
Äußerungen produzieren, was vor<br />
allem bei hochautomatisierten Ausdrücken<br />
wie Grußformeln, Flüchen oder Zahlenreihen<br />
der Fall ist (Aichert & Staiger, 2009).<br />
Wie wird eine Sprechapraxie<br />
diagnostiziert?<br />
Bei Verdacht auf eine Sprechapraxie kann<br />
der Neurologe, Hausarzt oder Sprachtherapeut<br />
eine Checkliste (Liepold, Ziegler &<br />
Brendel, 2003) mit 10 Punkten anwenden.<br />
Dort sind unter anderem verschiedene<br />
Symptome aufgeführt, die bei einer Sprechapraxie<br />
auftreten können. Je mehr von<br />
diesen Punkten mit JA beantwortet werden<br />
können, umso wahrscheinlicher ist<br />
das Vorliegen einer Sprechapraxie.<br />
Die genaue Diagnostik wird dann von<br />
einem Sprachtherapeuten durchgeführt.<br />
Dieser überprüft durch Sprechaufgaben<br />
mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden,<br />
ob, und wenn ja, welche Probleme der<br />
Patient beim Sprechen hat.<br />
Wie wird eine Sprechapraxie<br />
therapiert?<br />
In der Sprechtherapie wird nun versucht,<br />
die fehlerhaften motorischen Silbenprogramme<br />
mit den korrekten Programmen<br />
zu überschreiben und die richtige Planung<br />
der Silben abzuspeichern. Dies geschieht<br />
beispielsweise durch die Arbeit<br />
mit wortstrukturellen Materialien (Silben<br />
oder Wörter) individuell auf das Störungsbild<br />
des Patienten abgestimmt, da, wie<br />
oben bereits erwähnt, beim Sprechen bekannte<br />
Wörter aus Silben und nicht aus<br />
32 33<br />
Anzeige<br />
den einzelnen Lauten zusammengesetzt<br />
werden (vgl. Staiger & Ziegler, 2008).<br />
Man erarbeitet zum Beispiel Wörter mit<br />
Silben, die im Deutschen oft vorkommen,<br />
um einen Effekt auf möglichst viele Wörter<br />
zu erreichen. Übt man beispielsweise<br />
die Silbe /fa/ in Fahne, wird automatisch<br />
auch die Produktion der Wörter fahren,<br />
Vater, Sofa, usw. geübt. Außerdem kön -<br />
nen Mundbilder oder andere visuelle<br />
und/oder taktile Vorstellungshilfen verwendet<br />
werden. So wird für jeden<br />
Patienten unter Berücksichtigung seiner<br />
alltäglichen Bedürfnisse und Ziele ein<br />
individuelles Therapieprogramm zusam -<br />
men gestellt.<br />
Bei Fragen oder weiteren Informationen<br />
zur Sprechapraxie stehen wir Ihnen in der<br />
Akademischen Praxis für Sprachtherapie<br />
Dr. I. Maser gerne zur Verfügung.<br />
V. links: Anemone Söllner (Sprachheilpädagogin<br />
M.A., Fremdsprachenkorrespondentin),<br />
Dr. phil. Ingeborg Maser (Neurolinguistin,<br />
Klinische Linguistin), Sabine Büdel (akademische<br />
Sprachtherapeutin M.A.)<br />
Literatur/Quellennachweise:<br />
Aichert, I, & Ziegler, W. (2004). Syllable frequency and syllable structure in apraxia of speech.<br />
Brain and Language, 88. 148 – 159.<br />
Aichert, I. & Staiger, A. (2009). Sprechapraxie. In: Blanken, G. & Ziegler, W. (Hrsg.). Klinische<br />
Linguistik und Phonetik. Ein Lehrbuch für die Diagnose und Behandlung von erworbenen<br />
Sprach- und Sprechstörungen im Erwachsenenalter. Mainz: HochschulVerlag. 111 – 137.<br />
Büdel, S. (2009). Konstruktion von hierarchisch strukturiertem Material für die Sprechapraxietherapie<br />
– organisiert nach metrischen Kriterien. Masterarbeit. MA-Studiengang Sprachtherapie,<br />
Ludwig-Maximilians-Universität München.<br />
Huber, W. & Ziegler, W. (2000). Störungen von Sprache und Sprechen. In: Sturm, W., Herrmann,<br />
M. & Wallesch, C.-W. (Hrsg.). Lehrbuch der Klinischen Neuropsychologie. Frankfurt:<br />
Swets & Zeitlinger: 462 – 511.<br />
Liepold, M., Ziegler, W. & Brendel, B. (2003) Hierarchische Wortlisten. Ein Nachsprechtest für<br />
die Sprechapraxiediagnostik. Dortmund: Borgmann.<br />
Riegel, I. (2009). Konstruktion von hierarchisch strukturiertem Material für die Sprechapraxietherapie<br />
– organisiert nach phonetischen Kriterien. Masterarbeit. MA-Studiengang Sprachtherapie,<br />
Ludwig-Maximilians-Universität München.<br />
Staiger, A. & Ziegler, W. (2008). Syllable frequency and syllable structure in the spontaneous<br />
speech production of patients with apraxia of speech. Aphasiology, 22 (11). 1201 – 1215.<br />
Ziegler, W. (2008). Apraxia of Speech. In: Miller, B. & Goldenberg, G. (Hrsg.). Handbook of<br />
clinical neurology. London: Elsevier. 269 – 285.<br />
Sobotta, J. (1993 Atlas der Anatomie des Menschen Bd. 1 München; Baltimore: Urban und<br />
Schwarzenberg<br />
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