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Leseprobe - Carus

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I. Das Genie zwischen Apoll und Bach:<br />

Zum Haydn-Porträt von Isidor Neugaß<br />

Joseph Haydn war, spätestens seit den 1780er Jahren, ein ausgesprochen häufig<br />

porträtierter Mann. Mit seinem Ruhm breitete sich auch das Interesse an<br />

seiner Physiognomie in ganz Europa aus. Wer ihn bei seinen Auftritten in<br />

Wien, Esterháza, Eisenstadt und später London nicht selbst erleben konnte,<br />

wollte sich auf andere Weise eine Vorstellung von seinem Äußeren – und,<br />

damit im 18. Jahrhundert immer verbunden, auch von seinem Charakter – machen.<br />

Neben Gebrauchsware finden sich auch bedeutende Kunstwerke unter<br />

den Haydn-Porträts, in erster Linie wohl das in London entstandene Ölgemälde<br />

von John Hoppner (1791).<br />

Das im Schloss Esterházy in Eisenstadt hängende Haydn-Porträt des an der<br />

Berliner Akademie ausgebildeten Porträtmalers Isidor Neugaß (um 1780–nach<br />

1847) ist demgegenüber physiognomisch weniger fesselnd und auch kunsthistorisch<br />

nicht über Gebühr bedeutsam. In der Literatur zur Haydn-Ikonographie<br />

wird deshalb auch jeweils kaum mehr als seine Existenz vermerkt. Und doch<br />

eröffnen die Anlage des 1806 angefertigten Bildes, die daraus ablesbare Charakterisierung<br />

des Künstlers Haydn sowie die erhaltenen Dokumente zu seiner<br />

Entstehung einige ausgesprochen spannende Perspektiven und werfen Fragen<br />

auf, denen es einmal nachzugehen lohnt. Das irritierendste Detail der Darstellung<br />

ist dabei wohl, das sei gleich verraten, die hinten rechts postierte Bach-<br />

Büste.<br />

1. Das Bild<br />

Haydn sitzt in schwarzer Kleidung und nach links gewendet an einem Tisch in<br />

einem Armlehnstuhl. In der Linken hält er Notenblätter, auf denen der Anfang<br />

der Violinstimme zum Chor „Nun schwanden vor dem heiligen Strahle des<br />

schwarzen Dunkels gräuliche Schatten“ aus dem 1799 fertiggestellten Oratorium<br />

Die Schöpfung zu erkennen ist. In die auf die Lehne gestellte Rechte<br />

stützt er leicht Wange und Kinn. Feder und Tintenfass, die nicht näher identifizierten<br />

Bücher auf dem Tisch, die kontemplative, ikonographisch fest verankerte<br />

Haltung weisen ihn als denkenden, reflektierten Künstler aus. Vielleicht<br />

ist in dem aufgestützten Kopf gar auf den bei der Darstellung bedeutender<br />

Männer sehr verbreiteten Topos des kreativen Melancholikers angespielt.<br />

Der Innenraum, in dem Haydn dargestellt ist, öffnet sich hinten links zu einem<br />

Rund-Tempel mit einer Statue des leierspielenden Apoll, eines geläufigen At-<br />

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