Leseprobe - Carus
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Tatsächlich wird sich die Frage kaum entscheiden lassen. Einige Spalten zuvor<br />
hat Reichardt von der „grossen Schule Sebastian Bach’s“ gesprochen, sodass<br />
die Vermutung naheliegt, mit einem „Bach“ ohne jeden Zusatz sei eben Carl<br />
Philipp Emanuel gemeint. 14 Andererseits lässt die Zusammenstellung von Händel<br />
und Bach aufhorchen, denn eben diese beiden Komponisten hat Reichardt<br />
schon 1782 in seinem Musikalischen Kunstmagazin Seit’ an Seite kritisch gewürdigt.<br />
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Ebenso problematisch erscheint die Bemerkung von Johann Karl Friedrich<br />
Triest, Haydn habe mit der kantablen Führung der Instrumente und der „bedeutende[n]<br />
kraftvolle[n] Simplicität“ seiner „Hauptsätze“ „das innigste (durch<br />
Bachs u. a. Werke genährte) Studium der Harmonie“ verbunden, „deren<br />
Früchte die kühnsten, überraschendsten, und dabey nichts weniger als barocken<br />
Modulationen sind, wodurch er uns begeistert.“ 16 Auch hier scheint<br />
Triests Sprachgebrauch nahezulegen, dass mit „Bach“ ohne weitere Zusätze<br />
eher Carl Philipp Emanuel als Johann Sebastian gemeint ist. In ähnlicher Weise<br />
hat der frühe Haydn-Biograph Giuseppe Carpani behauptet, dass Haydn seine<br />
unerwartetsten harmonischen Effekte eigner Aussage zufolge aus den Werken<br />
des alten Bach (nelle opere del vecchio Bach) entnommen hätte 17 – aber da er<br />
im Folgenden erklärt, dass dieser sie während seines Studiums in Rom von italienischen<br />
Meistern gelernt habe, bleibt völlig unsicher, von welchem Bach<br />
hier die Rede ist – falls Carpani das überhaupt selbst wusste. 18<br />
14 Reichardt, I. A. P. Schulz, Sp. 169. Noch E. T. A. Hoffmann spricht ein gutes Jahrzehnt später bekanntlich<br />
gerne von „Sebastian Bach“, um Missverständnisse auszuschließen.<br />
15 Johann Friedrich Reichardt, Musikalisches Kunstmagazin I (1782), S. 196f.<br />
16 Triest, „Bemerkungen über die Ausbildung der Tonkunst“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 3<br />
(1800/01), März 1801, Sp. 406f.<br />
17 Giuseppe Carpani, Le Haydine ovvero lettere sulla vita e le opere del celebre maestro Giuseppe Haydn,<br />
Milano: Candido Buccinelli, 1812/ edizione seconda, riveduta e accresciuta dall’autore, Padova: Tipografia<br />
della Minerva, 1823|Reprint Bologna: Forni, 1969 (Bibliotheca musica Bononiensis, Sezione 3,<br />
N. 10a) (zitiert wird nach beiden Auflagen), S. 37/43 (= Carpani 1812, S. 37/1823 2 , S. 43): „Queste transizioni,<br />
a quanto egli mi disse, le rintracciò singolarmente nelle opere del vecchio Bach. Il Bach poi le<br />
aveva apprese dalle opere dei maestri italiani del suo tempo, sulle quali e sotto de’quali, studiando in<br />
Roma, egli si era formato quel grand’uomo che fu.“.<br />
18 Vgl. die vorige Anmerkung. – Der „alte Bach“ lässt natürlich an Johann Sebastian denken, aber dieser hat<br />
ebenso wenig in Rom studiert wie sein Sohn Carl Philipp Emanuel. Wie aus einer späteren Stelle hervorgeht,<br />
ist sich Carpani jedoch sehr wohl der verschiedenen Mitglieder der Bach-Familie bewusst und erklärt<br />
ausdrücklich, dass nicht „Giovanni Bach“ (also Johann Christian Bach, der einzige der Familie, der<br />
nach Italien reiste), sondern „Emanuele Bach, il più celebre tra essi, fu quello che il nostro Haydn meditò<br />
giorno e notte“ (S. 63/67). Wenige Zeilen danach betont er die „transizioni impensate“ dieses Komponisten,<br />
und das lässt vermuten, dass C. Ph. E. Bach auch in der oben zitierten Stelle gemeint ist. Indes kommt<br />
Carpani auf seine rätselhafte Behauptung, „il vecchio Bach“ habe in Rom studiert, hier nicht zurück, sondern<br />
verortet Bach durchaus korrekt in Berlin und Hamburg. Soweit ich sehe, tritt „il vecchio Bach“ außer<br />
der genannten Stelle nur noch zweimal in Carpanis Erzählung auf – beide Male in einer Auflistung mit<br />
anderen Komponisten und in Kontexten, die eine genaue Identifikation nicht erlauben (Carpani, S. 8/11,<br />
S. 27/29). Wie so vieles bei Carpani bleibt auch hier der Sachertrag frustrierend niedrig.<br />
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