Leseprobe - Carus
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wählte, dass der Betrachter ein wenig von oben und schräg vorne dem komponierenden<br />
Haydn bei seiner kreativen Tätigkeit aus geringer Distanz direkt zuschauen<br />
kann, rückte ihn Zitterer (Abb. 1) wieder etwas ab und versperrte dem<br />
Betrachter den direkten Blick auf den Körper durch den wie eine Schranke vorgestreckten<br />
linken Arm. Dafür suchte er eine inspirierte Aura zu erzeugen: Die<br />
linke Hand schlägt einige Töne aus der vor ihm stehenden Partitur (es ist das<br />
Thema des Andante aus der Sinfonie mit dem Paukenschlag) an, die rechte ist<br />
angewinkelt und wie in der Andeutung eines aufgestützten Kopfes an das Kinn<br />
gelegt. Haydn schaut – seiner eigenen Musik nachlauschend – über das Klavier<br />
hinweg aus dem Bild hinaus. Und wie bei Neugaß trifft ihn von oben links ein<br />
Lichtstrahl. Im Hintergrund rechts ist auf einem architektonischen Wandelement<br />
eine lorbeerumwundene Leier als Attribut der Musikerhuldigung zu<br />
sehen. Die Haydn-Bilder von Zitterer und Neugaß zeichnet gegenüber anderen<br />
Darstellungen des sitzenden Haydn mit Notenblättern und Klavier mithin aus,<br />
dass er hier nicht im Akt des Komponierens, sondern mit zweien seiner erfolgreichsten<br />
Werke abgebildet erscheint. Nicht die Kreativität als Staunen erregende<br />
Fähigkeit steht im Zentrum, sondern der Ruhm, den Haydn unterdessen<br />
erlangt hatte.<br />
In diese Richtung zielt auch die Funktion der Apollon-Statue, die ikonographisch<br />
durchaus originell ist: Die Haltung mit dem übergeschlagenen linken<br />
Bein direkt beim Spiel der Lyra und mit einem Gewand um die Hüften hat kein<br />
direktes antikes Vorbild, sondern amalgamiert verschiedene, ihrerseits wiederum<br />
recht seltene Motive. Die auffällige Standposition kennt man vor allem<br />
von einer Statue des Skopas aus dem 4. Jahrhundert v. Chr., die in einer heute<br />
in den Capitolinischen Museen in Rom aufbewahrten römischen Kopie zu<br />
einem Kithara spielenden Apoll ergänzt wurde (inv. MC0649). Freilich reckt<br />
die Figur den Kopf hier nach oben, während Neugaß seinen Apoll herunter auf<br />
Haydn blicken lässt.<br />
Das ikonographische Vorbild der fiktiven Bach-Büste dann ist offenkundig das<br />
berühmte Bildnis von Elias Gottlob Haußmann, das ab 1800 auch in Kupferstichen<br />
verbreitet wurde (Abb. 2 und 3). Die Perücke und die Ansicht des zwar<br />
frontal gezeigten, aber leicht nach rechts gewendeten Gesichts sind identisch<br />
miteinander. Nur das Gewand tauschte Neugaß durch eine für Büsten typische<br />
klassizistische Draperie aus. Die Gesichtsachse spricht dafür, dass Neugaß<br />
nicht nach einer etwa der Allgemeinen musikalischen Zeitung von 1798 oder<br />
der Forkelschen Bach-Biographie von 1802 beigegebenen Kupferstich-Kopie<br />
arbeitete, da diese dem Medium entsprechend seitenverkehrt waren. Dennoch<br />
dürfte Neugaß die Biographie des Göttinger Universitätsmusikdirektors, Komponisten,<br />
Musiktheoretikers und -historikers und ihr Bach-Medaillon nicht nur<br />
gekannt, sondern auch darauf Bezug genommen haben, findet sich doch unter<br />
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