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Leseprobe - Carus

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II. Haydn und Bach:<br />

Aspekte einer musikalischen (Nicht-)Beziehung<br />

1.<br />

In den Jahren 1768 bis 1772 reiste der junge Musiker und Komponist Johann<br />

Abraham Peter Schulz (1747–1800) im Gefolge der polnischen Fürstin Joanna<br />

Sapieha durch Europa. Dabei hielt sich Schulz – der später dänischer Kapellmeister<br />

werden und als Komponist der Lieder im Volkston das unsterbliche<br />

„Der Mond ist aufgegangen“ schaffen sollte – über einen längeren Zeitraum in<br />

Wien auf. In den kurz nach Schulz’ frühem Tod an Schwindsucht erschienenen<br />

Biographischen Nachrichten seines Freunds Johann Friedrich Reichardt wird<br />

uns berichtet:<br />

Von Künstlern hatte auf dieser Reise keiner so mächtig auf ihn gewürkt,<br />

als Haydn, den er in Esterhazy besuchte, und dessen meisterhafte Symphonien<br />

und Quartetten er damals in Wien zuerst würdig vortragen<br />

hörte. Haydn, dessen übergrosse Bescheidenheit Schulzen anfänglich in<br />

nicht geringe Verlegenheit sezte, hatte auch die Gefälligkeit für ihn gehabt,<br />

ihm noch unbekannte Arbeiten zu zeigen und vorzuspielen, die<br />

nicht nur Schulzens hohen Begriff von Haydn’s Originalgenie bekräftigen,<br />

sondern auch von einem fleissigen Künstler zeugten – für den man<br />

Haydn damals noch nicht hielt – der die Meisterwerke Bachs und Händels<br />

mit Andacht studierte. 13<br />

Dieser rund drei Jahrzehnte nach dem Besuch von Schulz in Eszterháza (denn<br />

dieser Sommersitz des Fürsten Nikolaus I. Esterházy ist wohl gemeint) niedergeschriebene<br />

Bericht lässt staunen – verbindet er doch einen Komponisten,<br />

dessen Einfluss auf Joseph Haydn vielfältig belegt und musikalisch leicht<br />

nachweisbar ist, nämlich Georg Friedrich Händel, mit einem Komponisten, zu<br />

dem Haydns Musik auch bei näherem Hinsehen keinen rechten Bezug aufweist,<br />

nämlich Johann Sebastian Bach, dessen „Meisterwerke“ Haydn also um<br />

das Jahr 1770 ebenso wie jene Händels „mit Andacht“ studiert haben soll.<br />

Aber ist mit dem Bach, den Reichardt nennt, überhaupt Johann Sebastian gemeint?<br />

Die Frage ist, wie das erste Kapitel gezeigt hat, alles andere als einfach<br />

zu beantworten, denn „Bach“ ohne weitere Zusätze konnte im deutschen<br />

Sprachraum bis wenigstens 1800 ebenso gut – oder vielleicht noch eher – Carl<br />

Philipp Emanuel Bach meinen, während J. S. Bach meistens durch einen Zusatz<br />

wie „Sebastian Bach“ oder „der alte Bach“ charakterisiert wurde.<br />

13 „Biographische Nachrichten. I. A. P. Schulz dargestellt von I. F. Reichard [sic]“, in: Allgemeine musikalische<br />

Zeitung 3 (1800/01), no. 11, den 10. December 1800, Sp. 176 (Kursivierungen im Original gesperrt).<br />

14

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