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Leseprobe - Carus

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Über C. Ph. E. Bachs Bedeutung für sein eigenes Komponieren hat sich Haydn<br />

oft und enthusiastisch geäußert. 19 Freilich ist schon hier eine explizite musikalische<br />

Bezugnahme (anders als bei Händel) schwer greifbar; der Einfluss des<br />

älteren Komponisten ist weniger in stilistischen Übernahmen, thematischen<br />

Anklängen, formalen Ähnlichkeiten zu suchen als in einer kompositorischen<br />

Haltung, die das Unvorhersehbare, Launige, Überraschende kultivierte. 20 Bezüge<br />

zu Johann Sebastian Bachs Werk in Haydns Musik auszumachen, will hingegen<br />

– mit recht wenigen möglichen Ausnahmen, die noch zu diskutieren sein<br />

werden – selbst bei vergleichbar abstrakten Gesichtspunkten nicht gelingen.<br />

Handelt es sich hier also um eine Nicht-Beziehung, um eine Fehlinterpretation<br />

literarischer Zeugnisse, die in Wirklichkeit den jüngeren Bach meinen? Ist die<br />

Frage nach „Haydn und Bach“ unbeantwortbar oder gar falsch gestellt? Keineswegs;<br />

doch darf man keine allzu einfachen und griffigen Antworten erwarten.<br />

Dass das Thema „Haydn und Bach“ zunächst wenig herzugeben scheint,<br />

die beiden Komponisten kaum Berührungspunkte aufweisen, erweist sich letzten<br />

Endes als durchaus signifikant. Denn es lassen sich sehr wohl Beweise<br />

dafür anführen, dass Haydn J. S. Bachs Musik gekannt und auch durchaus geschätzt<br />

hat. Dass sich diese Wertschätzung kaum oder höchstens in subkutaner,<br />

schwer fassbarer Weise musikalisch niedergeschlagen hat, verrät hingegen,<br />

dass in der künstlerischen Orientierung und Zwecksetzung der beiden Komponisten<br />

ein nahezu unüberbrückbarer Unterschied bestand.<br />

Um die hier nur skizzenhaft angedeuteten Aspekte genauer zu beleuchten, soll<br />

im Folgenden in drei Schritten vorgegangen werden. Zunächst sollen die wenigen<br />

unzweideutigen Belege für Haydns Urteile über J. S. Bachs Musik zitiert<br />

und diskutiert werden (Abschnitt 2); dann soll nach den Zeugnissen der Bach-<br />

Rezeption in Österreich zu Haydns Zeit und im speziellen nach Haydns Bach-<br />

Kenntnissen gefragt werden (Abschnitt 3); 21 schließlich wird versucht, zu einer<br />

Interpretation der oben angedeuteten grundsätzlichen Unterschiede zwischen<br />

Haydn und Bach zu gelangen (Abschnitt 4).<br />

19 Vgl. etwa Ernst Fritz Schmid, „Joseph Haydn und Carl Philipp Emanuel Bach“, in: Zeitschrift für Musikwissenschaft<br />

14 (1932), S. 299–312: 300f.<br />

20 Vgl. etwa Hermann Danuser, „Das imprévu in der Symphonik: Aspekte einer musikalischen Formkategorie<br />

in der Zeit von Carl Philipp Emanuel Bach bis Hector Berlioz“, in: Musiktheorie 1 (1986), S. 61–81.<br />

21 „Österreich“ war bis 1804, d. h. bis zur Proklamation des Kaisertums Österreich durch Franz I. (II.) als<br />

Reaktion auf die Selbsternennung Napoleon Buonapartes zum Kaiser der Franzosen, kein politischer<br />

oder staatlicher, sondern ein regionaler Begriff innerhalb des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation,<br />

dem freilich insofern besondere (und besonders komplizierte) reichsrechtliche Stellung zukam, als<br />

er die habsburgischen Erblande umfasste. Im Sprachgebrauch der Zeitgenossen war „Österreich“ eine<br />

Region oder Provinz „Deutschlands“ (oder „Teutschlands“). Ich verwende den Begriff im Folgenden bewusst<br />

lose, als Inbegriff aller kulturellen und besonders musikalischen Aktivitäten, die ihr Zentrum in<br />

der Wintersaison in der kaiserlichen Residenzstadt Wien hatten, deren Peripherien in den Sommermonaten<br />

aber weit verstreut lagen – etwa im ungarischen Eszterháza.<br />

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