Liebe Zartbitter Inhaltsverzeichnis - Cora Verlag

Liebe Zartbitter
© 2008 CORA Verlag GmbH & Co KG
sein T-Shirt über den Kopf. Carsten Seidel war Executive Producer der Firma und Toms
direkter Vorgesetzter. Tom ahnte, dass ihn kein vergnüglicher Plausch erwartete. Die
Einschaltquoten der Guten Morgen Show waren um ein Drittel gesunken, seit der
Konkurrenzsender Net5 eine Kopie der Show zur gleichen Sendezeit ins Programm
genommen und ans Moderatorenpult zwei Models gestellt hatte, die mangelnde
journalistische Kompetenz durch Zahnpastalächeln und besonders tiefe Ausschnitte
wettmachten.
"Setz dich. Kaffee?", begrüßte ihn Carsten, der hinter seinem zwei Meter langen
schwarzen Schreibtisch saß. Gierig zog er an einer Zigarette. Der Aschenbecher neben
seiner Kaffeetasse war randvoll mit Kippen gefüllt. Dabei war es erst halb elf.
"Ich hatte eben ein langes Telefonat mit Schönmann", erklärte er. "Der hat mir die Pistole
auf die Brust gesetzt. Entweder gehen die Quoten in den nächsten sechs Wochen um
deutliche Punkte hoch – oder die Sendung wird abgesetzt."
"Dann sollten wir Lena und Bernd am besten in knappen Höschen vor die Kamera stellen
und dazu noch einen deftigen Skandal inszenieren", erwiderte Tom.
"Keine schlechte Idee. Lass dir jedenfalls was einfallen, Junge. Täte mir leid, dich ziehen
zu lassen."
Tom schluckte. Na wunderbar, während der letzten drei Jahre hatte er sich den Arsch für
die Firma aufgerissen und allein schon mehr Überstunden geschoben, als mancher
Beamter pro Jahr im Dienst absaß.
Seidel paffte einen Rauchring in die Luft und fixierte ihn. "Schönmann hat vorgeschlagen,
Pop-Sternchen Janine Armand in einer Beitragsserie zu begleiten. Die ist im siebten
Monat schwanger und braucht dringend Publicity, weil in zwei Wochen ihre neue Single
erscheint. Ein Vier-Minüter in jeder Sendung. Ein bisschen Schwangerschaftsgymnastik,
Babysachen kaufen und so weiter. Bei der Geburt wird unsere Kamera auch dabei sein.
Hier ist die Nummer ihres Managers. Er weiß schon Bescheid." Quer über den Tisch
schnippte er Tom eine Visitenkarte zu.
Tom fing sie auf und kehrte in sein Büro zurück. Müde rieb er sein Gesicht. Janine Armand
war eine publicitygeile Profizicke, die bei jedem ihrer bisherigen Auftritte in der Show das
ganze Team getriezt hatte. Der Gedanke, ihr auch noch zusehen zu müssen, wie sie auf
dem Gebärstuhl hechelte, verwandelte seinen Magen schon jetzt in einen Betonklotz.
Dabei war er einiges gewöhnt. In der zweistündigen Guten Morgen Show auf KVN hatte er
Politiker ausrasten, Filmsternchen aufeinander losgehen, Überlebende von Unglücken
unter Tränen von ihrer Rettung berichten und Wirtschaftsbosse zu Samaritern mutieren
sehen. Angereichert wurde die TV-Sauce mit Service-Häppchen aus einem
Themenstrauß, der von "Wie verschönere ich mein Gästeklo" bis zu "Hilfe, meine Katze ist
zu dick" reichte.
Vielleicht war er in den drei Jahren einfach zynisch geworden. Er hatte den leisen
Der CORA-Fortsetzungsroman - jede Woche neu auf www.cora.de Seite 20/83